#LebenMitLongCovid
Heute vor einem Jahr, am 22.10.2020 um 9:13, habe ich von meiner Kollegin MP eine Nachricht im Büro-Gruppenchat erhalten, die mein Leben nachhaltig verändert hat. Ihr Test auf #COVID19 war positiv.

Ein🧵über eine „leichte Infektion“ und „leichtes“ #LongCovid
Zur Erinnerung, Schnelltests gabs noch nicht wirklich, PCR dauerte bis zu 3 Tage. Es gab Symptom-Fragebogen, Fieber messen, Hände desinfizieren und Stoffmaske/MNS. Und Symptom-Tabellen mit dem Hinweis, dass bekannte Symptome die jedes Jahr auftauchen, eher banale Verkühlung sind.
Mein Tag hat mit Zahnarzt begonnen - Kotrolle & Mundhygiene. Beides lange raus geschoben, weil Pandemie.
Check-in um 7 Uhr war problemlos - normale Temperatur, fühlte mich gesund, keine Kontakte mit #COVID19 bekannt. Nur etwas müde, weil 7 Uhr in der Früh ist einfach brutal.
Beim Rausgehen die Nachricht von MP. Wechselbad der Gefühle: wie gehts ihr, ich kann’s ja nicht haben - wir haben uns eine Woche nicht gesehen, was ist jetzt zu tun, was ist wenn ich’s doch hab - hab ich ev. jemanden angesteckt, was ist mit Kollege MK, der ist ja auch verkühlt.
Dann Telefonate mit Chef und Abteilungsleitung. Ich gelte als K1, sofort in die Teststraße der @Stadt_Wien für Gurgel-PCR-Test, damit dann Verdachtsperson und ab in Selbstisolation und Teleworking. Gut dass ich mit dem Dienstlaptop schon einige Tage spazieren gegangen bin.
Am Heimweg doch noch schnell in den Supermarkt - Testergebnis dauert 3 Tage, ein langes Wochenende kommt und ich hab mehr Katzenfutter im Haus als Lebensmittel für mich. Und ehrlich, ein bissl Frustfutter brauch ich jetzt. MK wartet noch immer auf sein Testergebnis.
Erste Tätigkeit im Homeoffice: Kontaktliste. Ich mach 2: eine fürs Büro, eine private.
Ich fühl mich nach wie vor gesund, etwas genervt von der ganzen Sache, besorgt um MP und nervös, was MKs PCR-Test ergeben wird. Mama hat Nervenflattern, Schwester💟 macht Lifeline falls nötig.
Es ist übrigens Donnerstag, inzwischen früher Nachmittag. MKs Ergebnis ist da. Auch positiv. Scheiße, er hat Frau, Kleinkind und Baby daheim. Hoffentlich passiert da nichts.
Mir wird mulmig, immerhin hab ich ihn Freitag noch gesehen. Symptome hat er erst Sonntag gezeigt.
Ich bin unsicher, ob ich meine privaten Kontakte informieren soll. Ich will keine Panik auslösen, aber alle haben Menschen, auf die sie aufpassen wollen. Der ⚓️ beruhigt mich, ich hab ja keine Symptome. Ich stelle mich also auf ein paar fade Tage daheim ein, die Katzen freut’s.
Freitag ist ereignislos, arbeite von daheim. Ich fühl mich gut und versuche mich vom online Symptom-Fragebogen der MA 15 nicht in den Wahnsinn treiben zu lassen. MK und MP sind krank, unangenehm aber nicht kritisch. Bisher keine offizielle Info, ob ich als K1 in Quarantäne bin.
Am Samstag entscheiden der ⚓️ und ich, dass wir uns nicht sehen. Ich habe immer noch keine Symptome, es ist immer noch nicht klar ob ich in Quarantäne bin und wir wollen lieber nix riskieren. Also Skypen wir.
Schön langsam wird’s fad, meine Schwester bringt Snack-Nachschub.
