Warum ich als Geimpfter gegen eine (indirekte) Impfpflicht bzw. gegen eine unterschiedliche Behandlung von Geimpften und Ungeimpften bin? Ich aber gleichzeitig den meisten Erwachsenen die Impfung empfehle, aber eben nicht aufzwingen möchte? Ein etwas längerer Thread. (1/n)
Dass ich hier überhaupt meinen Impfstatus kundtue, den ich eigentlich für eine sehr persönliche Info halte, um so meine Aussage zu stärken, da ansonsten die Gefahr bestünde, dass man als Ungeimpfter abgetan wird, (2/n)
der nur seine eigene Freiheit argumentativ untermauern möchte, zeigt das Problem auf. Die Stagmatisierung zwischen Geimpft und Ungeimpft. Zunächst einmal: Warum empfehle ich die Impfung für die meisten Erwachsenen? (3/n)
Weil sie mit den vorliegenden Daten für diese Gruppe eine Minimierung der Wahrscheinlichkeit schwerer Verläufe darstellt und zugleich die Wahrscheinlichkeit für schwere Impfnebenwirkungen gering ist. (4/n)
Warum bin ich aber dennoch gegen eine unterschiedliche Behandlung von Geimpften und Ungeimpften?
1. Es gibt keine sterile Immunität. Auch Geimpfte können sich infizieren und das Virus weitergeben. Zwar zeigen die Daten, (5/n)
dass auch die Impfung zu Beginn gut gegen Infektion schützen, doch die Infektionsschutz lässt mit der Zeit nach. Deshalb halte ich auch 2G für nicht angebracht. Sieht man sich die 2G-Party in Münster an, bei der von 380 Gästen sich 85 Gäste infiziert haben, (6/n)
obwohl sie entweder Genesen oder Geimpft waren, zeigt es, dass 2G nicht zum Infektionsschutz geeignet ist und es daher lediglich eine Ungleichbehandlung darstellt. Ich gehe davon aus, (7/n)
dass das Publikum eher jünger gewesen sein wird und daher die Impfung bei den meisten erst nach Aufhebung der Priorisierung erfolgt war und somit noch nicht sehr lange zurück lag. Kann es da wirklich richtig sein, dass Getestete, (8/n)
die eben nachgewiesenermaßen sehr wahrscheinlich nicht infektiös sind, ausgeschlossen werden? Die Impfungen schützen aber vor schweren Verläufen, so dass es ein hervorragender individueller Schutz ist. (9/n)
2. Jeder von uns besitzt ein persönliches Risikoprofil sowohl COVID-19 zu bekommen, als auch für einen schweren Verlauf. Die einen sind jung, die anderen alt, einige gehören aus gesundheitlichen Gründen einer Risikogruppe an, andere wiederum sind kerngesund. (10/n)
Die einen kommen mit vielen unterschiedlichen Menschen in engen Kontakt, andere wiederum sind fast nur zu Hause und arbeiten im Home Office. Jeder hat ein anderes Risiko. Wie immer bei Wahrscheinlichkeiten, kann das Unwahrscheinliche dennoch eintreffen. (11/n)
Das gilt sowohl für COVID-19, als auch für die Impfung. Hier muss also jeder für sich abwägen und für sich eine Entscheidung treffen. Denn am Ende muss jeder selbst auch mit der Entscheidung leben.
3. Auch Impfungen können Nebenwirkungen haben. (12/n)
Zwar sind schwere Impfnebenwirkungen bei Erwachsenen unwahrscheinlicher als ein schwerer COVID-19-Verlauf. Aber auch hier muss das persönliche Risiko mit betrachtet werden. Denn wenn sich jemand impft, (13/n)
setzt er sich dem wenn auch sehr geringem Risiko einer Impfnebenwirkung aus. Nochmals, ich halte die Impfung für empfehlenswert für einen Erwachsenen, da hiermit das Risiko eines schweren Verlaufs minimiert wird. (14/n)
Darf jemand für sich selbst aber zu einer anderen Risikoeinschätzung kommen? In Anbetracht der unterschiedlichen Risikoprofile, denke ich schon.
