Dass die Leute unterschiedlich intelligent sind, ist eine triviale Beobachtung. Deutlich interessanter wird es, wenn man stattdessen sagt: Die Leute sind unterschiedlich rational. Was das bedeutet und wo Sie da möglicherweise stehen, das können Sie in diesem Thread erfahren. |1
2| Wenn Sie mögen, lesen Sie sich zum Einstieg diese 3 simplen Aufgaben durch. Lösen Sie sie so schnell, wie Sie können. Ich habe die Aufgaben aus Q1 entnommen und für unsere Zwecke hier übersetzt. Wenn Sie fertig sind (oder keine Lust zu rechnen haben), lesen Sie einfach weiter.
3| Das Fiese an den drei Aufgaben ist nicht, dass sie schwierig sind, sondern dass unsere Intuition eine Lösung präsentiert, bevor wir überhaupt mit Rechnen beginnen: 10 Cent, 100 Minuten, 24 Tage. Unsere Intuition liegt aber eben falsch. Richtig wäre: 5 Cent, 5 Minuten, 47 Tage.
4| Sie waren vielleicht wegen des Eingangsframings schon misstrauisch und haben sich nicht austricksen lassen. Schauen Sie mal, wie viele Harvard-Studenten unter Wettbewerbsbedingungen an diesem "Cognitive Reflection Test" (CRT) scheitern. 0-3 = Zahl der richtigen Antworten (Q1).
5| Der CRT ist so angelegt, dass man nicht aus einem Mangel an genereller Intelligenz scheitert. Fehler machen diejenigen, die gar nicht erst anfangen, bewusst, konzentriert und regelgebunden zu denken; was Kahneman als "langsames" oder "System 2"-Denken populär gemacht hat (Q2).
6| Der Test bestraft systematisch "schnelles" bzw. "System 1"-Denken, also intuitive Antworten, die das Gehirn unbewusst und automatisch erzeugt. Wir alle denken ständig so. Aber manche Leute überprüfen und reflektieren ihre Intuitionen mit rationalem Denken eben mehr als andere.
7| Wie dieses kognitive Merkmal individuell ausgeprägt ist, korreliert auch signifikant mit Präferenzen bei Entscheidungen, z.B. mit Geduld: 60% der Probanden ohne Fehler beim CRT würden lieber 3.800$ in einem Monat als 3.400$ sofort nehmen, bei Probanden mit 3 Fehlern nur 35%.
8| Anderes Beispiel: Risikobereitschaft. 57% der Probanden ohne Fehler beim CRT würden lieber eine 75% Chance auf 4.000$ nehmen, als 1.000$ sicher zu erhalten. Von den Probanden mit 3 Fehlern würden dagegen nur 37% dieselbe Entscheidung treffen.
9| Auch Geschlechterunterschiede gibt es: Frauen verlassen sich häufiger auf ihre Intuition als Männer. Weil der CRT das aber bestraft, machen Frauen im Mittel 2 Fehler, Männer 1,5. Auch der Effekt ist anders: Frauen mit perfektem CRT sind geduldiger, Männer risikofreudiger (Q1).
10| Was sagt uns das? Die Tendenz, schnelle Intuitionen durch langsames rationales Denken zu kontrollieren, ist ein persönliches Merkmal wie viele andere auch. Es ist individuell unterschiedlich stark ausgeprägt und hängt mit der Art, wie die Leute denken und handeln, zusammen.
11| Dass auch intelligente Menschen irrational agieren können, dürfte niemanden überraschen. Diese Ergebnisse zeigen, warum. Intelligenz und Irrationalität sind kein Widerspruch. Wir alle haben schnelle Intuitionen und nicht immer knipsen wir rechtzeitig unser rationales Hirn an.
12| Quellen:
Q1: doi.org/10.1257/089533…
Q2: ISBN 978-3328100348

• • •

Missing some Tweet in this thread? You can try to force a refresh
 

Keep Current with Titiat Scriptor

Titiat Scriptor Profile picture

Stay in touch and get notified when new unrolls are available from this author!

Read all threads

This Thread may be Removed Anytime!

PDF

Twitter may remove this content at anytime! Save it as PDF for later use!

Try unrolling a thread yourself!

how to unroll video
  1. Follow @ThreadReaderApp to mention us!

  2. From a Twitter thread mention us with a keyword "unroll"
@threadreaderapp unroll

Practice here first or read more on our help page!

