In rechtsradikalen Kreisen geht offenbar gerade ein Video aus einem Krankenhaus in Antwerpen viral: Angeblich sind dort alle COVID-Patienten in der Intensivstation geimpft. Skandal? Überraschung? Nein, das ist völlig aussagelos. (Thread)
Zunächst: Nie hat jemand behauptet oder erwartet, dass die Impfung zu 100% schützt. Das ist unmöglich. Sie kann nur die Wahrscheinlichkeit senken, dass man krank wird, schwer krank wird oder stirbt. Und das tut die Impfung auch - sogar sehr gut.
Die Impfung wirkt deutlich besser als man ursprünglich für eine Zulassung verlangt hatte. Diese Zahlen sind gut belegt und stehen außer Streit. Was bedeutet das nun, in einer Bevölkerung mit hoher Durchimpfungsrate?
Das wurde schon oft erklärt: Wenn Geimpfte eine viel kleinere Wahrscheinlichkeit haben, in die Intensivstation zu müssen, es aber viel mehr Geimpfte als Ungeimpfte gibt, dann kann es sein, dass am Ende trotzdem mehr Geimpfte als Ungeimpfte im Krankenhaus liegen.
Genauso gibt es auch mehr Verkehrstote, die angeschnallt sind als Verkehrstote ohne Sicherheitsgurt. Die meisten Leute schnallen sich an, auch wenn bei ihnen die Todeswahrscheinlichkeit kleiner ist, gibt es am Ende mehr angegurtete als nicht angegurtete Todesopfer. No Surprise.
Das Phänomen ist in Belgien besonders eklatant, weil es dort eine recht hohe Durchimpfungsrate gibt. Dazu kommt, dass ohne Booster-Shot gerade jetzt die ersten Leute ihre Immunität verlieren - und zwar gerade jene aus den Risikogruppen, die zuerst drankamen.
Es ist in so einer Situation nicht überraschend, sondern völlig klar, dass es irgendwann mehr geimpfte als ungeimpfte COVID-Patienten gibt. Sagt das, dass die Impfung nichts hilft? Natürlich nicht - genauso wenig wie angegurtete Verkehrstote sagen, dass der Gurt nichts hilft!
Und wenn dieses Phänomen auftritt, gibt es natürlich immer einzelne Intensivstationen, in denen es besonders deutlich auftritt. Und schon hat man eine Sensationsmeldung. Wie die Zahlen im angesprochenen Krankenhaus in Antwerpen genau sind, konnte ich nicht herausfinden.
Kristiaan Deckers, der interviewte Arzt sagt etwas kryptisch, die Patienten seien "eigentlich alle geimpft". Was heißt "eigentlich alle"? Der Großteil? Fast alle? Haben manche nur 1 Teilimpfung (das bietet kaum mehr Schutz als gar keine Impfung, das wissen wir mittlerweile).
Der wirklich große Denkfehler in diesem Zusammenhang ist aber, ein solches Einzelinterview als große Aufdecker-Story zu betrachten, als Widerlegung der bisherigen Mainstream-Meinung. NEIN! So funktioniert Wissenschaft nicht! Es geht um den Gesamtbefund!
Die Behauptung "es gibt mehr Autos mit Verbrennungsmotor als Elektroautos auf Europas Straßen" widerlege ich nicht mit einem Blick aus dem Fenster, wenn vor dem Haus gerade ein Tesla steht. Das ist eine Beobachtung, keine Widerlegung einer These.
Um die Situation zu beurteilen braucht man keine Einzelbeobachtungen, sondern ordentliche statistische Daten. Und die gibt es in großer Menge. Auch aus Belgien. Siehe z.B. hier: brusselstimes.com/news/belgium-a…
Aus Deutschland: swp.de/panorama/inten…
Aus Holland:
rivm.nl/en/news/4-in-5…
Aus Österreich: vienna.at/spitaeler-so-v…
Das ist genau das, was vorhergesagt wurde und zu erwarten war. Das als Argument gegen die "Corona-Mainstream-Meinung" zu verkaufen, ist Unsinn - als würde man bei Neumond sagen: "HA! Es gibt also keinen Mond! Mondverschwörung!" Nein, Sherlock, niemand hatte das anders erwartet.
Entscheidend ist: In der Wissenschaft kommt es auf die Gesamtheit der Daten an. Irgendwelche verwunderlichen Spezialfälle findet man immer. Das ist statistisch gar nicht anders möglich. Denen soll man unbedingt nachgehen. Aber nicht jede Auffälligkeit ist gleich eine Revolution.
Leider ist das ein verbreiteter Trick radikaler Wissenschaftsfeinde: Irgendein Detail wird herausgepickt und als angebliche Widerlegung einer ganzen Wissenschaftsdisziplin gefeiert. Wer das tut, hat nicht verstanden, was Wissenschaft ist.
Ich frage mich auch: Was ist die These der Leute, die das verbreiten? Wollen sie damit sagen, dass die Impfung COVID verursacht? Die Wahrscheinlichkeit für schwere Verläufe STEIGERT? Das kann doch niemand glauben! Das ist doch alles nicht durchdacht!