4. So, wie es aussieht, müssen Impfungen regelmäßig aufgefrischt werden. Es ist eben nicht so, (15/n)
wie bei anderen Impfungen im Kindesalter, die man nur einmal erhält und dann der Immunstatus ein Leben lang anhält. Wie lange die Impfung zumindest vor schweren Verläufen schützt, wissen wir allerdings noch nicht. (16/n)
Dafür konnten wir die Impfwirkung noch nicht lange genug beobachten.
5. Solidarität - Es wird immer wieder das Argument der Solidarität angebracht. Ehrlicherweise halte ich dieses Argument für etwas verlogen. Denn ich beobachte, (17/n)
dass Solidarität meist nur dann eingefordert wird, wenn es nicht zum eigenen Nachteil ist. Zu Beginn der Impfkampagne wurde eine Priorisierung vorgenommen. Dennoch gab es Leute, die versucht haben, die Priorisierung zu umgehen. Und das zu einem Zeitpunkt, (18/n)
als der Impfstoff noch knapp war und damit einer vulneablen Person gefehlt hat. Dann wurde darüber debattiert, ob die bereits Geimpfte wieder ihre Grundrechte uneingeschränkt ausüben dürfen. Der Aufschrei war groß, denn es wäre ungerecht, (19/n)
weil man selbst ja noch keine Chance hatte sich impfen zu lassen. Doch gibt es diese Solidarität jetzt auch mit den Kindern? Tragen wir Erwachsene jetzt auch jeden Tag mehrere Stunden Maske und testen uns mehrmals wöchentlich, wie es die Schüler tun? (20/n)
Sind wir da auch solidarisch mit den Kindern und machen das solange weiter, bis es die Kinder nicht mehr müssen? Generell haben wir von Kindern Dinge verlangt, die wir selbst nicht von uns eingefordert haben. So gab es eine Testpflicht für Schüler, (21/n)
in Unternehmen aber nur eine Pflicht Tests anzubieten. Generell wurde das Bild von kleinen Virenschleudern gezeichnet, obwohl gezeigt werden konnte, dass in Haushalten die Infektionen wohl eher von Erwachsenen auf die Kinder übergegangen sind, als anders herum. (22/n)
Und obwohl die Kinder einerseits wohl weniger das Virus an Erwachsene übertragen, wie umgekehrt und sie gleichzeitig weniger gefährdet sind, bürden wir ihnen am Meisten auf. Noch ein weiterer Punkt, der mir wichtig ist zur Solidarität. Wie solidarisch werden wir sein, (23/n)
wenn bei Jemandem der sehr unwahrscheinliche Fall eintritt, dass er aufgrund einer Impfnebenwirkung bspw. seinen Job nicht weiter ausüben kann? Werden wir aus Solidarität seinen Einkommensverlust ausgleichen, weil die Person sich aus Solidarität hat impfen lassen? (24/n)
Ich kann es mir nur schwer vorstellen, dass das passieren wird. Und genau deshalb sollte jeder für sich selbst die Entscheidung treffen und mit dieser dann auch leben. Es ist wichtig, (25/n)
dass die Menschen sachgerecht aufgeklärt werden anstatt sie dazu zu nötigen und sie dann aber sich selbst zu überlassen, wenn es Probleme gibt. Verspüren die Menschen Druck und verlieren sie das Vertrauen, wird es immer schwerer sie davon zu überzeugen, (26/n)
dass eine Impfung für sie die bessere Wahl wäre. Das Vertrauen in die Zahlen und die Aussagen ist dann abhanden gekommen.
