🧵#Russland|s Krieg in der #Ukraine. Versuch einer Standortbestimmung zu Beginn des Winters. Teil 2, militärische Situation: Welche Offensiven führt die 🇺🇦, welche 🇷🇺? Welche Entwicklungen lassen sich daraus ableiten?
1/39 Teil 1 befasst sich mit politischen & wirtschaftlichen Verwerfungen in Russland, sowie Russlands versuchtem Holodnamor („Tod durch Kälte“) an den Ukrainer:innen mittels Raketenterrors:
2/39 Um die militärische Situation zu verstehen, muss vor allem eines verstanden werden: Zuvorderst geht es um Logistik. „Feed the need“ ist das Motto - Logistikrouten sind die Lebensadern, ohne versorgte Soldaten gibt es keine Kampfkraft, keine Operationsmöglichkeiten.
3/39 Es ist also wie in unserem Körper, wo die Zellen über ein feines Netz aus Adern mit Nährstoffen versorgt werden. Und noch ein Grundsatz: Solange die Frontlinie bogenförmig ist, hat derjenige auf der kürzeren Innenseite einen wichtigen Vorteil: Kürzere Logistikrouten.
4/39 Diese kürzeren Wege bedeuten auch schnellere Reaktionsmöglichkeiten um z.B. Truppen spontan verlegen zu können. Den Vorteil der inneren Linie hat die Ukraine (Kartengrundlage ISW, verändert).
5/39 Derzeit gibt es drei Offensiven, die mehr oder minder auf die Bekämpfung von Logistiklinien des Gegners zugeschnitten sind. Die 🇷🇺 erhoffen sich von ihrem landesweiten Raketenterror (s. Teil 1) gegen die Zivilbevölkerung der 🇺🇦 einen Sekundäreffekt:
6/39 Über die zerstörte krit. Infrastruktur soll auch die Operationsmöglichkeit der 🇺🇦 Armee eingeschränkt werden. Soldaten müssen verpflegt, Material muss bewegt werden.
7/39 Die 🇺🇦 führt eine Abriegelungskampagne, ähnlich wie wir sie in #Kherson gesehen haben. V.a. mittels HIMARS werden 🇷🇺 Truppen- und Materialkonz. sowie neuralgische Elemente der Verkehrsinfrastruktur wie z.B. Brücken im Hinterland bekämpft.
10/39 Sogar kurzfristig lassen sich temporäre Materialengpässe erzeugen. Für einen aktuellen 🇷🇺 Befehl zur Aussetzung der Verwendung von Artilleriemunition um #Donezk, siehe ISW zum 4.12. understandingwar.org/backgrounder/r…
11/39 Die Reichweite der verwendeten #HIMARS beträgt nominal 80km, effektiv dürfte sie aber nur selten >60km sein. Ein Heranführen der wenigen Abschussbasen nah an die Frontlinie wird gemieden. #ATAMCS würde die Reichweite vergrößern, aber die USA weigern sich, diese zu liefern.
12/39 Es gibt jedoch andere Munition, die die Reichweite von HIMARS erhöhen könnte, darunter die GMLRs ER und die bodengestützte SDB. Letzteres ist interessant, weil es auf Munition zurückgreift, die bereits leicht verfügbar ist (M26-Raketenmotoren + GBU-39B).
13/39 Beide Systeme würden die HIMARS-Reichweite von 80 auf ~150 km erhöhen (effektiv ~130 km). Wir könnten sie (vielleicht) im Frühjahr sehen thedrive.com/the-war-zone/g…
14/39 Die 🇺🇦 führt noch eine zweite Offensive gegen Logistikrouten der 🇷🇺: Mittels Partisanen. Naturgemäß ist diese kaum sichtbar. Hier erläutert ein Fachmann, was im Verborgenen grundsätzlich passiert
15/39 Bereits ein kleiner Partisanen-Schlag kann in letzter Konsequenz einen Zusatzbedarf beim Gegner erwirken und dessen Ressourcen in Konkurrenz zueinander bringen. Logistikrouten müssen z.B. über Drohnen geschützt werden, die dann z.B. an der Front zur Aufklärung fehlen.
