In meinem allerletzten Uniseminar vor dem Abschluss befasse ich mich mit einem richtigen Herzensthema.
Es geht um selbstverwaltete, linke studentische Räume in Japan.
Ein Teil linker Bewegungsgeschichte- und Gegenwart, der außerhalb Japans kaum Beachtung findet. Ein Thread.
Am Anfang etwas historisches Vorwissen.
1948 wurde in Japan das "Alljapanische Föderation studentischer Selbstverwaltungsräte" gegründet. Im Westen ist die Organisation eher unter ihrer Abkürzung "Zengakuren" (全学連) bekannt. (Bild is aus den 60ern btw).
Diese "Selbstverwaltungsräte" wurden nach dem Krieg vor allem von kommunistischen Soziologie-StudentInnen gegründet. Sie waren eine Gegenthese zu den vom faschistischen JP Staat installierten staatstreuen StudentInnenorganisationen, welche 1945 aufgelöst wurden (siehe Bilder)
Eine der zentralen Forderungen des Zengakuren war von Anfang an die Schaffung autonomer Strukturen auf den Uni-Campussen. Dazu gehörten nicht nur eigene Gebäude, in denen verschiedene studentische "Circles" ... (Bild: Circle-Gebäude Uni Yokohama)
... (= kleine Vereine, deren Aktivitären von Schachspielen bis hin zu Politik reichen) ihre Heimstätte hatten.
Auch die Schaffung selbstverwalteter StudentInnenheime gehörte dazu. Im Bild das selbstverwaltete Kumano-StudentInnenheim in Kyoto.
Spätestens ab den 50ern hatten die meisten japanischen Unis zumindest ein selbstverwaltetes StudentInnenheim und/oder ein Gebäude für die Circles. Man handelte sich Verträge mit d. Uni aus. Was wegen der Mitgliedszahlen beim Zengakuren (mehrere 100.000) leichter durchzusetzen war
In den 60ern wurde die linke StudentInnenbewegung dann ein gesellschaftlicher Faktor. Militante Demonstrationen mit zehntausenden TeilnehmerInnen waren keine Seltenheit.
Die autonomen studentischen Räume waren die Zentren der Bewegung.
Der Staat wusste das auch. Liest man sich Aufzeichnungen des Fuchuu-Wohnheims der Hosei-Universität durch, ist die ganze Zeit von Hausdurchsuchungen seitens der Polizei sowie Druck seitens der Uni-Leitung, das Heim zu Räumen, zu lesen.
In den 60ern begann der "Kampf um die Campusse" (学園闘争). Auf dutzenden Unis wurden die autonomen Strukturen verstärkt, teilweise mittels Barrikaden und bewaffneten Wachen. Der Höhepunkt dieses Konflikts war die Besetzung der als Elite-Uni bekannten Uni Tokio im Jänner 1969.
Die Besetzung wurde nach mehreren Tagen erbitterten Kampfs gegen eine Armee an PolizistInnen aufgegeben, man machte weltweit Schlagzeilen.
Was jedoch oft untergeht: Neben der Uni Tokio gab es auch Besetzungen auf verschiedenen anderen Unis. Manche davon hielten sich noch Jahre.
Spätestens in d. 80ern fängt der Staatsapparat an, noch stärker gg. autonome Räume vorzugehen. In Bildungsreformen wird d. Kampf gegen Räume explizit festgeschrieben. Gleichzeitig ist die student. Linke im Niedergang. Manche Orte werden auch schlicht aus Personalmangel aufgegeben
Weitere Bildungsreformen in den 90ern führen dazu, dass auch staatliche Universitäten mehr und mehr zu profitorientierten Unternehmen mutieren. Rechte Ideologen sprechen offen davon, die Geisteswissenschaften abschaffen zu wollen, da diese ...
a.) Wirtschaftlich nicht rentabel seien
und
b.) Eine Brutstätte linker Ideologien seien
(Bild: Plakat in unbekanntem Campus: "Kein Entritt für den Verfassungsschutz!")
Anfang der 2000er verliert die Bewegung einige ihrer wichtigsten Räume. In Tokio die Kellerräume der Waseda-Universität und das Komaba-Wohnheim der Uni Tokyo. Beide werden von 100en Polizisten/Securities gewaltsam geräumt.