6. Gesundheitsschutz - Der Gesundheitsschutz wird immer wieder ins Feld geführt. Doch wieviele der Personen, (27/n)
die aufgrund von persönlich zu verantwortenden Umständen ein erhöhtes Risiko für schwere COVID-19-Verläufe aufweisen, haben während der letzten 1,5 Jahre daran gearbeitet, diese persönlichen Risiken zu minimieren? Wäre das nicht konsequent gewesen? (28/n)
Es gibt sicherlich noch weitere Punkte, doch diese waren mir besonders wichtig. Ich halte es für wichtig, dass man mit gut ermittelten Zahlen die Menschen davon überzeugt, dass die Impfung für sie die bessere Entscheidung ist. Da kommen wir zum Punkt der Datenqualität. (29/n)
Unter meinen Tweets wird man auch welche finden, die einschränkend bzgl. der vermeintlich gezeigten Wirksamkeit der Impfung in Bezug auf Infektiosität sind. Hierbei geht es mir nicht darum, die Impfung schlecht zu machen. Ich halte es nur für wichtig, (30/n)
dass Aussagen auf möglichst sauberen Daten getroffen und die Daten korrekt interpretiert werden. Wenn man sich die Inzidenz zwischen Geimpften und Ungeimpften anschaut und dann die Zahlen des RKI zu Impfdurchbrüchen nimmt, (31/n)
diese Zahl als Infektionen von Geimpften sieht und alle anderen von Ungeimpften und das dann ins Verhältnis setzt, ist das einfach falsch. Denn Impfdurchbrüche sind laut RKI nur diejenigen, die auch Symptome aufweisen. (32/n)
Demnach sind nicht alle anderen automatisch Ungeimpfte. Zumal ohnehin noch geschaut werden muss, wie die Daten erhoben werden. Wer wird noch wie oft getestet? Leider haben wir bis heute keine repräsentativen Zahlen. Doch was bringt es uns, (33/n)
wenn wir mit falschen Zahlen agieren? Das führt nur dazu, dass Menschen skeptisch werden und das Vertrauen verlieren und somit sich eher nicht impfen lassen. Es führt auch dazu, dass wir falsche Rückschlüsse führen und damit Maßnahmen ergreifen, (34/n)
die ungeeignet sind oder größere Schäden verursachen, als dass sie welche verhindern. Was bringt uns das? Nur mit einer sauberen Datenerhebung und -interpretation können wir korrekte Rückschlüsse treffen. Uns bringen Maßnahmen nichts, die mehr Schaden anrichten, (35/n)
weil sie aufgrund einer unsauberen Datenlage getroffen werden.

Als gerade noch so in der DDR Geborener, kenne ich vielen Erzählungen aus dem persönlichen Umfeld, wie eingeschränkt und unfrei die Bürger damals leben mussten. Deshalb bin ich stolz darauf, (36/n)
wie sich die Bürger der DDR die Freiheit erkämpft haben. Auch finde ich es schön zu sehen, wie wir immer weiter Diskriminierung abbauen. Doch nun wollen Einige eine Gruppe von Menschen vom sozialen Leben ausschließen und ihnen die Freiheit nehmen, (37/n)
obwohl es keine sterile Immunität gibt und sie selbst durch die Impfung besser vor dem Virus geschützt sind, als wir vor Entwicklung der Impfstoffe uns hätten erträumen lassen können? Wir können immer weiter versuchen Risiken zu minimieren. (38/n)
Bis zu einem gewissen Grad ist das auch richtig. Doch die Verhältnismäßigkeit muss gewahrt bleiben. Ansonsten müssten wir auch den Straßenverkehr verbieten, bei dem jährlich über 300.000 Menschen in Deutschland verletzt und knapp 3.000 getötet werden. (39/n)
Jeder Autofahrer stellt somit für einen anderen eine potentielle Gefahr dar. Wir sind nun auch nicht mehr am Beginn der Pandemie. Mittlerweile ist ein absoluter Großteil der gerade vulneablen Gruppe durch Impfung geschützt. (40/n)
Wenn wir nicht jetzt langsam zur Normalität zurückkommen, wann dann?

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20 Jul
Eine Kritik an der Schweizer Studie zu Long Covid bei Kindern ist, dass die Studie nur 109 seropositive Kinder aufweist. Nat. ist eine geringe Zahl immer problematisch bei der Einschätzung. Wie sicher kann man sich mit den angegebenen Werten sein?
