Ich stecke gerade in einer wirklichen Sinnkrise mit diesem Bildungswesen. Die Behauptung, es ginge um Kinder und ihre Entwicklung ist an vielen Stellen falsch, oft geheuchelt und an nicht wenigen Stellen ist man mittlerweile wenigstens so ehrlich, dies einzuräumen. Man merkt
es insbesondere auch an der Sprache:

Kindern wird Wissen "vermittelt" statt ihnen die Möglichkeit zu geben, es sich zu erschließen. Kinder werden vorausgreifend "belehrt" (voll geil, wenn das erste, was man als Sechsjähriger, der frisch eingeschult Lust darauf hat, sich
endlich die Welt erschließen, von der neuen Lehrkraft bekommt, eine Belehrung ist). Ist euch mal aufgefallen, wie viele Erstklässler*innen, die freudig gestartet sind, nach 6 Monaten schon keine Lust mehr haben?

Kinder werden "geprüft", ob sie zu einem Zeitpunkt X
genauso viel können wie ihre Klassenkamerad*innen, um dann zum nächsten Thema zu springen ungeachtet der Erkenntnis, dass Lernprozesse bei Kindern individuell ablaufen. Kinder werden auf weiterführende Schulen "verteilt".

Sie werden "Integriert", wenn sie nicht ins Schema
passen, was oft nichts anderes bedeutet, als sie passend zu machen. Wenn sie sich nicht passend machen lassen (nennt sich dann "Förderbedarf emotional-sozial"), steckt man sie auf Förderschulen mit der Begründung "dort könne man ihnen am besten gerecht werden" (habe ich als
Elternvertreter selbst mehrfach mitbekommen).

Tatsächlich geht es allzu häufig einfach darum, dass diese die "normalen" Kinder nicht beim Empfangen ihrer Unterrichtseinheiten stören. Um mit dem Märchen aufzuräumen, an Förderschulen würde den Kindern besser geholfen, empfehle ich
einen Blick in die Statistiken dieser Schulen und deren Schulabgänger*innenquoten ohne Abschluss. Diese sind eine Katastrophe.

Jetzt hat die Bildungspolitik die Inklusion entdeckt. "Endlich!" möchte man rufen, aber sie stattet die Schulen unterm Strich nicht dafür aus und sie
bildet das Personal nicht ausreichend weiter. Immer wieder höre ich dann so Aussagen wie "Inklusion ist auf einer Förderschule am besten möglich." Da stellen sich mir die Nackenhaare auf.

Auch gibt es jetzt einen Ausbau der schulischen Ganztagsförderung. Was so toll und
inklusiv klingt, ist bei näherer Betrachtung nichts Anderes, als eine Aufbewahrungsmöglichkeit für Kinder am Nachmittag, damit (meistens Mama) nicht in Teilzeit arbeiten muss. Tatsächliche Förderung, die dem Anspruch wirklich gerecht wird, sucht man oft vergebens.

Ein
erheblicher Anteil der bundesdeutschen Schüler*innen leidet an psychosomatischen und/oder psychischen Beschwerden und dennoch verlässt (in Berlin) jedes zehnte Kind trotz (oder gerade wegen!?) dieses Drucks und dieser Nichtanerkennung des eigenen Lerntempos die Schule nach 10
Jahren ohne Abschluss. Und wenn man nach Ursachen fragt, wird nicht das Bildungswesen hinterfragt, sondern die Brennpunktkarte gezogen. "Naja, guck Dir die Eltern/den Kiez/das Kind an halt."

Mobbing an Schulen ist Alltag. Alltag. Und die Schulpolitik ist nicht in der Lage, zu
erkennen, dass das eine logische Folge dessen ist, dass wir die Kinder in einen permanenten Wettbewerb gegeneinander stellen.

Das fängt bei der Frage nach der Gunst der Schüler*innen bei der Klassenleitung wegen dieser elendigen Kopfnoten noch nichtmal an und es hört bei der
Frage der Empfehlungen für weiterführende Schulen noch lange nicht auf.