2004 folgt noch das "Studentenhaus" der Hosei-Universität
Um eine Idee dafür zu bekommen, wie massiv diese Orte waren: Wir sprechen hier von mehrstöckigen Gebäuden auf mehreren 1000 Quadratmetern.
Drinnen waren: Bibliotheken, Arbeitsräume, Proberäume, Konzerthallen, Kampfsport-Übungsräume, feministische Räume, Küchen, Bars, Büros etc.
Autonome Räume gibt es noch heute auf JP Unis. Besonders die UniKyoto beherbergt viele. Das derzeit besetzt gehaltene Yoshida-Wohnheim + das von kommunistisch. StudentInnen verwaltete Kumano-Wohnheim seien hier erwähnt.
Ich hab 1 Artikel darüber geschrieb. jungle.world/artikel/2020/1…
Interessant ist auch, wie wenig Bewusstsein für autonome student. Räume es innerhalb der Linken in JP zu geben scheint. Unzählige Male hab ich von JP AktivistInnen gehört, wie toll doch Europa mit all den Squats sei.
Dass man auch solche Strukturen hat, scheint man zu vergessen.
Hajime Matsumoto, auch in Europa bekannter Anarchist aus Tokio, beschreibt in seinem Buch "Idiotenaufstand: Eine Anleitung wie man beknackte Räume eröffnet" zwar eine Vielzahl linksalternativer Orte in ganz Japan und Asien, aber von den autonomen Studiheimen liest man darin nix
Andererseits ist es aber auch so, dass in Japan vielen AktivistInnen schlicht eine Vorstellung davon fehlt, dass es woanders in der Welt auch das Konzept autonomer Räume (AZs, besetzte Häuser, Kommunnen etc.) gibt ...
Als ich mal im Yoshida-Wohnhaus war, fragten mich die BesetzerInnen doch tatsächlich, was das HausbesetzerInnenzeichen bedeutet, womit sich BesucherInnen aus Tschechien auf einer Wand verewigten.
Bild: Plakat für Vortrag über besetzte Häuser in GER/AUT im Yoshida-Wohnheim, Kyoto
Wie dem auch sei.
Das war nur mal ein sehr kurzer und oberflächlicher Einblick in autonome studentische Räume in Japan.
Über Feedback und Fragen freu ich mich immer :)
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Vor einer Woche oder so hab ich hier auf Twitter mal nachgefragt, ob's sowas wie ne akadem. Definition autonomer Räume bzw. der dahinterliegenden Idee von "Autonomie" gibt.
Hab dann Hakim Beys "Temporary Autonomous Zone" empfohlen bekommen und, well: es is Kacke. 1 paar Gedanken.
Kurz gesagt: Das ganze liest sich wie ein Fiebertraum eines auf LSD hängengebliebenen Hippies.
Da geht's von Marx über Schamanismus und Drogen hin zu besetzten Häusern und Musik und was weiss ich noch was.
Eine Studie ist das nicht, sondern halt sowas wie ein Manifest.
Manifeste können zwar hilfreich in der Forschung sein, sind aber per se keine Definitionen.
Und Hakim Beys Manifest ist ganz besonders das, was wozu wir in Österreich "waach" sagen. Also ein wenig ziemlich gaga und verschwurbelt.
Wie schnell Slowenien derzeit in Richtung eines autoritären Staats nach Vorbild Orban marschiert, zeigt die gestrige Gedenkfeier für gefalle Domobranci (slowenische faschistische NS-Kollaborationsarmee, den Eid schworen sie auf Hitler). Die Feier wurde von d. Regierung abgehalten
Die Domobranci (= "Heimwehr") war eine offen nationalsozialistische Kollaborationsarmee.
Am Bild sehen wir Domobranci-Führer Leon Rupnik mit NS-Größen in Slowenien beim Fahneneid auf das Deutsche Reich am 20. April 1944 (jep, an Hitlers Geburtstag).
Die rechtsextreme Regierung unter Premier Janez Janša betreibt eine Politik der Rehabilitierung und Ehrung der Domobranci. Im ganzen Land kommt es mehr und mehr zur Aufstellung faschistischer Denkmäler.
