Im letzten Thread für diese Woche möchte ich auf eine Frage eingehen, die hoffentlich bald mithilfe meines PhD-Projekts beantwortet werden kann: Sind die Nordhalmahera-Sprachen mit Sprachen auf Neuguinea verwandt? Und verbunden damit: Wo kommen die Menschen auf Halmahera her? 🐦
🐦 Ich hatte schon erzählt, dass die NH-Sprachen auch als „Papua-Sprachen“ bezeichnet werden. Das ist ein Sammelbegriff für alle Sprachen auf und um Neuguinea, die nicht austronesisch sind.
🐦 Es ist *keine* Sprachfamilie, d.h. es gibt weder Lautkorrespondenzen noch Kognate noch systematische Übereinstimmungen in der Grammatik.
🐦 Die Sprachen teilen allerdings bestimmte grammatische Merkmale, daher spricht man von einer „linguistic area“ oder „Sprachbund“ – Sprachen in einem bestimmten geographischen Gebiet ähneln sich, obwohl sie nicht verwandt sind.
🐦 Innerhalb der Papua-Sprachen versucht man immer wieder mit mehr oder weniger Erfolg richtige Sprachfamilien aufzustellen. Eine vorgeschlagene Sprachfamilie ist die West-Papua-Familie, zu der auch die NH-Sprachen gehören könnte. Ihr sehr die Familie in der Karte im ersten Tweet
🐦 Die Idee zu dieser West-Papua-Familie ist schon ziemlich alt und geht auf Cowan (1953) zurück. 1957 hat Cowan dann in einem Artikel erste Evidenz für eine Verwandtschaft zwischen den NH-Sprachen und denen auf dem Vogelkopf in Westneuguinea vorgelegt.
🐦 Diese Evidenz basiert auf Lexikostatistik, das damals noch ziemlich populär war und heute mit Skepsis gesehen wird. Bei Lexikostatistik wird eine vorher festgelegte Wortliste in zwei (oder mehr) Sprachen miteinander verglichen.
🐦 Je mehr (potenzielle) Übereinstimmungen es gibt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit für eine Verwandtschaft.
🐦 Die Problematik liegt hier auf der Hand: wie wir gestern gesehen haben, machen nicht zufällig Übereinstimmungen Sprachverwandtschaft aus, sondern systematische Übereinstimmungen mit Lautkorrespondenzen.
🐦 Cowan präsentiert auch 8 mögliche Kognatsets zwischen NH-Sprachen und den Vogelkopfsprachen Kalabra, Moraid & Moi. Das klingt nicht nur bescheiden, das ist es auch.
🐦 Und wenn ich mir die „Kognate“ so anschauen, dann frage ich mich: wenn das die besten Überschneidungen waren, wie schlecht war dann der Rest? Ihr könnt euch die Sets ja selber mal angucken:
Quelle: Cowan 1957: 87-88
🐦 Cowan ist übrigens sehr vorsichtig und weiß selbst, dass seine Evidenz eher schlecht ist.
Voorhoeve (1994) hat die Liste auf 75 potenzielle Kognatsets erweitert und stellt vorsichtig Lautkorrespondenzen auf.
🐦 Er zeigt auch einige grammatische Übereinstimmungen auf. Dazu gehören z.B. die SOV Wortstellung & Personenmarkierungen am Verb, über die ich heute Morgen berichtet hatte
🐦 Das ist jetzt auch nicht die überschäumende Evidenz, darum wird die West-Papua-Familie immer noch von den meisten Linguist*innen, die in der Region arbeiten, mit Skepsis betrachtet.
🐦 Reesink (2005) geht z.B. davon aus, dass es sich um einen Sprachbund handelt und nicht um eine Sprachfamilie.
Unser Projekt wird hoffentlich zu dieser Frage beitragen können.
🐦 Sollte es die West-Papua-Familie tatsächlich geben, dann kann das auch unser Wissen über Populationsbewegungen auf und um Neuguinea vergrößern.
🐦 Die Sprachen müssten dann ja irgendwie das Wasser zwischen Halmahera und dem Vogelkopf überbrückt haben. Oder andersgesagt: Wie kamen die Sprecher*innen nach Halmahera?
🐦 Da Halmahera linguistisch zwischen den NH-Sprachen und austronesischen Sprachen aufgeteilt ist stellt sich die Frage: was war zuerst da? Wie ist diese besondere linguistische Situation entstanden?
🐦 Das sind Fragen zu denen ich in ein paar Jahren hoffentlich etwas beitragen kann.
Referenzen:
Cowan, H. K. J. 1953. Voorlopige Resultaten van een Ambtelijk Taalonderzoek in Nieuw-Guinea. 's-Gravenhage: 'S-Gravenhage: Martinus Nijhoff
H. Cowan. 1957. Prospects of a "Papuan" Comparative Linguistics. Bijdragen tot de Taal-, Land- en Volkenkunde van Nederlandsch-Indië 113. 70-91.