Natürlich sind Einzelfälle und Einzelmeldungen trotzdem interessant. Aber man muss sie richtig einordnen. Ich empfehle dieses Interview mit einer österreichischen Intensivmedizinerin. Und dann sagt noch einmal, alles sei ok! radiothek.orf.at/oe1/20211113/6…

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14 Nov
Klar: Eine hohe Durchimpfungsquote bremst die COVID-Ausbreitung. Trotzdem verbreitet sich jetzt wieder eine Studie, die angeblich das Gegenteil behaupten soll. Tut sie aber nicht. Ein näherer Blick ist interessant, sehen wir uns das an. (Thread)
"Studie" ist eigentlich ein zu großes Wort. Es handelt sich um eine "Correspondence", also einen kurzen Aufsatz in einem Fachjournal, aber ok. Nachzulesen hier: link.springer.com/article/10.100…
Die Autoren suchten nach einem Zusammenhang zwischen regionaler Durchimpfungsrate und COVID-Inzidenz. Gefunden haben sie nicht wirklich was. Beweist das, dass es keinen Zusammenhang gibt? Nein. Wenn ich meine Brille nicht finde, beweist das auch nicht, dass ich keine Brille habe.
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12 Nov
Neben Wissenschaft muss man doch auch die Intuition gelten lassen, sagt @felber_c. Das klingt freundlich und kuschelweich, ist aber Extremismus, der unserer Demokratie gefährdet. Ich formuliere das bewusst so scharf. Diese Wissenschaftsfeindlichkeit ist brandgefährlich. (Thread)
Demokratie bedeutet, dass wir gemeinsam wichtige Fragen diskutieren und zu einem Mehrheitsergebnis kommen. Das ist aber nur möglich, wenn wir darüber einig sind, welche Argumente wir als gültig akzeptieren.
Natürlich ist nicht jede Aussage ein gültiges Argument. Man muss logische Gründe liefern. Wenn jemand eine politische Forderung erhebt, weil sie ihm im Traum geoffenbart wurde, weil er sie mit Zauberrunen ermittelt hat oder weil er es aus dem Kaffeesud gelesen hat, gilt das nicht
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2 Nov
Können wir bitte aufhören, Impfgegner wie kleine Kinder zu behandeln, die man nicht mit klaren Worten verschrecken darf? Wenn ich falsch liege, will ich auch, dass man mir das klar sagt und den Grund erklärt. Nicht dass jemand meinen Irrtum sanft und wertschätzend gelten lässt.🧵
"Schuldzuweisungen sind falsch! So spaltet man die Gesellschaft!"
Klar, wertschätzende Diskussion ist wichtig. Aber einem Raser auf der Autobahn sage ich auch nicht: "Ich respektiere dein Bedürfnis nach Geschwindigkeitsrausch! Aber vielleicht willst du's mal langsamer probieren?"
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1 Nov
Dieses Argument ist einfach nicht totzukriegen: "Wenn wir das Klima retten wollen, dürfen einfach nicht so viele Menschen auf dem Planeten leben! Man muss also erstmals etwas gegen das Bevölkerungswachstum in Afrika tun!" Das ist in so vielfacher Hinsicht falsch! (Thread)
Hier klingt natürlich ein ziemlich offensichtlicher Rassismus durch: WIR gegen DIE! WIR sind nicht Schuld, sollen DIE sich doch ändern! Und DIE sollen nicht mehr werden als WIR, sonst verlieren WIR vielleicht an Macht!
Abgesehen davon passt die These nicht zu den Fakten:
Übermäßiges Bevölkerungswachstum war Ende des 20. Jahrhunderts tatsächlich ein Grund zur Sorge. Aber seither hat sich viel getan: Das Wachstum hat sich stabilisiert, es wird bis zum Ende des Jahrhunderts zum Stillstand kommen.
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31 Oct
Das Problem mit Klima-Verhandlungen: Wenn man sich nicht einigt, tritt automatisch jene Variante in Kraft, die am schädlichsten ist: Nichtstun und weiter wie bisher.
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Und das ist natürlich fatal, wenn das Wohl aller davon abhängt, dass die Dinge eben nicht bleiben, wie sie sind. Logisch betrachtet gibt es 2 Möglichkeiten das zu beheben: 1. man ändert die Default-Lösung, 2. man stellt sicher, dass es zu einer Einigung kommt.
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26 Oct
Die Situation ist ernst: Wissenschaftsfeindlichkeit droht unsere Demokratie kaputtzumachen. Kickl, Parteichef der österreichischen Rechtspartei FPÖ, spricht sich jetzt für #Ivermectin aus. Das ist keine Frage von Ideologie mehr, das ist gefährlicher Unsinn. (Thread)
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Ich kann kaum in Worte fassen, wie unsinnig und falsch das ist. Aber ok, sehen wir es uns noch einmal an:
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