Warum Frauen nicht lustig sind: Diesen Titel wagte einst Christopher Hitchens für einen Essay. Die Empörung über den Text und das alte Vorurteil dahinter wird ihn nicht überrascht haben. Allerdings: Die Daten sprechen eher für Hitchens. Empörend? Erst lesen, dann entscheiden |1
2| Die Humorforschung sieht Humor als individuelle kognitive Fähigkeit, die lose mit Intelligenz, Kreativität und Sprachkompetenz zusammenhängt. Einige Studien untersuchen, wie Männer und Frauen sich dabei unterscheiden. Eine neue Meta-Studie fasst die Ergebnisse zusammen (Q1).
3| Die Grafik zeigt die Resultate von 28 Studien (N=5.057), die alle messen, ob Männer oder Frauen humorvoller sind. Ermittelt wird das, indem unabhängige Dritte blind bewerten, was Männer und Frauen an Humor produzieren. Bei Werten größer 0 haben Männer im Schnitt die Nase vorn.
4| Insgesamt errechnet die Meta-Studie eine Effektgröße (grob: der Mittelwertunterschied zwischen der Männer- und Frauengruppe) von d=0,32. Das ist ein eher moderater Unterschied. Anschaulicher wird es so: 63 % der untersuchten Männer liegen über dem Humormittelwert der Frauen.
5| Und weil die Bewertungen dabei von Männern und Frauen kommen und diese nicht wissen, ob sie Männer oder Frauen bewerten, kann man feststellen: Beide Geschlechter finden Männer im Schnitt tatsächlich etwas humorvoller als Frauen. Die Frage ist dann natürlich: Warum ist das so?
6| Wie immer bei psychologischen Geschlechterunterschieden dürfte es auch hier ein Mix aus sozialen und evolutionären Faktoren sein. Die Theorie hinter der evolutionären Erklärung habe ich im verlinkten Thread ausführlich erläutert, daher hier nur kurz:

7| Weil Frauen bei der Partnerwahl wählerischer sind, haben Männer stärkeren Konkurrenzdruck. Sie müssen Frauen von ihren Partnerqualitäten mehr überzeugen. Studien zeigen, dass für Frauen Humor dabei ein deutlich wichtigeres Kriterium für die Attraktivität eines Partners ist.
8| Grob gesagt: Männer und Frauen wünschen sich humorvolle Partner, aber Frauen suchen eher Männer, die Humor haben (im Bild: "producer"), während Männer sich relativ häufiger Frauen wünschen, die ihren eigenen Humor schätzen. Insgesamt zahlt sich Humor für Männer mehr aus (Q2).
9| Die Evolutionslogik geht in etwa so: Frauen legen viel mehr Wert auf Partner mit Humor (evtl. als Signal für Intelligenz), also brauchen Männer auch mehr Humor, um sich fortpflanzen zu können. Sie müssen dazu auch mehr konkurrieren. Ergo maximieren Männer Humor, Frauen nicht.
10| Davon unbenommen beschreibt die Forschung aber auch soziale Faktoren, die Humor für Männer und Frauen verschieden machen (z.B. Q3). Ein sehr eindrückliches Beispiel, das ich stellvertretend für solche sozialen Muster und Rollen kurz nennen will, betrifft Humor bei der Arbeit.
11| Probanden sollen Status, Kompetenz und Führungsqualität von Menschen bei einer Präsentation bewerten. In manchen Fällen nutzen die Vortragenden dabei Humor, in anderen nicht. Frappierendes Resultat: Welches Geschlecht scherzt, ändert die Wahrnehmung der Probanden massiv (Q4).
12| Das Bild zeigt: Männer werden für Humor belohnt, ihr Status steigt. Frauen werden für Humor bestraft, ihr Status sinkt. Selbes Verhalten, ganz andere Wirkung. Wenn die Gesellschaft aber lustige Männer schätzt und Frauen abwertet, muss man sich über Unterschiede nicht wundern.
13| Zusammengefasst: Männer werden im Mittel von beiden Geschlechtern als humorvoller wahrgenommen und das hat vermutlich evolutionäre wie auch soziale Gründe. Wie bei einigen Stereotypen über Gruppen finden wir auch hier tatsächlich objektiv messbare Unterschiede in den Daten.
14| Und weil das hier Twitter ist, sage ich lieber noch explizit dazu: Wir sprechen über Gruppen, nicht Individuen. Zum schädlichen Vorurteil werden solche Daten, wenn man daraus auf einzelne Männer oder Frauen schließt. Jeder weiß, dass es Männer ohne und Frauen mit Humor gibt.
15| So, das war's. Als kleinen Rausschmeißer verlinke ich hier noch den eingangs erwähnten Hitchens-Essay. Hinter dem Pomp und der Polemik steckt, finde ich jedenfalls, ein sehr scharfsinniger, wohlwollender Text, der viel besser ist als sein Ruf.

