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Apr 5 16 tweets 5 min read
Ein 🧵über den #IPCCReport und teils nicht oder fast nicht stattgefundene mediale Abdeckung. (Ich hatte gestern großen Frust). Hintergründe journalistischer Auswahlprozesse: 1/
Dass der Bericht #IPCC (3. Teil, 6. Sachstandsbericht) kommt und dass er höchst relevant ist, wie sollte gehandelt werden in der größten Krise weltweit, dass dazu ein weltweit abgestimmtes Dokument, das quasi das gesamte aktuelle Wissen bündelt, ist lange bekannt. Nach 2/
klassischen "Nachrichtenfaktoren", die Prinzipien der Aufmerksamkeitsökonomie bündeln, maximale Punktzahl, zumindest bei denen, die gesellschaftliche Relevanz spiegeln. Betroffenheit, Folgen, Nähe, Beteiligung, Kontroverse... (siehe u.a. netzwerkrecherche.org/handwerk/studi…) 3/
Wieso war es für einige Redaktionen dennoch offenbar nicht relevant? Hier lohnt ein Blick auf andere Faktoren, die auch eine Rolle spielen. Überraschung zum Beispiel. Einer der am stärksten wirkenden Faktoren. Quasi zeitgleich zum #IPCC kam gestern die Ankündigung, dass ab Mai 4/
nur noch freiwillige Quarantäne #Corona. Überraschung, das ist ein "Nachrichtenfaktor", in dem sich quasi - überspitzt - auch unser banales "Mensch-Sein" spiegelt. Wie? Krass? Ach, kann doch nicht sein. Etwas, was bei den Botschaften des #IPCC so nicht mehr passiert, 5/
da ja bekannt, dass es eine Krise riesiger Dimension ist. Aufmerksamkeitsökonomie schlägt langfristige Relevanz also. Dann der Faktor "Etablierung des Themas". Da lässt sich auch auf den Ukraine-Krieg schauen, der aktuell die Formate quasi etabliert auf eine bestimmte Weise 6/
füllt. Hinzu die Faktoren, auch mit Blick auf Butscha: emotionale + direkte Betroffenheit im Moment, Gewalt / Aggression und vor allem auch Verfügbarkeit aufrüttelnder Bilder. Ein sehr nachrichtenstarker Tag gestern. Wenn man darauf zurückblickt - mit Blick auf die 7/
Rolle des Journalismus in einer Gesellschaft, auch als Aufmerksamkeitsverschaffer für relevante Themen, ist es sehr "spannend", wie das je gewichtet wurde je. Vor dem Hintergrund, dass politisches Handeln ja mit öffentlicher Aufmerksamkeit / Druck direkt verbunden ist. 8/
Dann noch ein spannender Faktor strukturell: Für viele Redaktionen spielen Nachrichtenagenturen eine wichtige Rolle. Wenn da viel auf dem Tisch landet, dann erzeugt dies einen Reflex, das Thema noch einmal genauer anzuschauen. Beim #IPCC war das gestern eher 9/
weniger. Also Agenturmeldungen vorab auf Basis des ja vielen Journalisten schon Stunden vor 17 Uhr zur Verfügung stehenden Berichts. Mit Sperrfrist. Und eine Zeit nach 17 Uhr ist dann eine, in der viele Pläne für die Abend- / Morgenausgaben schon gemacht sind. 10/
Es musste quasi also aus den Redaktionen heraus vorab der Impuls dagewesen sein, das Thema größer zu platzieren. Gut möglich war das ja durchaus inhaltlich, da #ClimateCrisis ja auch direkte Schnittmengen zu rund um Ukraine-Krieg hat. 11/
Dass der #IPCCReport aber auch ein "Paukenschlag" war, ließ sich erkennen. Denn eine Verschiebung der Veröffentlichung des Summary for Policymakers, eine Verzögerung der finalen Abstimmung dazu, das hatte es so bisher nicht gegeben & zeigte, was da hinter den Kulissen läuft. 12/
Das wussten die, die sich da auskennen. Es spiegelte das ungemeine Ringen der Welt in dieser Krise #ClimateCrisis sehr symbolisch. Für die Science-Community war es schon ein Nachrichtenfaktor "Überraschung". Aber ist es bei anderen angekommen? 13/
Frage da auch: Wie vernetzt sind Redaktionen mit ihren Wissenschaftskollegen? Und worüber ich auch nachgedacht habe, politisches Parkett: Wieso wird ein solches Thema wie die Quarantäne so parallel veröffentlicht. Im Zweifel keine Hintergedanken. Aber auch das 14/
ist ja ein Signal. Und dann: Wo wir bei #Ukraine darüber diskutiert hatten zu Beginn, über "blinde Flecken" der Berichterstattung im Vorfeld relevanter Krisen. Oder eben jetzt - inmitten oder noch mehr #ClimateCrisis. Jonglage von Relevanz - was ist das Ziel? 15/
Und abschließend - falls die Beobachtungen in der Berichterstattung teils gestern eine Plakette für den Umgang und die Bewältigung #ClimateCrisis sind, dann fühle ich mich gerade so 🙈 🧵/end

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