Neben Wissenschaft muss man doch auch die Intuition gelten lassen, sagt @felber_c. Das klingt freundlich und kuschelweich, ist aber Extremismus, der unserer Demokratie gefährdet. Ich formuliere das bewusst so scharf. Diese Wissenschaftsfeindlichkeit ist brandgefährlich. (Thread)
Demokratie bedeutet, dass wir gemeinsam wichtige Fragen diskutieren und zu einem Mehrheitsergebnis kommen. Das ist aber nur möglich, wenn wir darüber einig sind, welche Argumente wir als gültig akzeptieren.
Natürlich ist nicht jede Aussage ein gültiges Argument. Man muss logische Gründe liefern. Wenn jemand eine politische Forderung erhebt, weil sie ihm im Traum geoffenbart wurde, weil er sie mit Zauberrunen ermittelt hat oder weil er es aus dem Kaffeesud gelesen hat, gilt das nicht
Dasselbe gilt für heilige Bücher, aus denen oft politische Forderungen abgeleitet werden: Nein, dass irgendetwas in einem jahrtausendealten Text steht, darf nicht als Wahrheit neben empirischer Evidenz stehen. Diese Erkenntnis haben wir uns über Jahrhunderte mühsam erkämpft.
Und nun, in einer Zeit, in der wir wissenschaftliche Fakten dringender brauchen als je zuvor, kommen Leute und sagen: Aber meine INTUITION ist doch genauso wichtig! Nein. Ist sie nicht. Die Schwerkraft ist kein Bauchgefühl.
Wenn wir den Grundsatz aufgeben, dass man logisch argumentieren muss, wenn man sich künftig Argumente einfach aus der Nase ziehen darf, dann ist die Demokratie am Ende. Dann ist alles verloren. Dann ist eine strukturiert kooperierende Gesellschaft nicht mehr möglich.
Oft greife ich esoterische Argumente an, weil ich sie lächerlich finde, oder weil ich Leute davor warnen möchte, dafür unnötig Geld auszugeben. Hier ist es anders. Diese Wissenschaftsfeindlichkeit halte ich wirklich für brandgefährlich.
Klar ist: Wenn wir die Fähigkeit verlieren, auf rationaler Basis zu diskutieren und Entscheidungen zu treffen, können wir die großen Bedrohungen unserer Zeit unmöglich meistern.
Dann sind Solidarität und Sozialstaat nicht mehr möglich. Dann überrollen uns Pandemien, ohne dass wir etwas dagegen tun können. Dann läuft die Klimakatstrophe völlig aus dem Ruder.
Corona-Schwurbler, die mit falschen Fakten argumentieren, sind schlimm. Aber sie kann man wenigstens widerlegen. Leute die leugnen, dass es so etwas wie wissenschaftliche Fakten überhaupt gibt, zerstören den Diskurs selbst. Das ist noch viel schlimmer.

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13 Nov
In rechtsradikalen Kreisen geht offenbar gerade ein Video aus einem Krankenhaus in Antwerpen viral: Angeblich sind dort alle COVID-Patienten in der Intensivstation geimpft. Skandal? Überraschung? Nein, das ist völlig aussagelos. (Thread)
Zunächst: Nie hat jemand behauptet oder erwartet, dass die Impfung zu 100% schützt. Das ist unmöglich. Sie kann nur die Wahrscheinlichkeit senken, dass man krank wird, schwer krank wird oder stirbt. Und das tut die Impfung auch - sogar sehr gut.
Die Impfung wirkt deutlich besser als man ursprünglich für eine Zulassung verlangt hatte. Diese Zahlen sind gut belegt und stehen außer Streit. Was bedeutet das nun, in einer Bevölkerung mit hoher Durchimpfungsrate?
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2 Nov
Können wir bitte aufhören, Impfgegner wie kleine Kinder zu behandeln, die man nicht mit klaren Worten verschrecken darf? Wenn ich falsch liege, will ich auch, dass man mir das klar sagt und den Grund erklärt. Nicht dass jemand meinen Irrtum sanft und wertschätzend gelten lässt.🧵
"Schuldzuweisungen sind falsch! So spaltet man die Gesellschaft!"