Sonntag ist Tag 3 nach dem Test. Das herum lungern ist fad, also mache ich die vormittags Yoga-Stunde. Es sollte die letzte sein - und wir haben noch ein bisschen gewitzelt, was ich mit dem Wochenende daheim anstellen soll. Ich fühle mich nach wie vor fit, das Yoga tut gut.
Immer noch keine Info von offizieller Stelle. Ich schau auf der Homecare Website vorbei, Fragebogen ausfüllen. Logge mich ein, einfach um mal wieder nachzuschauen. Und da ist mein Testergebnis. Positiv auf #Covid19, CT-Wert 31. Es hat mich wirklich erwischt. Herz in der Hose.
Anrufe: Mama. Schwester💟. ⚓️ und🧜‍♀️ - sie fahren sofort testen. Nachricht in die Dance-Gruppe - G ist grad in der Chemo, wir hatten Mittwoch Abend Training. Info an die Leute, die ich am Wochenende gesehen hab - 👩🏻‍💻 hat große Angst vor #Covid, wir hatten uns ewig nicht gesehen.
Dann Info an Chef und Abteilungsleiter. Offizielle Info gibts noch keine aber das Prozedere im Büro muss gestartet werden. Wir gehen von 10 Tage Quarantäne und contact tracing aus. Gut dass ich mit Laptop und Diensthandy problemlos von daheim arbeiten kann.
Meine Cousine ist Ärztin und auf einer Covid-Station eingesetzt. Sie beruhigt mich am Telefon, ich hab keine Risikofaktoren- außer Ruhe geben und viel trinken kann ich momentan nix machen. Übrigens immer noch keine Symptome.
Gegen Abend beginne ich mich grippig zu fühlen. Müde. Schlapp. Bisschen Kopfweh. Wär nicht Corona, ich würd mit Tee, Mexalen und Ausschlafen den beginnenden Infekt bekämpfen. Aber es ist #Covid - und es macht ein mulmiges Gefühl. Also trag ich meine Symptome in den Fragebogen ein
Montag ist Nationalfeiertag. Also nix zu tun als warten. Ich fühl mich ein bissl kränklich, nach einer warmen Dusche gut erfrischt. Wieder ein Tag auf der Couch. Jetzt messe ich 3x täglich Fieber - nichts.
Dienstag ist wieder Arbeitstag. Meine Hausärztin verordnet Krankenstand, Abteilungsleiter bekommt Kontaktliste, Geschäftsführung not amused über den kleinen #COVID -Cluster. Nach wie vor keine offizielle Info von der Gesundheitsbehörde. Meine Symptome sind immer noch schwach.
Mittwoch früh meldet sich endlich die Gesundheitsbehörde. Contact Tracing nicht notwendig, weil mehr als 72 Stunden vor Smyptombeginn schon in Selbstisolation. Absonderung bis 3.11.
Zu meinen Grippe-Symptomen kommen jetzt Muskelschmerzen. Ich merke jetzt, dass ich krank bin.
Übrigens hätte meine Periode einsetzen sollen. Die bleibt aus, dafür hab ich andauernde PMS-Symptome. Schwanger kann nicht sein weil Hormonspirale.
Sonst bin ich ein bisschen angeschlagen, mir fehlt auch Bewegung. Ich wohne auf 50qm, da komm ich nicht wirklich in Schwung.
Die Tage verschwimmen, die Symptome sind leicht, hauptsächlich müde, Kopfweh und Muskelschmerzen. Kein Fieber. Ich schlafe viel und binge Netflix. Schwester💟 bringt Lebensmittel und nimmt den Müll mit. Chats und Telefonate helfen, dass mir die Decke nicht auf den Kopf fällt.
Am 4.11. ist meine Quarantäne endlich vorbei. Ich darf raus. Also ab ins Labor, PCR-Test. Ich will niemanden sehen bevor klar ist, dass ich nicht mehr infektiös bin. Ich gehe zu Fuß hin - es tut gut, aber ich merke ich bin nicht fit. Also weiterhin Krankenstand.