16/39 Dies reduziert die Operationsfähigkeit. Ohne Art und Umfang genau zu kennen, haben wir eine Ahnung, dass das Gebiet rund um #Melitopol eine Partisanenhochburg ist. P. operieren aber überall in den besetzten Gebieten: Kleine Zeichen verbreiten Angst unter den Okkupanten
17/39 Gewalt gegen Zivilisten soll Partisanen eindämmen. Es ist aber fraglich, ob dadurch nicht das genaue Gegenteil erreicht wird.
19/39 Die Folgen dieser beiden 🇺🇦 Offensiven gegen die Logistikrouten sind enorm: Trotz Schanzarbeiten in der östliche Oblast Kherson und dem besetzten Teil von #Zaporizhzhia beurteilen die 🇷🇺 ihre eigene Lage dort wohl als brenzlig
20/39 Die brenzlige Lage ist Folge der unzureichenden Logistik. Die Verengung der „Versorgungsarterie“ #Krimbrücke (als Teil der 🇺🇦 Kampagne gegen die 🇷🇺 Logistik) kann nur partiell mittels Schiffen kompensiert werden.
21/39 Die Logistik der 🇷🇺 Armee ist traditionell auf das Schienennetz ausgelegt. D.h. Die relative Bedeutung von #Luhansk-Stadt als Logistik-Drehkreuz ist seit Wegfall der Krimbrücke nochmal enorm gestiegen,
26/39 In Teilen sind die Probleme hausgemacht und nicht auf die erfolgreichen 🇺🇦 Abriegelungskampagnen zurückzuführen. Dazu gehören auch eklatante, systemimmanente Ausrüstungsmängel
28/39 Neben diesen „Logistik-Offensiven“ findet eine weitere 🇺🇦 Offensive im Verborgenen statt: Eine gegen 🇷🇺s Mobiks. Wir wissen, dass sie als Lückenfüller an der gesamten Frontlinie eingesetzt werden, vor allem aber in N-#Luhansk (v.a. Kreminna - Svatove).
29/39 Ihr primärer Auftrag: Den Vormarsch der 🇺🇦 zu bremsen; an anderen Orten werden sie auch bei lokalen Offensivanstrengungen eingesetzt, wie vor kurzem bei den verheerend gescheiterten 🇷🇺 Angriffen um #Pavlivka, #Vuhledar, oder rund um #Bakhmut.
30/39 Wie erfolgreich sie bekämpft werden, bleibt abzuwarten. Die Verluste sind immens, aber 🇷🇺 hat Verluste von 100.000 Mobilisierten über den Winter hinweg eingepreist. news.trenddetail.com/today/257990.h…
31/39 Oft werden sie anscheinend mit Gewalt durch sog. Sperrtruppen in die Einsätze geschickt
32/39 Nirgendwo lässt sich der Fortgang dieser „unsichtbaren Offensive“ so gut nachvollziehen wie bei @Strien9, der tagesaktuelle Updates gibt.
33/39 Die Strategie zur Bekämpfung dieser Angriffswellen aus schlecht ausgebildeter und ausgerüsteter Infanterie mit nur wenig Unterstützung durch mechanisierte Kräfte dürfte darin liegen, ihre Verluste je Zeiteinheit zu maximieren.
34/39 Dies erreicht man am ehesten durch Verteidigung, denn das Verhältnis von Verlusten Angreifer vs. Verteidiger liegt üblicherweise bei 2-3:1. Mit zw. 5-10:1 ungewöhnlich hoch ist das Verhältnis um Bakhmut, wie verschiedene Quellen schätzen.
35/39 Das funktioniert aber nur so lange, wie geeignete Deckung vorhanden ist. Ist diese weg, dann ist es besser, sich zurückzuziehen und die 🇷🇺 in den Trümmern sitzen zu lassen. Es geht um Maximierung gegnerischer Verluste bei gleichzeitiger Minimierung eigener Verluste.
36/39 Beispiele für unbrauchbare Stellungen (18+Video!)
37/39 Solch’ taktische Rückzüge dürfen wir nicht automatisch als Niederlagen begreifen! Selbst wenn z.B. Bakhmut fiele, müsste das keine Niederlage sein, sondern könnte ein Pyrrhussieg 🇷🇺s sein (Stichwort #Mariupol, #Sieverodonezk).
38/39 Der momentan weitgehende Frontstillstand darf also nicht darüber hinwegtäuschen, dass verschiedene Offensivoperationen laufen und intensive Kämpfe mit beiderseits brutal hohen Verlusten stattfinden.
