Als ich den Text veröffentlichte, war mir noch nicht lange klar, wie akut unsere Lage eigentlich ist. Das war mir erst 8 Wochen vorher bewusst geworden, und es hatte mich damals wie ein Schlag erwisch, denn schließlich war ich zu dem Zeitpunkt seit 10 Jahren Journalistin.
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Wie konnte es sein, dass ich nicht wusste, was die Klimakrise mit meinem Leben zu tun hat? Und das nachdem @FridayForFuture das Thema seit 2 Jahren in dem Mittelpunkt gerückt und ich fast täglich dazu gelesen hatte?
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Mein, ich gebe es zu, etwas naiver Reflex war: Wenn ich das nicht wusste, dann wissen das offenbar auch viele meiner Kolleg*innen nicht – also gebe ich doch einfach mal Bescheid.
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Denn was sofort offensichtlich war: Die mediale Berichterstattung ist ein riesiger Hebel.
Der öffentliche Diskurs ist Lichtjahre vom wissenschaftlichen entfernt. Und wenn wir keinen klaren Blick auf die Krise haben, können wir auch nicht angemessen darauf reagieren.
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Die Gründe, warum der Diskurs über so verzerrt ist, sind vielfältig & komplex. Lobbynarrative, psychologische Abwehrmechanismen, journalistische Systemlogiken & Missverständnisse zu guter Klimakommunikation wirken zusammen & sind deswegen auch nicht so einfach aufzulösen.
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In den vergangenen zwei Jahren habe ich versucht, sie zu verstehen – und zu erklären. Denn um sie durchbrechen zu können, muss man sie kennen. Ebenso wie die grundlegenden Fakten und Zusammenhänge zur Klimakrise.
/7 brandstaetterverlag.com/buch/klartext-…
Das zeigen auch Klimabürgerräte: Repräsentativ ausgewählte Menschen einigen sich dort auf, verglichen am öffentl. Diskurs, radikale Maßnahmen. Wenn ihnen vorher von Expert*innen verständlich erklärt wurde, wie akut die Situation ist & wie wir effektiv darauf reagieren können.
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Mir war vor 2 Jahren schon klar, dass Redaktionen nicht am nächsten Tag ihre Berichterstattung komplett umwerfen würden, aber ich hatte das Vertrauen in unsere Branche, dass viele es ernst nehmen, in die Debatte einsteigen und sich damit beschäftigen würden.
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Denn ich bin überzeugt: Wenn wir wirklich anfangen, über das gleiche Ausmaß von Krise zu sprechen, werden die allermeisten Journalist*innen eine ähnliche Auffassung davon haben, was Journalismus kann und soll in dieser historisch einmaligen, existentiellen Krise.
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Aber auch zwei Jahre später beschäftig sich vor allem eine kleine Gruppe von Interessierten mit dem Problem. Und den Lösungen. Ein ernsthafter Diskurs ist nicht entstanden.
Auch wenn sich einiges bewegt hat, der offene Brief bleibt aktuell:
Hallo #Klimatwitter, hallo #AcademicTwitter, bevor sich alle in den hart verdienten Urlaub zurückziehen: Ich brauche eure Hilfe.
Ich habe etwas geschrieben, was langes, und bevor das veröffentlich wird, würde ich mich freuen, wenn ein paar Expert:innen entsprechende Stellen ...
gegenchecken könnten. Ich würde dann sehr viel besser schlafen in den kommenden Wochen. Und der Sache wäre es auch zuträglich, wenn ich keine vermeidbaren Fehler, veralteten Daten oder unzulässigen Zuspitzungen drin habe. Mal geht es um 2 Absätze, mal um 10, mal um 1 Kapitel.
Alles in diesem Text ist richtig (soweit ich das beurteilen kann) & natürlich kann es nicht unsere Aufgabe sein, klimapolitische Maßnahmen immer zu bejubeln. So jedoch werden sie vor allem zerredet, das Verständnis für die (erwiesenermaßen) notwendigen Maßnahmen wird geschmälert.
Hier fehlen zwei wichtige Dimensionen:
1. Das Ziel ist nicht "Klimaneutralität bis 2050, weil die EU das will", sondern das Ziel ist es, unser aller Lebensgrundlagen zu schützen. Gebäude zu dämmen ist ein unsexy aber extrem notwendiger Teil davon.
Vielleicht werden wir unsere Zukunft einfach vergeigen, weil einem Großteil der Journalist:innen und Politiker:innen gar nicht klar war, wie ernst die Lage ist.
Und weil sie denen, die es ihnen gesagt haben, nicht zuhören wollten 🤷♀️
Meine Güte, ist das deprimierend. Gerade weil das Problem ja lösbar wäre. Oder: ist.
Auch die Wissenschaft müsse ihre Rolle überdenken, sagt Myriam Rapior von @BUNDjugend auf dem Panel zur Kommunikation von Klimaforschung und bekommt dafür - im Vergleich zu anderen Beiträgen - schon fast tosenden Applaus.
In der Zukunftskommission Landwirtschaft sei oft sie es gewesen, die wissenschaftliche Fakten einbringen musste und die Wissenschaftler:innen aufforderte, eben mit diesen Fakten zu widersprechen, wenn Politiker:innen nachweislich schädliche Entscheidungen treffen wollten.
Wie kann das sein?
Noch immer empfinden es viele Forscher:innen als ihre Rolle, Fakten vor allem zusammenzutragen. Sie dann auch entsprechend verständlich zu kommunizieren und zu verteidigen, gilt vielen als politisch – und damit als nicht schicklich.
Die einen nennen das Ergebnis der #COP26 "historisch", andere bezeichneten die Verhandlungen von vornherein als BlahBlah.
Wie kann es sein, dass Beobachter:innen & Beteiligte zu so unterschiedlichen Einschätzungen kommen?
Und: Wer hat recht?
Die zunächst paradox anmutende Antwort: Beide.
Es kommt auf die Perspektive an.
(Wohl die allermeisten Expert:innen haben eh einen differenzierten Blick, betonen aber - je nach Strategie oder Weltsicht - eine der beiden Seiten.)
Die Perspektive der einen: Nach Jahrzehnten von Verhandlungen ist es tatsächlich ein Fortschritt, nicht mehr auf 4 Grad Erderhitzung oder mehr zuzusteuern, sondern „nur noch“ auf 2,4 Grad.
Gegenfrage: Ist Corona-Berichterstattung Aktivismus?
Waren die Journalist:innen von @zeitonline aktivistisch, als sie zu Beginn der Pandemie eine Erklärung der damals für uns neuen AHA-Regeln auf ihrer Homepage fest eingebettet hatten?
Offensichtlich mit der Absicht, ihre Leser:innen aufzuklären und so im Idealfall auch Verhalten zu beeinflussen und zur Eindämmung des Virus beizutragen?