PCR ergibt CT-Wert von 34. 2 Wochen nach dem ersten Test. Ich bleibe sicherheitshalber allein daheim. Erst am Sonntag, 2 Wochen nach Symptombeginn, fühle ich mich nicht mehr kränklich. Aber auch noch nicht ganz fit. Also noch 2 Tage Krankenstand und den Rest der Woche Homeoffice.
MP und MK sind übrigens wieder soweit fit und im Büro. Schaut aus als hätten wir’s gut überstanden.

Ich lass mich trotzdem von der Lungenfachärztin durchchecken, mein Asthma gibt zwar Ruhe, aber sicher ist sicher. Hier ist alles soweit ok, sie rät es langsam angehen zu lassen.
Ich folge also dem Rat der Ärztinnen und schone mich. Leichte Spaziergänge, ein bisschen Yoga daheim. Ich merke, ich war krank und muss mich erholen. Fitnessstudio und Tanzen fällt ohnehin aus, wir sind im Lockdown. Aber immerhin, ich hatte #COVID19 und hab’s gut überstanden.
Nach Weihnachten merk ich, die körperliche Inaktivität schlägt sich auf der Waage nieder. Also achte ich wieder mehr auf die Ernährung und versuche mich mehr zu bewegen. Es tut sich nichts. Ich fühle mich nicht wohl, würde gern trainieren, aber wir haben immer noch Lockdown.
Schön langsam schwimmt das Thema #LongCovid in den Medien auf. Ich beginne meine Symptome in den Beschreibungen zu erkennen. Kann es sein, dass diese Müdigkeit, die Kopfschmerzen, dieses Watte-Gefühl im Kopf doch mehr ist als „Lockdown-müde“?
Mitte Februar ist es warm genug, draußen auf den Free-Gym Geräten zu trainieren. Endlich. Ich bekomme Muskelkater der Hölle und finde es großartig.
Aber es wird nicht besser. Jedes Mal extremer Muskelkater und mein Körper braucht ewig um zu regenerieren. Die Müdigkeit wird mehr.
Dann fallen mir die Haare aus. MP jammert übrigens auch deswegen. Und ich finde eine Studie über Symptome nach #Covid-Infektion. Da passt vieles.
Aber gut, meine Schilddrüse muss auch wieder angeschaut werden, das passt ja auch von den Beschwerden her.
Die Schilddrüse ist also beleidigt und ich bekomme Medikamente. Und eine dringende Empfehlung mich vom Kardiologen untersuchen zu lassen, es könnte eine verdeckte Herzmuskelentzündung durch Covid ausgelöst worden sein.
Inzwischen ist es April. Der Kardiologe hört sich meine Beschwerden an und diagnostiziert Fatigue wegen #LongCovid. Sonst findet er nichts. Blutbild, Herz-Echo und Lungen-CT unauffällig. Also Reha. Die Therme Wien Med in Oberlaa ist spezialisiert - weiß ich, will ich unbedingt.
Also hab ich jetzt anscheinend #LongCovid. Ich lese mich ein, schließe mich der Selbsthilfegruppe auf Facebook an und achte aufmerksam auf meine Symptome. Der Kardiologe empfiehlt Radfahren - also kaufe ich mir ein Rad. Aber alles ganz langsam und easy, lieber weniger machen.
@derStandardat veranstaltet eine Online-Diskussion zu #LongCovid. Ich verfolge aufmerksam und stelle fest, meine Symptome-Bingo-Karte ist voll. Ich habe diese Zustände, hier spricht jemand die Worte, die mir fehlen. Also muss ich jetzt zum Neurologen.
Lockdown ist übrigens vorbei, an Training ist nicht zu denken. Ich schleppe mich ins Büro, fahre heim und schlafe auf der Couch. So gut wie jeden Tag.
Ich warte auf den Start der Reha, hab Termine beim Neurologen und in der Long Covid Ambulanz im AKH. Wartezeit 4 Monate. Beide.
Meine Zyklus-Schwankungen habe ich mit meiner Gynäkologin besprochen. Sie wundert sich nicht dass die Infektion da etwas durcheinander gebracht hat. Ich bekomme Nahrungsergänzung um den Körper bei der Regeneration zu unterstützen. Ich habe das Gefühl es hilft ein bisschen.
