Den Satz „Sprachwandel ist ganz natürlich!“ liest man so oder so ähnlich ziemlich oft auf Twitter, vor allem wenn es um Dinge wie Gendern oder Jugendsprache geht. Aber was bedeutet das genau? 🌀
🌀 Sprachwandel ist, oh Wunder, Veränderungen in einer Sprache. „Natürlich“ bezieht sich darauf, dass Sprachwandel in allen lebenden Sprachen vorkommt, er ist unmöglich aufzuhalten und quasi ein natürliches Beiprodukt menschlicher Kommunikation.
🌀 Dass Sprachwandel existiert können wir leicht erkennen, indem wir uns einen beliebigen Text nehmen, der älter ist als, sagen wir mal, 50 Jahre. Schon nach so einer relativ kurzen Zeit sollten Veränderungen in der Sprache auffallen.
🌀 Nehmen wir mal „indem“, das ich im vorherigen Tweet benutzt hab. Es bedeutet heute ‚dadurch, dass‘. Früher hieß es aber mal ‚während‘ und das Beispiel aus dem DWDS dafür stammt von 1957:

„Indem er das Brot verteilte, war sein Gesicht ernst und von schöner Würde.“
🌀 Was ist hier passiert? Bedeutungswandel ist passiert!
"indem" hat im Laufe der Zeit seine Bedeutung geändert
Dafür gibt es jede Menge Beipsiel in alle Sprchen. Z.B. war eine englische "Lady" ursprünglich mal eine "hlæfdige", 'eine, die das Brot knetet'
etymonline.com/word/lady#etym…
🌀Eine andere bekannte Art von Wandel ist Lautwandel. Ein Lautwandel, der uns begegnet sobald wir eine germanische Fremdsprache (z.B. Englisch, Niederländisch, Schwedisch usw.) lernen, ist die hochdeutsche Lautverschiebung.
🌀 Sie hat dafür gesorgt, dass z.B. /t/ in einigen Kontexten zu /z/ wurde, darum Deutsch „Zaun“, aber Englisch „town“ und Niederländisch „tuin“. Oder /p/ > /f/, darum Deutsch „Schiff“, aber Englisch „ship“ und Niederländisch „schip“.
🌀 Dann gibt es noch Wandel, der die grammatischen Regeln einer Sprache betrifft.
Zum Beispiel wird das deutsche Präteritum („ich schrieb“) nach und nach durch das Perfekt („ich habe geschrieben“) verdrängt.
🌀 In südlichen Varietäten ist dieser Prozess nahezu abgeschlossen. In nördlichen Gebieten hält sich das Präteritum in der gesprochenen Sprache noch für ein paar Verben (z.B. „denken“, „Ich dachte, du warst gestern im Kino.“).
🌀 Einen anderen Fall kennt ihr alle: „wegen“ kommt jetzt häufig mit Dativ statt mit Genitiv. Warum? „wegen“ kommt von Mittelhochdeutsch „von xy wegen“ mit xy im Genitiv. Das „von“ fiel irgendwann weg und es entstand eine Konstruktion wie „des Wetters wegen“.
🌀 Das nennt man eine Postposition. Weil Deutsch aber überwiegend Präpositionen hat, die vor dem Nomen stehen, erschien auch „wegen“ immer öfter vor dem Nomen. Der Genitiv blieb: „wegen des Wetters“.
🌀 So eine Angleichung eines Wortes an ähnliche Wörter (im Bezug auf ihre Grammatik) nennt man Analogie. Die Macht der Analogie ist stark und ergriff nochmal „wegen“. Weil viele Präpositionen im Deutschen mit einem Nomen im Dativ stehen, wird auch „wegen“ jetzt so verwendet.