Klar, wertschätzende Diskussion ist wichtig. Aber einem Raser auf der Autobahn sage ich auch nicht: "Ich respektiere dein Bedürfnis nach Geschwindigkeitsrausch! Aber vielleicht willst du's mal langsamer probieren?"
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1 Nov
Dieses Argument ist einfach nicht totzukriegen: "Wenn wir das Klima retten wollen, dürfen einfach nicht so viele Menschen auf dem Planeten leben! Man muss also erstmals etwas gegen das Bevölkerungswachstum in Afrika tun!" Das ist in so vielfacher Hinsicht falsch! (Thread)
Hier klingt natürlich ein ziemlich offensichtlicher Rassismus durch: WIR gegen DIE! WIR sind nicht Schuld, sollen DIE sich doch ändern! Und DIE sollen nicht mehr werden als WIR, sonst verlieren WIR vielleicht an Macht!
Abgesehen davon passt die These nicht zu den Fakten:
Übermäßiges Bevölkerungswachstum war Ende des 20. Jahrhunderts tatsächlich ein Grund zur Sorge. Aber seither hat sich viel getan: Das Wachstum hat sich stabilisiert, es wird bis zum Ende des Jahrhunderts zum Stillstand kommen.
Read 13 tweets
31 Oct
Das Problem mit Klima-Verhandlungen: Wenn man sich nicht einigt, tritt automatisch jene Variante in Kraft, die am schädlichsten ist: Nichtstun und weiter wie bisher.
Das könnte man aber ändern, durch unkonventionelle Spielregeln. (Thread mit realitätsferner Träumerei)
Wichtig bei Verhandlungen ist immer die Default-Lösung, die eintritt, wenn man sich nicht einigt. Wenn ich beim Wohnungskauf den Preis nach unten verhandeln will und wir einigen uns nicht, dann bleibt alles wie es ist: Ich bekomme nicht eine halbe Wohnung, sondern gar keine.
Und das ist natürlich fatal, wenn das Wohl aller davon abhängt, dass die Dinge eben nicht bleiben, wie sie sind. Logisch betrachtet gibt es 2 Möglichkeiten das zu beheben: 1. man ändert die Default-Lösung, 2. man stellt sicher, dass es zu einer Einigung kommt.
Read 11 tweets
26 Oct
Die Situation ist ernst: Wissenschaftsfeindlichkeit droht unsere Demokratie kaputtzumachen. Kickl, Parteichef der österreichischen Rechtspartei FPÖ, spricht sich jetzt für #Ivermectin aus. Das ist keine Frage von Ideologie mehr, das ist gefährlicher Unsinn. (Thread)
Kickl ist bekanntermaßen gegen die Impfung. Stattdessen soll man es mit Medikamenten probieren, sagt er. Gut, niemand ist gegen Medikamente. Aber es gibt eben keine medikamentöse Alternative zur Impfung. Kickl sieht das anders, er ist für #Ivermectin.
Ich kann kaum in Worte fassen, wie unsinnig und falsch das ist. Aber ok, sehen wir es uns noch einmal an:
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23 Oct
Habe mir (wie offenbar die halbe Welt) "Squid Game" angesehen. Bin nicht ganz glücklich. Das hätte ein grandioser Mix aus Gesellschaftskritik und Spieltheorie werden können. Leider sind, finde ich, einige gute Ideen völlig versickert. (Thread, SPOILER)
Wenn "Squid Game" mit "Hunger Games" oder "Battle Royale" verglichen wird, passiert meiner Meinung nach genau der entscheidende Fehler, den auch die Figuren der Serie passiert und vielen von ihnen das Leben kostet: Es geht nicht darum, die anderen zu töten. Es geht ums Überleben.
Es ist eben KEIN Wettkampf alle gegen alle, bei dem am Ende nur einer überleben kann. Die Regeln sind klar: ALLE, die am Ende noch da sind, gehen mit einem Preis heim. Klar: Je weniger Überlebende, umso mehr Geld pro Person. Aber trotzdem will man doch in erster Linie überleben.
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