39/39 Die absehbar kommenden, raumgreifenden Offensiven stehen unter klarer Beeinflussung der hier geschilderten Zusammenhänge und geführten Offensiven. Ich werde mich ihnen in Teil 3 widmen.
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🧵#Ukrainekrieg. Versuch einer Standortbestimmung zu Beginn des Winters. Welche Strategien verfolgt #Russland und wie stark schwankt der entgrenzte (Schein-)Riese? Wie setzt sich die #Ukraine zur Wehr? Teil 1
1/34 🇷🇺 befindet sich in einem Prozess der Selbstverzwergung. Erwachsen aus einer Reihe militärischer Niederlagen in der 🇺🇦, zuletzt in #Kherson. Selbst eng an 🇷🇺 gebundene Akteure gehen auf Abstand.
🧵Angriffskrieg #Russland|s in der #Ukraine: Was ängstigt die #Bundesregierung unter Führung der #SPD wirklich? Eine Betrachtung und ein Plädoyer. Bei Unterstützung gerne retweeten.
1/25 Nach langen gut acht Monaten elenden Krieges und hoher Blutzollentrichtung, hat die Ukraine beachtliche Erfolge auf dem Schlachtfeld errungen und 50% einstmals okkupierter Gebiete befreit.
2/25 Dazu trugen auch die westlichen Waffenlieferungen maßgeblich bei. Mögen sie auch noch so langsam - und oftmals allem Anschein nach widerwillig, insbesondere aus Deutschland - in die Ukraine transferiert worden sein.
What options of action does #Ukraine have to resist #Russia|s war of aggression and fully restore its territorial integrity? (Published in German beforehand) A 🧵
A few days ago I ventured an approximation of what Russian warfare in the #Ukraine war might look like in the coming months (in German, however, you might use google translation)
1⃣ I currently see three theoretical options of action for Ukraine. (1) Ukraine seeks a negotiated settlement. At latest, however, the recent annexations by Russia, however, have finally removed any breeding ground for this option
Welche Handlungsoptionen hat die #Ukraine um im Angriffskrieg #Russland|s zu widerstehen und ihre territoriale Integrität vollständig wiederherzustellen? Ein 🧵
Vor einigen Tagen habe ich eine eine Annäherung gewagt, wie die russische Kriegsführung im #Ukrainekrieg in den nächsten Monate aussehen könnte. 1⃣
Wo müsste die #Ukraine zuschlagen, um #Russland ins Mark zu treffen? Könnte die Ukraine womöglich mit ihrem Schlag sogar Einfluss auf die Nachfolge #Putin|s nehmen? Dazu versuche ich, in #Zaluzhnyi|s Kochtopf zu blicken. Kocht er wirklich nur mit Wasser? Ein 🧵
Eine essentielle Grundannahme tätige ich: Die Ukraine verfügt über Ressourcen für eine dritte Offensive neben den laufenden Operationen #Kherson und #Charkiw/#Luhansk. Valide Kenntnisse dazu sind aus naheliegenden Gründen unmöglich. Infos dazu unterliegen der Geheimhaltung. 1⃣
Weit verbreitet bestätigen Quellen zumindest keinen Mangel an Truppen, flankiert von einem intelligenten 🇺🇦 Rotationssystem. Die Schilderungen dieses Soldaten der Foreign Legion dazu sind eindrücklich: 2⃣
Am 08.10. wurde #Surovikin zum Kommandeur der Spezialoperation #Russland|s in der #Ukraine ernannt. Mittlerweile lässt sich seine Handschrift erkennen. Ich wage daher eine Annäherung, wie die russische Kriegsführung im #Ukrainekrieg in den nächsten Monate aussehen könnte - Ein 🧵
In der Armee ist Surovikin seit seinem Syrien-Engagement als "General Armageddon" bekannt. Der Spitzname ist Programm, wie der Raketenterror gegen die kritische Infrastruktur als gewähltes Mittel der Wahl belegt. So soll der Kampfeswillen der UkrainerInnen gebrochen werden. 1⃣
Zudem hofft man wohl auf Synergieeffekte durch Erschwerung der ukrainischen Logistik. Entsprechend ist man auf russischer Seite bemüht, die erschöpften Ressourcen mittels iranischer Kampfdrohen und Raketen aufzufüllen.