🌀 Der umgekehrte Fall ist übrigens auch bekannt Weil einige Leute sehr stolz darauf sind, dass sie einen Genitiv mit Präpositionen verwenden können, tun sie das auch, wenn der nach normativer Grammatik gar nicht gefordert wird, Beispiel „entsprechend“ (entsprechend des Briefes)
🌀 Hier ein Zeitungsartikel dazu:
tagesspiegel.de/berlin/auf-deu…
🌀 Und ist euch an diesem Tweet vom Montag etwas aufgefallen? Heißt das nicht „unter den Teppich kehren“ bzw. „unter den Tisch fallen“? Wenn Menschen sich falsch an Sprachwörter erinnern, dann kann das auch zu Sprachwandel führen.
🌀 Sprachwandel ist in der Regel ein schleichender Prozess, während der sich eine Änderung langsam ausbreitet.
Ihr könnt ja mal raten, seit wann die Verdrängung des Präteritums durch das Perfekt, die ich oben erwähnt habe, schon belegt ist.
🌀 Was wir unterscheiden müssen ist Sprachwandel und individuelle Innovation, letzteres geht deutlich schneller.
🌀Mein innovatives Sprichwort „unter den Teppich fallen“ ist erstmal nur Teil meines eigenen Idiolekts. Wenn ich das aber konsequent benutzte und Leute es übernehmen, dann könnte es zu einem echten Wandel führen.
🌀 Wann aus einer Innovation ein echter Wandel wird, ist schwer zu sagen, reichen 1%, 10%, 50% der Sprechergemeinschaft? Darüber gibt es auch unter Linguist*innen keine Übereinstimmung und an Zahlen lässt es sich auch nicht exakt festmachen.
🌀 Ich bin persönlich z.B. der Meinung, dass das Gendern mit * (bzw. Glottalverschluss) noch eine Innovation ist, wenn auch eine rasant an Bedeutung gewinnende Aber immer noch wird es nur von einem recht kleinen Teil der Sprechergemeinschaft verwendet.
🌀 Sprachwandel ist ein Forschungsgebiet der historischen Linguistik. Weitere sind u.a. genetische Verwandtschaft 🌳, Rekonstruktion von Proto-Sprachen 🦣 und die Erklärung von Wortherkünften, die Etymologie. Darüber werde ich euch morgen mehr erzählen.
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23 Oct
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🌳 (Hinweis: Ich schmeiße gleich viel mit Sprachnamen um mich, falls ihr eine davon nicht kennt, dann fragt bitte (oder googlet))
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20 Oct
So, da bin ich wieder. Ich wollte euch ja noch was zum Thema Sprachdokumentation 📒 erzählen.
📒 Bei der Sprachdokumentation werden Sprachen aufgezeichnet und meisten auch ihre grammatischen Merkmale untersucht.
Nach einer Schätzung meiner Linguistikprofessorin in Köln sind nur ca. 500(!) der ca. 7000 Sprachen beschrieben, also nur knapp 7%.
📒 Sprachen sind auch unterschiedlich gut beschrieben. Wie ihr euch vorstellen könnt, gibt es weitaus mehr Material zu Englisch und anderen großen europäischen Sprachen als zu anderen Sprachen.
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20 Oct
Bei der Frage, was ist so schlimm daran, wenn eine Sprache ausstirbt, ist vielleicht ein Gedankenexperiment sinnvoll.
Stellt euch vor, ihr wandert nach China aus und sprecht mit euren Kindern nur Chinesisch, kein Deutsch. Was sind die Konsequenzen? ☠️
☠️Ihr möchtet euren Kindern euer Lieblingsbuch aus Kindertagen vorlesen, aber es gibt keine chinesische Übersetzung. Die könnt ihr jetzt selbst machen oder es seinlassen.
Auch deutsche Märchen funktionieren auf Chinesisch nicht so wie auf Deutsch.
☠️Eure Kinder finden es sehr witzig, wenn ihr deutsche Sprichwörter versucht auf Chinesisch auszudrücken. Aber die chinesischen aufzunehmen fällt euch auch schwer, schließlich habt ihr die Sprache erst als Erwachsene*r gelernt.
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