Stattdessen werden eineinhalb Sozialarbeitende an der Schule eingestellt, man schreibt ein geiles "Gewaltpräventionskonzept", in dem dann drin steht, dass man "fair und wertschätzend" miteinander ins
Gespräch geht und klopft sich anschließend auf die Schulter und macht ein Häkchen auf der Schulprogrammliste.

Dieses gesamte Bildungswesen ist darauf ausgerichtet, Kindern beizubringen, dass sie den Erwartungen von Erwachsenen, gerecht zu werden haben. Im Lerninhalt, im
Verhalten in der Schule (nix gegen Regeln, Leute, aber schwarze Pädagogik feiert mitunter erstaunliche Urstände) und bei der Frage, wann sie welche reingestopften Inhalte wieder aufs Arbeitsblatt auskotzen können müssen.

Und das Schlimmste ist: dass es von sehr vielen als
völlig normal angesehen wird, dass Schulen so mit Kindern umgehen. Von Schulleitungen, von Kollegien, aber auch von nicht wenigen Eltern und das ist der Grund, warum es sich einfach nicht bewegt.

Dieses Bildungswesen bildet oft nicht, sondern macht Kinder, oft auch Pädagog*innen
und auch Eltern krank. Wenn man sich mit denjenigen unterhält, die die Jugendlichen nach ihrer Schullaufbahn einstellen (beispielsweise Ausbildungsleiter*innen) bekommt man gespiegelt, dass die Jugendlichen von Jahrgang zu Jahrgang immer weniger können.

Gleichzeitig bekommt man
gespiegelt, dass auch die Noten der Schulen kaum noch aussagekräftig über tatsächliche Kompetenzen sind. Nachdem wir Kindern über jeweils mindestens 10 Jahre eingebläut haben, dass diese abstrakten Ziffern das höchste Ziel aller Arbeit sind.

Was machen wir mit den Kindern und
warum tun wir ihnen das an? Zumal, wenn die Ergebnisse dann dennoch so miserabel sind, wie sie sind? Und wie kann man das ändern?

Nicht mit Gesetzen. Es braucht eine neue Schulkultur. Und sehr viel Personal. Frisches Personal mit Perspektiven von außen. Und den Blick auf das
jeweilige Kind. So, wie es im Moment und schon seit Jahren läuft, geht das nicht mehr lange gut.

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More from @PankowerPflanze

19 Sep
Liebe @SenBJF, ich hab da mal ein paar Gedanken zum Thema "Rechtstreue":

Ich habe im Umgang mit öffentlicher Verwaltung einiges erlebt und arbeite auch selbst in einer.

Verwaltung kann eigensinnig sein, aber es gibt einen Punkt auf den sie letztlich immer verpflichtet ist:
Gesetze und Verwaltungsvorschriften sind einzuhalten. Die Eine oder Andere mag kryptisch erscheinen, aber sie sind die Basis dafür, dass Verwaltung nachvollziehbar und frei von Willkür handelt. Das Problem (und das hat mich wirklich nachhaltig erschüttert):

Im Bezug auf das
Berliner Schulgesetz ist es beinahe egal, was da drin steht. Wenn sich Lehrkräfte und ihre Schulleitung einig sind, dass die Verfahrensvorschriften im Schulgesetz zu kompliziert für die eigenen Abläufe im Haus sind, oder dass das Schulprogramm der eigenen Schule nicht eingehalten
Read 8 tweets
17 Sep
Freud und Leid der schulischen Zusammenarbeit und ein paar Lücken im Schulgesetz, die allen schaden.
Ein Thread //

Ich bin ein großer Fan der Idee von schulischer Eigenverantwortlichkeit, da ich glaube, dass dies in einer diversen Stadt wie Berlin nur so fuktionieren kann. 1/x
Die weitere Idee der"demokratische Schule" ist Voraussetzung für eine gelingende Schulentwicklung, da diese nur dann funktioniert, wenn alle Pädagog*innen, Sch+ler*innen und Eltern gleichermaßen mit ihren Perspektiven und Lebenswirklichkeiten ergebnisoffen einbezogen werden. 2/x
Das aktuelle Schulgesetz ist dafür eine gute Basis, aber es ist hin zu Ende gedacht. Ein paar Punkte:

1.) Die schulische Selbstverwaltung, die operative Ebene und die Fachaufsicht müssen stärker voneinander getrennt werden. Es ist ein Rollenkonflikt, wenn Schulleitungen das 3/x
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3 Aug
Dieser Wahlkampf ist nebenbei bemerkt auch ein erstaunliches Versagen visueller Kommunikation insbesondere im Laschet-Team und das ist gefährlich. Ein paar Beispiele:

Armin Laschet, der mit Händen in der Manteltasche den Bürger in Not sprichwörtlich im Regen stehen lässt.
Armin Laschet, bei dem man sich fragt, wo er denn jetzt wieder mit den Gedanken ist, während sein Gesprächspartner ihn auf etwas aufmerksam machen möchte.
Nun ja...
Read 8 tweets
2 Aug
Die Regelung zum "Schulisch angeleiteten Lernen" für Kinder aus Risikogruppen der @SenBJF zeigt mal wieder, dass das Konzept von "Schulleitung" neu gedacht werden muss. Grundproblem:

Schulleitungen sind sowohl fachliche Letztentscheider in den Schulen, als auch Dienstherr, als
auch schulorganisatorisch verantwortlich, was immer wieder zu Rollenkonflikten führt. Ich nehme Bezug auf die aktuelle Weisungslage "Schulorganisation im SJ 2021/2022":

berlin.de/sen/bjf/corona…
Festgelegt wird, dass Kinder mit der Gefahr eines schweren Verlaufs von der Präsenzpflicht befreit werden können. Sie erhalten dann Lernmaterial für zu Hause. Das Problem: die Entscheidung trifft in jedem Einzelfall die Schulleitung, so dass am Ende ein Risiko bleibt, dass
Read 7 tweets
18 Jul
Muss man sich mal vergegenwärtigen:

Weil Studien vorausgesagt haben, dass Extremwetterlagen und entsprechende Schäden an Mensch und Infrastruktur aufgrund des Klimawandels zunehmen werden, schränken unter Anderem Bayern und NRW den Zugang zu Soforthilfen nach
Katastrophenfällen bereits im Jahr 2019 ein.

Statt aber dann auch etwas gegen den Klimawandel zu tun, wurden im Nachgang Gesetze erlassen, die das Versammlungsrecht einschränken und die u.A. Klimaaktivist*innen in Ausübung ihres Demonstrationsrechts kriminalisieren.

Oder
deutlich:

Bei den Konservativen weiss man sehr wohl, was die Stunde klimapolitisch geschlagen hat. Statt aber Klimaschutz zu betreiben, verlegt man sich drauf, die Schäfchen der finanziell Starken ins Trockene zu bringen und alle anderen notfalls mittels Polizei im Zaum zu
Read 4 tweets
11 Jul
Der Zynismus, mit dem Leute wie Friedrich Merz derzeit Lockerungen fordern, besteht darin, dass sie Longcovid und Krankenhausaufnahmen von Kindern marginalisieren, weil es angeblich nur wenige seien und man das Wohl aller Kinder sehen müsse. Mal ein paar Zahlen:

1/5
7-9% der an Covid19 erkrankten Kinder in Großbritannien weisen #LongCovid-Symptome auf. Das wären bei einer Durchseuchung der Schulen in Deutschland mehrere 10.000 Kinder. 1% der infizierten Kinder landet mit Atemnot in Krankenhäusern. 2/5

theguardian.com/society/2021/j…
7-9% wären an einer Grundschule mit 500 Kindern 35-45 Kinder. Das sind zwei ganze Klassenstärken.

1% im Krankenhaus wären zwar "nur" 5, aber wer erklärt den betreffenden Kindern, ihren Eltern und deren Freunden, dass panische Atemnot, teilweise irreparable Organschäden und 3/5
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