Radfahren habe ich probiert. Vom 8. auf die Donauinsel. In 40 Minuten, statt 25, laut App. Zurück mit der U-Bahn. Am nächsten Tag war ich so erschöpft, dass ich gerade mal Lebensmittel holen konnte und den Rest des Tages auf der Couch gelegen bin.
Bei einer privaten Allgemeinmedizinerin habe ich eine erweiterte Gesundenuntersuchung machen lassen - damit nichts übersehen wird. Raus gekommen ist, das alle meine Werte in Ordnung sind.
Inzwischen habe ich den Termin für die Reha: Anfang August gehts los.
Meine Augen sind jetzt auch gecheckt - alles soweit in Ordnung, die Brille sollte angepasst werden. Die Sehstörungen am Abend kommen also nicht von den Augen, das muss sich der Neurologe anschauen.

Histamin dürfte ein Faktor sein, wenn ich darauf achte geht es mir besser.
Mitte Juli habe ich großes Glück. Über die Selbsthilfegruppe komme ich zu einem Termin beim Neurologen - 2 Monate früher, und vor dem Start der Reha.
Er nimmt sich Zeit, hört mir zu, stellt Fragen. Und diagnostiziert #LongCovid, so wie er es definiert. Ich bekomme Medikamente.
Fast ein halbes Jahr nachdem ich gemerkt habe, dass etwas nicht stimmt, gibt es jetzt eine echte Diagnose, Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel. Und die Zusicherung vom Neurologen, dass wir jetzt am Anfang sind und noch viele Therapiemöglichkeiten haben.
Der Neurologe (#nonmention sorry Dr. S. - der account soll anonym bleiben) behandelt #MCAS und autonome Dysfunktion. Und es hilft. Es beginnt mir besser zu gehen. Er mahnt dringend zum #Pacing. Ich steige also keine Stiegen mehr. Mache Pause im Sitzen, wenn der Puls zu hoch ist.
Nach 6 Wochen ambulanter Reha und 3 Monaten medikamentöser Therapie habe ich endlich das Gefühl, dass es besser wird. #LongCovid ist nicht weg, mein Leben ist immer noch stark eingeschränkt aber ich habe ein bisschen Hoffnung, dass es ganz ausheilen kann.
Ich bin mir sehr bewusst, dass ich eine leichte Form von #LongCovid erwischt habe. Ich konnte immer Arbeiten gehen, ich habe keine Schmerzen und kann mein tägliches Leben einigermaßen bewältigen. Das ist viel mehr, als viele Menschen können, die ich in der Reha kennen gelernt hab
Was heißt #LongCovid also für mich?
Ich kann meinem Beruf nach gehen - nicht gut, ich muss mir meine Energien gut einteilen, aber es geht.
Soziale Aktivitäten brauchen Planung, davor und danach brauche ich Tage um zu rasten. Sport nur in der Reha. Kein Ballett, kein Jazz Dance.
Auch Haushalt zieht zu viel Energie. Mein Anspruch auf Ordnung und Sauberkeit ist reduziert. Sonst muss ich anderswo auf zu viel verzichten. Es ist ein entweder - oder. Manchmal geht mehr, oft weniger. Die Gefahr zu crashen lauert ständig.
#LongCovid ist auch teuer. Die Nahrungsergänzungsmittel die helfen muss ich privat zahlen. Meine Ärzt:innen sind privat - die Wartezeiten sind sonst noch länger. Ich brauche Stützstrümpfe/Kompressionshosen. Ich nehme an Untersuchungstagen Urlaub, weil es sonst zu anstrengend wird
Heute ist ein Jahr her, dass #COVID19 persönlich wurde.
Geblieben ist Hoffnung, wieder gesund zu werden und Angst. Angst, dass #LongCovid chronifiziert und ich mein Leben als „der fade Zipf“ verbringen muss. Angst, dass das Virus mehr Schaden anrichtet als bisher bekannt.

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