C. L. Voorhoeve. 1994. Comparative Linguistics and the West Papuan Phylum. In E. K. M. Masinambow (ed.), Maluku dan Irian Jaya, 65-90. Jakarta: LEKNAS-LIPI.
Ger Reesink. 2005. West Papuan languages: Roots and Development. In Pawley, Andrew and Robert Attenborough and Golson, Jack and Hide, Robin (eds.), Papuan Pasts: Studies in the Cultural, Linguistic and Biological History of the Papuan-speaking Peoples, 185-220. Canberra
Die indoeuropäische Sprachfamilie ist die am besten erforschte Sprachfamilie überhaupt. Bei meinem PhD-Projekt zu den Nordhalmahera-Sprachen bin ich ganz am Anfang und mit einigen Problemen konfrontiert, über die ich euch jetzt erzählen möchte 🦎
🦎 Falls ihr nichts über historische Linguistik wisst, dass lest euch bitte vorher diesen Thread von mir durch. Ansonsten werden ihr Probleme haben das folgende zu verstehen.
🦎 Die NH-Sprachen sind als Sprachfamilie mittlerweile unumstritten anerkannt. Schon 1915 stellte van der Veen fest, dass sich sie Sprachen deutlich von den benachbarten austronesischen Sprachen unterscheiden.
Ihr alle kennt das Konzept von verwandten Sprachen und wisst, dass z.B. Deutsch und Niederländisch verwandt sind. Ihr kennt auch Stammbäume, z.B. für eure eigene Familie. Woher wissen wir, welche Sprachen verwandt sind und in einen Stammbaum gehören? 🌳
(Bild: Anthony 2007: 12)
🌳 Der extrem komplexe Stammbaum im vorherigen Tweet (der eigentlich mehr aussieht wie ein umgedrehter Stammbusch) ist ein möglicher Stammbaum für die indoeuropäische (oder indogermanische, kurz IE) Sprachfamilie. Wie werden uns den gleich im Detail anschauen.
🌳 (Hinweis: Ich schmeiße gleich viel mit Sprachnamen um mich, falls ihr eine davon nicht kennt, dann fragt bitte (oder googlet))
Den Satz „Sprachwandel ist ganz natürlich!“ liest man so oder so ähnlich ziemlich oft auf Twitter, vor allem wenn es um Dinge wie Gendern oder Jugendsprache geht. Aber was bedeutet das genau? 🌀
🌀 Sprachwandel ist, oh Wunder, Veränderungen in einer Sprache. „Natürlich“ bezieht sich darauf, dass Sprachwandel in allen lebenden Sprachen vorkommt, er ist unmöglich aufzuhalten und quasi ein natürliches Beiprodukt menschlicher Kommunikation.
🌀 Dass Sprachwandel existiert können wir leicht erkennen, indem wir uns einen beliebigen Text nehmen, der älter ist als, sagen wir mal, 50 Jahre. Schon nach so einer relativ kurzen Zeit sollten Veränderungen in der Sprache auffallen.
So, da bin ich wieder. Ich wollte euch ja noch was zum Thema Sprachdokumentation 📒 erzählen.
📒 Bei der Sprachdokumentation werden Sprachen aufgezeichnet und meisten auch ihre grammatischen Merkmale untersucht.
Nach einer Schätzung meiner Linguistikprofessorin in Köln sind nur ca. 500(!) der ca. 7000 Sprachen beschrieben, also nur knapp 7%.
📒 Sprachen sind auch unterschiedlich gut beschrieben. Wie ihr euch vorstellen könnt, gibt es weitaus mehr Material zu Englisch und anderen großen europäischen Sprachen als zu anderen Sprachen.
Bei der Frage, was ist so schlimm daran, wenn eine Sprache ausstirbt, ist vielleicht ein Gedankenexperiment sinnvoll.
Stellt euch vor, ihr wandert nach China aus und sprecht mit euren Kindern nur Chinesisch, kein Deutsch. Was sind die Konsequenzen? ☠️
☠️Ihr möchtet euren Kindern euer Lieblingsbuch aus Kindertagen vorlesen, aber es gibt keine chinesische Übersetzung. Die könnt ihr jetzt selbst machen oder es seinlassen.
Auch deutsche Märchen funktionieren auf Chinesisch nicht so wie auf Deutsch.
☠️Eure Kinder finden es sehr witzig, wenn ihr deutsche Sprichwörter versucht auf Chinesisch auszudrücken. Aber die chinesischen aufzunehmen fällt euch auch schwer, schließlich habt ihr die Sprache erst als Erwachsene*r gelernt.