medrxiv.org/content/10.110… (1/n)
Bei der Studie wurden 109 Kinder im Alter von 6-16 Jahren einbezogen, die positiv auf COVID-19-Antikörper getestet wurden. Außerdem gab es eine Kontrollgruppe von 1246 Personen, die negativ getestet wurden. So ist eine Überprüfung möglich, inwieweit Virus ursächlich ist. (2/n)
Von den 109 Seropositiven hatten 4 länger als 12 Wochen lang mindestens ein Symptom gemeldet (≈ 3,67%) im Vergleich zu 28 von 1246 in der Vergleichsgruppe (≈ 2,25%). Doch wie sicher können wir uns sein, dass diese Werte auch bei einer höheren Testgruppe auftreten würden? (3/n)
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16 Jul
Prof. Dr. #Mertens, Leiter der #STIKO, gestern in der Sendung bei Markus Lanz (zdf.de/gesellschaft/m…) zur Thematik #LongCovidKids (ab min. 14:15)

„Und auch das berühmte Long-Covid-Syndrom, wenn sie wirklich die Literatur sich anschauen, die es bisher gibt für Kinder, ... (1/n)
stellen sie fest, dass es praktisch keine brauchbaren Daten gibt. Es gibt eine gute, darf ich das noch sagen: Wenn sie eine Studie machen wollen zu Long-Covid bei Kindern, dann müssen sie vergleichen zwei Gruppen von Kindern, ... (2/n)
...die unter den gleichen Bedingungen gelebt haben, sprich Shutdown, keine Schule, zuhause in der Etagenwohnung mit 5 Leuten und sozusagen und schlechter Stimmung. Und eine Gruppe muss dann sozusagen zusätzlich noch die Infektion gehabt haben ... (3/n)
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9 Jul
"Studie zu Long-Covid-Patienten – Fast 80% haben nach einem Jahr Beschwerden“

Solch Überschriften und auch solch nachfolgende Abstracts wie im Artikel von @ntvde sollte es nicht geben. Sie suggerieren, dass 80% der Infizierten auch nach einem Jahr Beschwerden haben werden. (1/n)
@ntvde Doch die Studie ist offensichtlich nicht repräsentativ.
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@ntvde Beispielsweise hatten 12,5% der 96 in die Studie einbezogenen Personen Asthma, 35,1% Bluthochdruck, 24% Adipositas (BMI > 30).

2.) Mit 96 Personen gab es nur eine sehr geringe Anzahl untersuchter Personen.

(3/n)
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20 May
Als Modelierer lassen mich solche Artikel verwundert zurück. Es wird nicht ausreichend berücksichtigt, dass Aufhellung des Dunkelfeldes zum Anstieg der Fallzahlen beigetragen haben. Es wurde auch nicht bei der Präsentation der Modelle kommuniziert. fr.de/wissen/corona-… (1/23)
Doch die gemeldeten Fallzahlen, die den Anstieg der Aufhellung des Dunkelfeldes beinhalten - durch Schnelltests bei meist asymptomatischen Gruppen (Kita-Kinder, Schüler) und anschließender Verifizierung durch PCR-Test - sind die Grundlage für die Modelle. (2/23)
Wenn ich nun diese Datengrundlage nehme und den Anstieg prognostiziere, tue ich so, als wenn die Aufhellung des Dunkelfeldes die Änderung des Infektionsverlaufs widerspiegelt. Das ist jedoch nicht so, denn zumindest ein Teil des Anstiegs ist dem Testverhalten zuzuschreiben.(3/23)
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2 May
@OlafGersemann @welt Das Problem ist die Datengrundlage, auf derer die Prognosen beruhen und die Nichtberücksichtigung von Parametern, wie Saisonalität. Als Data Scientist mit Expertise im Bereich Prognosen muss ich das so klar sagen. Wir brauchen verlässliche Daten. (1/11)
@OlafGersemann @welt Die Prognosen beruhen auf den gemeldeten Fallzahlen. Bevor die Prognosen durchgeführt wurden, wurde die Teststrategie geändert. Es gab vermehrt Schnelltests, wodurch die zeitliche Vergleichbarkeit nicht mehr möglich ist. (2/11)
@OlafGersemann @welt Gerade Gruppen wurden nun häufig mittels Schnelltests getestet, die zuvor keinen PCR-Test gemacht hätten. Es wurde gerade die junge Personengruppe getestet, die meist asymptomatisch ist (Schüler und Kita-Kinder). Ein positives Ergebnis wird mittels PCR-Test verifiziert. (3/11)
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