vanityfair.com/culture/2007/0…

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14 Oct
Dass die Leute unterschiedlich intelligent sind, ist eine triviale Beobachtung. Deutlich interessanter wird es, wenn man stattdessen sagt: Die Leute sind unterschiedlich rational. Was das bedeutet und wo Sie da möglicherweise stehen, das können Sie in diesem Thread erfahren. |1
2| Wenn Sie mögen, lesen Sie sich zum Einstieg diese 3 simplen Aufgaben durch. Lösen Sie sie so schnell, wie Sie können. Ich habe die Aufgaben aus Q1 entnommen und für unsere Zwecke hier übersetzt. Wenn Sie fertig sind (oder keine Lust zu rechnen haben), lesen Sie einfach weiter.
3| Das Fiese an den drei Aufgaben ist nicht, dass sie schwierig sind, sondern dass unsere Intuition eine Lösung präsentiert, bevor wir überhaupt mit Rechnen beginnen: 10 Cent, 100 Minuten, 24 Tage. Unsere Intuition liegt aber eben falsch. Richtig wäre: 5 Cent, 5 Minuten, 47 Tage.
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12 Oct
Ich mag theoretische Fragen. Deshalb finde ich es toll, wenn die Leute diskutieren, ob "Weißsein"/"Schwarzsein" ein "Konstrukt" ist. Hier kommt ein kleiner Versuch, allerseits wohlwollend aufzudröseln, auf welchen Ideen diese Perspektive eigentlich beruht. Warnung: langweilig. |1
2| Kurze Vorbemerkung: Das ist ein Textchen für interessierte Laien, die sich vielleicht über die Idee von "sozialen Konstrukten" wundern oder einfach mal einen Blick unter die theoretische Motorhaube werfen wollen. Für Aficionados hat das hier sicherlich viel zu wenig Tiefgang.
3| Am Anfang steht diese Frage: Wie ist unsere Welt in Wahrheit beschaffen? Und jetzt stellen Sie sich mal vor, die vielen möglichen Antworten auf diese große Frage befinden sich auf einem Spektrum.
Am einen Ende dieses Spektrums finden wir Annahmen wie die folgenden vor:
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10 Oct
Anderen die Freundschaft aufzukündigen, wenn man sich politisch zu weit voneinander entfernt hat, wird hier mitunter als verständlich oder sogar sinnvoll beklatscht. Eine neue Studie gibt Hinweise, dass wir unsere andersdenkenden Freunde eigentlich besonders schätzen sollten. |1
2| Verstehen muss man dafür zunächst dieses Phänomen: Die aggregierte Meinung einer Gruppe ist tendenziell akkurater als die ihrer einzelnen Mitglieder. Dieser "Wisdom of the Crowd"-Effekt ist zigfach für Fragen in Politik, Wirtschaft, Sport, Technologie usw. nachgewiesen (Q1).
3| Das klappt nicht immer, aber besonders dann gut, wenn individuelle Faktoren (z.B. kognitive Verzerrungen) eine einzelne Vorhersage prägen. Dann gleicht das Zusammenführen vieler Datenpunkte solche Verzerrungen teilweise aus und produziert vergleichsweise akkurate Resultate.
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4 Oct
Es kam eine Anfrage: ob ich in einem lokalen Diversity-Gremium mitwirken wolle? Weil dazu gute Kenntnisse der Materie sinnvoll sind, habe ich in die Forschung geschaut: Was haben Unternehmen von Diversity? Ich muss sagen, das lief überhaupt nicht wie erwartet. Hier die Daten |1
2| Meine Kenntnisse der Thematik beschränkten sich bisher auf Beiträge wie diesen (Q1). Die verheißenen Vorteile der Vielfalt wollte ich jetzt in der Fachliteratur erkunden, spezifisch diese Frage: Wie wirkt sich Diversity auf Teamperformance aus? Macht Vielfalt ein Team besser?
3| Erster Eindruck: So eine wilde Literatur sieht man nicht jeden Tag. 10 große Meta-Studien hatte ich am Ende gelesen. Klare Resultate? Fehlanzeige. Dafür Korrelationen jeder Art, Richtung und Signifikanz, und immer neue Fragezeichen. Oder um es akademisch-höflich zu sagen (Q2):
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30 Sep
Die Hufeisentheorie zur Äquivalenz von links und rechts wird heiß diskutiert und regelmäßig zu Recht kritisiert. Abseits dieser Debatte häufen sich derweil die Indizien, dass die politischen Extreme wenigstens in einem Punkt fundamental gleichartig sind: in ihrer Psychologie. |1
2| Dieser Thread führt uns ins Territorium der Sozialpsychologie. Dort wird (nicht zufällig) seit den 1930ern unter dem Schlagwort Autoritarismus über eine Variante der Hufeisenfrage gestritten: Gibt es Autoritarismus nur rechts oder auch links? Ist er für beide Seiten gleich? Q1
3| Anders als in unserer öffentlichen Debatte geht es aus dieser psychologischen Perspektive nicht um Inhalte, Strukturen und Bedrohungspotenzial politisch extremer Gruppierungen, sondern um Persönlichkeitsmerkmale, kognitive Eigenschaften und Motivation ihrer einzelnen Anhänger.
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28 Sep
Manche Tiere verfügen über die bemerkenswerte Fähigkeit, mit nur einer Gehirnhälfte zu schlafen. Der kleine Sperling im Bild ist gerade dabei und hält deshalb auch im Schlaf immer ein Auge geöffnet. Wussten Sie, dass Sie selbst so etwas Ähnliches auch manchmal machen? |1 Image
2| Wenn Sie das erste Mal in einer fremden Umgebung übernachten, reagiert Ihr Körper darauf möglicherweise so: Während Ihre rechte Gehirnhälfte einen normalen Schlafrhythmus durchläuft, verweigert die linke Hälfte tiefen Schlaf und bleibt etwa empfänglicher für Umweltgeräusche.
3| Dieser "First Night Effect" ist einer der Gründe, warum viele Menschen die erste Nacht im Hotel als wenig erholsam empfinden. Er korreliert mit langer Einschlafdauer: Wenn Sie also im Hotel lange wach liegen, kommt mit größerer Wahrscheinlichkeit auch dieser Effekt noch hinzu.
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