More from @titiatscriptor

12 Oct
Ich mag theoretische Fragen. Deshalb finde ich es toll, wenn die Leute diskutieren, ob "Weißsein"/"Schwarzsein" ein "Konstrukt" ist. Hier kommt ein kleiner Versuch, allerseits wohlwollend aufzudröseln, auf welchen Ideen diese Perspektive eigentlich beruht. Warnung: langweilig. |1
2| Kurze Vorbemerkung: Das ist ein Textchen für interessierte Laien, die sich vielleicht über die Idee von "sozialen Konstrukten" wundern oder einfach mal einen Blick unter die theoretische Motorhaube werfen wollen. Für Aficionados hat das hier sicherlich viel zu wenig Tiefgang.
3| Am Anfang steht diese Frage: Wie ist unsere Welt in Wahrheit beschaffen? Und jetzt stellen Sie sich mal vor, die vielen möglichen Antworten auf diese große Frage befinden sich auf einem Spektrum.
Am einen Ende dieses Spektrums finden wir Annahmen wie die folgenden vor:
Read 12 tweets
10 Oct
Anderen die Freundschaft aufzukündigen, wenn man sich politisch zu weit voneinander entfernt hat, wird hier mitunter als verständlich oder sogar sinnvoll beklatscht. Eine neue Studie gibt Hinweise, dass wir unsere andersdenkenden Freunde eigentlich besonders schätzen sollten. |1
2| Verstehen muss man dafür zunächst dieses Phänomen: Die aggregierte Meinung einer Gruppe ist tendenziell akkurater als die ihrer einzelnen Mitglieder. Dieser "Wisdom of the Crowd"-Effekt ist zigfach für Fragen in Politik, Wirtschaft, Sport, Technologie usw. nachgewiesen (Q1).
3| Das klappt nicht immer, aber besonders dann gut, wenn individuelle Faktoren (z.B. kognitive Verzerrungen) eine einzelne Vorhersage prägen. Dann gleicht das Zusammenführen vieler Datenpunkte solche Verzerrungen teilweise aus und produziert vergleichsweise akkurate Resultate.
Read 9 tweets
4 Oct
Es kam eine Anfrage: ob ich in einem lokalen Diversity-Gremium mitwirken wolle? Weil dazu gute Kenntnisse der Materie sinnvoll sind, habe ich in die Forschung geschaut: Was haben Unternehmen von Diversity? Ich muss sagen, das lief überhaupt nicht wie erwartet. Hier die Daten |1
2| Meine Kenntnisse der Thematik beschränkten sich bisher auf Beiträge wie diesen (Q1). Die verheißenen Vorteile der Vielfalt wollte ich jetzt in der Fachliteratur erkunden, spezifisch diese Frage: Wie wirkt sich Diversity auf Teamperformance aus? Macht Vielfalt ein Team besser?
3| Erster Eindruck: So eine wilde Literatur sieht man nicht jeden Tag. 10 große Meta-Studien hatte ich am Ende gelesen. Klare Resultate? Fehlanzeige. Dafür Korrelationen jeder Art, Richtung und Signifikanz, und immer neue Fragezeichen. Oder um es akademisch-höflich zu sagen (Q2):
Read 15 tweets
30 Sep
Die Hufeisentheorie zur Äquivalenz von links und rechts wird heiß diskutiert und regelmäßig zu Recht kritisiert. Abseits dieser Debatte häufen sich derweil die Indizien, dass die politischen Extreme wenigstens in einem Punkt fundamental gleichartig sind: in ihrer Psychologie. |1
2| Dieser Thread führt uns ins Territorium der Sozialpsychologie. Dort wird (nicht zufällig) seit den 1930ern unter dem Schlagwort Autoritarismus über eine Variante der Hufeisenfrage gestritten: Gibt es Autoritarismus nur rechts oder auch links? Ist er für beide Seiten gleich? Q1
3| Anders als in unserer öffentlichen Debatte geht es aus dieser psychologischen Perspektive nicht um Inhalte, Strukturen und Bedrohungspotenzial politisch extremer Gruppierungen, sondern um Persönlichkeitsmerkmale, kognitive Eigenschaften und Motivation ihrer einzelnen Anhänger.
Read 11 tweets
28 Sep
Manche Tiere verfügen über die bemerkenswerte Fähigkeit, mit nur einer Gehirnhälfte zu schlafen. Der kleine Sperling im Bild ist gerade dabei und hält deshalb auch im Schlaf immer ein Auge geöffnet. Wussten Sie, dass Sie selbst so etwas Ähnliches auch manchmal machen? |1 Image
2| Wenn Sie das erste Mal in einer fremden Umgebung übernachten, reagiert Ihr Körper darauf möglicherweise so: Während Ihre rechte Gehirnhälfte einen normalen Schlafrhythmus durchläuft, verweigert die linke Hälfte tiefen Schlaf und bleibt etwa empfänglicher für Umweltgeräusche.
3| Dieser "First Night Effect" ist einer der Gründe, warum viele Menschen die erste Nacht im Hotel als wenig erholsam empfinden. Er korreliert mit langer Einschlafdauer: Wenn Sie also im Hotel lange wach liegen, kommt mit größerer Wahrscheinlichkeit auch dieser Effekt noch hinzu.
Read 5 tweets
23 Sep
Ich hatte heute ein Vorstellungsgespräch, in dem die junge Bewerberin mit großem Selbstbewusstsein sagte, sie sei eine hervorragende Multitaskerin. Ich habe das im Gespräch nicht kommentiert, hole das jetzt aber gerne für alle nach: nein, sind Sie nicht. Hier sind die Daten. |1
2| Multitasking heißt landläufig: mehrere Dinge zeitgleich tun. So geht das aber i.d.R. nicht, weil das Gehirn immer nur eine kognitiv schwierige Aufgabe schafft. In Wahrheit ist Multitasking das Hin- und Herwechseln zwischen Aufgaben. Die Forschung sagt oft Task Switching dazu.
3| Konzentriertes Denken funktioniert zeitgleich nur zusammen mit sehr habitualisierten Tätigkeiten, Laufen z.B., und selbst da nicht gut. Plastisches Beispiel: In einem Versuch übersehen Fußgänger mit Handy am Ohr doppelt so oft einen einradfahrenden Clown wie die ohne Handy. Q1
Read 12 tweets

Did Thread Reader help you today?

Support us! We are indie developers!


This site is made by just two indie developers on a laptop doing marketing, support and development! Read more about the story.

Become a Premium Member ($3/month or $30/year) and get exclusive features!

Become Premium

Too expensive? Make a small donation by buying us coffee ($5) or help with server cost ($10)

Donate via Paypal Become our Patreon

Thank you for your support!

Follow Us on Twitter!

:(