Bis vor wenigen Jahren wäre das in Slowenien komplett undenkbar gewesen.
Wollt ihr wissen, wie die @agesnews (AGES), die staatseigene Firma, derzeit mit der Pandemiebekämpfung betraut, mit den Daten getesteter Personen umgeht?
Dann hört euch die Story an, welche meine Partnerin gestern erlebt hat. Euch wird, wie mir, der Mund offen stehen. 1 Thread.
Gestern 21:15. Meine Partnerin, erst seit kurzem in Österreich, geht ins Ernst Happel Stadion für einen Antigen-Test.
Es geht schnell und unkompliziert.
"Muss ich hier auf das Ergebnis warten?" Fragt sie.
"Das Ergebnis wird ihnen per SMS/Mail zugeschickt, sie können gehen".
Sie geht.
Und wartet.
Eine Stunde.
Zwei Stunden.
Das Ergebnis ist immer noch nicht da. Nicht per Mail und nicht per SMS.
Die Party, auf die sie eingeladen wurde, muss sie sausen lassen. Wir gehen stattdessen ins Beisl um Eck auf ein paar Getränke. (ps.: Freundin is geimpft).
Am Mittwoch dem 6.10. startet in Wien das japanische Filmfestival "Japannual". Dort zu sehen sind 1 Haufen guter Filme, aber auf einen möchte ich ganz besonders hinweisen.
Der Film heist "Ushiku" und ist eine Dokumentation über das japanische Immigrationsregime.
Ein Thread.
”Ushiku” ist der Name eines kleinen Ortes in Japan. Ein Ort ohnne Besonderheiten.
Außer einer: In Ushiku steht japans größtes und berüchtigstes Abschiebegefängnis.
In den letzten Jahren starben dort mehrere Inhaftierte, viele mehr erlitten schwerste Verletzungen.
Der Mann, der am Bild von den Wärtern Misshandelt ist, ist Deniz. Ein Kurdischer Flüchtling aus der Türkei.
Deniz ist einer der ersten Flüchtlinge, die es wagten, aus der Zelle heraus Widerstand gegen die Zustände zu leisten. Er wurde jahrelang eingesperrt und gefoltert.
Was mich, seit ich aus Tokyo zurück bin, an Wien vll am meisten stört: Der Autolärm.
In Tokyo kann man¸, obwohl Megacity, problemlos zentral wohnen und so gut wie niemals fährt ein Auto an der Wohnung vorbei.
Wieso? Nun, ich versuch's ein wenig zu erklären, kurzer Thread.
Autos und sogar Kutschen kamen erst relativ spät nach Japan. Ebenso war Land knapp bzw. im Besitz des Adels, weswegen grundsätzlich sehr eng gebaut wurde.
Kurz gesagt: Es ging nicht darum um Autos/Straßen drumherum eine Stadt zu bauen, sondern darum Platz zu sparen.
Auch als die Industrialisierung in Japan schon voll im Gange war, änderte sich daran nicht so viel. Ein gutes Beispiel ist das Erdbeben von 1923, als ein Großteil Tokyos abbrannte (siehe Bild). Beim Aufbau wurde das Auto trotzdem nicht in den Vordergrund gestellt.
Eine Sache, die für mich bis heute schwer zu verstehen bzw. akzeptieren ist: Das es so viele Leute gibt, für die ihre Politisierung nach links auch mit einer Emanzipation aus rassistischen/rechten Familienverhältnissen einhergegangen ist. Ein kurzer Thread/Diskussion. 1/x
Ich komm aus einem linken/antifaschistischen Familienumfeld. Nicht nur die Eltern - meine Großeltern kämpften als jugoslawische PartisanInnen an der Waffe oder. halfen diesen. Diese Hilfe führte zB. zur Gestapo-Haft meiner Oma.
Andere Verwandte waren im KZ.
Es waren (kärntner) SlowenInnen, und noch lange nicht alle meiner Verwandten waren KommunistInnen oder verstanden sich als links. Mein Opa war zb. erzkonservativer, patriarchaler Katholik. Aber Slowene zu sein bedeutete im NS den sicheren Tod. Weswegen er gegen die Nazis war.