WELT: Herr Müller, die Proteste gegen die Räumung von Lützerath sind am Wochenende eskaliert. Woher nehmen sich Klimaaktivisten das Recht, Gesetze zu brechen?
Tadzio Müller: Die Klimabewegung steht da in der Tradition sozialer Bewegungen, von der Arbeiterinnen- und ...
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Arbeiterbewegung über die Frauenbewegung, die amerikanische Bürgerrechtsbewegung, die Schwulenbewegung und die Anti-Atom-Bewegung. Sie alle haben zivilen Ungehorsam geübt, um gesellschaftlich notwendigen Fortschritt zu erkämpfen.
WELT: Mit Flaschen auf Polizisten zu werfen
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, ist aber kein ziviler Ungehorsam, oder?
Müller: Viele Bewegungen waren radikaler als wir. Die Suffragetten, die das Frauenwahlrecht erkämpften, haben sich vor Pferde geworfen und Briefkästen angezündet. Gesellschaftlicher Fortschritt konnte oft nur mit Regelbruch erkämpft
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werden. Deutschland erfüllt seine Klimaziele nicht, zu der sich die Bundesrepublik im Pariser Abkommen verpflichtet hat. Deswegen halte ich es für legitim, Regeln zu brechen. Der Klimanotstand stellt eine Ausübung von Gewalt durch Deutschland gegenüber anderen Menschen auf
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der Welt dar. Deswegen gibt es ein Klimanotstandsrecht.
LT: Nein, das gibt es nicht. Es gibt das Recht auf Meinungsfreiheit, das Recht, sich friedlich zu versammeln und zu demonstrieren. Ich finde es geschmacklos, wenn sich Herr Müller auf die US-Bürgerrechtsbewegung...
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beruft. In Lützerath hat die Bewegung gegen gerichtliche und demokratisch getroffene Entscheidungen protestiert, die sie nicht respektieren will. Der Protest richtete sich gegen einen Konsens, der unsere freiheitlich demokratische Grundordnung ausmacht. Den infrage zu...
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stellen ist etwas anderes, als Bürgerrechte erst zu erkämpfen, die einer Gruppe vorenthalten werden. Afroamerikanische Bürgerrechtler wie Rosa Parks und Martin Luther King haben sich dagegen aufgelehnt, dass sie nicht die gleichen Bürgerrechte in ihrem Land haben, wie andere
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– nicht dagegen, dass sie Entscheidungen des Parlamentes nicht respektieren. Das ist ein großer Unterschied. Widerstand übt man gegen Unrechtsregime. Sich im demokratischen Rechtsstaat derart moralisch zu verbrämen, wie es nun einige Klima-Aktivisten getan haben, finde ich
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unangemessen. Dahinter steckt eine Verachtung demokratischer Prozesse und Institutionen.
Müller: Den Begriff des Widerstands haben Sie jetzt reingebracht. Das Problem ist doch: Die Entscheidungen, die in Deutschland getroffen werden, betreffen nicht nur die 82 Millionen
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Menschen, die hier leben, sondern acht Milliarden Menschen weltweit. Menschen auf den Philippinen dürfen aber nicht darüber abstimmen, wie lange wir Braunkohle verbrennen. Der Punkt mit der Demokratie ist sehr wichtig: Aus einer globalen methodologischen Perspektive heraus
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müsste man sagen: Alle Menschen auf der Welt müssen über unsere Braunkohle-Politik abstimmen dürfen.
Teuteberg: Dann müssten wir auch über die Politik anderer Länder abstimmen. So kann Demokratie nicht funktionieren.
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TM: Bei der Klimakatastrophe geht es darum, ob wir noch weiterleben können auf der Erde. Unsere Lebensweise, die wirtschaftliche Überproduktion, steht dem entgegen. Noch 1 Punkt zur Rechtsstaatlichkeit: Die Bundesregierung erfüllt ihre rechtlichen Verpflichtungen nicht.
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, die sie beim Klimaschutz eingegangen ist. Im Strafgesetzbuch gibt es einen Notstandsparagrafen, der sagt, dass man unter bestimmten Bedingungen bestimmte Rechtsgüter über andere stellen darf. Warum halten wir unseren dreckigen Deal mit RWE in Nordrhein-Westfalen ein,..
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aber nicht unsere globalen Verpflichtungen im Pariser Klimaabkommen?
Teuteberg: Man kann unterschiedlicher Meinung darüber sein, was der richtige Weg beim Klimaschutz ist. Aber der bloße Hinweis auf einen Paragrafen hebelt andere Bestimmungen doch nicht aus. Zur Demokratie
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gehört das Abwägen. Deshalb gibt es Wahlen. Es gibt kein Recht, sich mit Gewalt gegen gesellschaftliche Mehrheiten und demokratische Verfahren durchzusetzen. Die Klimabewegung hat auch in der Klimakrise im Rechtstaat keinen Freifahrtschein.
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TM: Auch im Rechtstaat kann Recht Unrecht sein. Der §175, der schwulen Sex bestrafte, wurde 1994 abgeschafft. Vergewaltigung in der Ehe: strafbar seit 1997. Auch im Rechtsstaat müssen wir fragen: Sind Regeln rechtens? Sind sie gerecht? Halten sie 1 ethischen Prüfung stand?
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Teuteberg: Mit dem Argument können Sie natürlich jedes Gesetz anzweifeln, ganz wie es Ihnen passt. Das finde ich geschichtsvergessen.
Müller: Jetzt werden Sie beleidigend. Ich bin nicht geschichtsvergessen, sondern habe Geschichte sogar studiert.
Teuteberg: Es wäre ein
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falsches Prinzip, jedes existierende Gesetz per se ethisch noch mal zu hinterfragen.
Teuteberg: Nein! Im Unterschied zu einer Diktatur gilt in einem demokratischen Rechtsstaat die Annahme, dass das gesetzte Recht gilt. In einer liberalen Demokratie existiert zudem ...
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zudem Rechtsschutz. Es gibt viele Möglichkeiten, sich in politische Debatten einzubringen.
Müller: Sogar der Liberalismus, dem sich die FDP verschreibt, wurde in gewalttätigen Revolutionen erkämpft. Selbst das Bundesverfassungsgericht hat geurteilt, dass Regelbrüche ...
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legitime Elemente politischen Diskurses sein können, etwa die Sitzblockaden der Anti-Atom-Bewegung.
LT: Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe zu stellen, hat der Bundestag im Rahmen gesellschaftlicher Entwicklungen entschieden. So etwas ist Frage von gesellschaftlichen
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Debatten und demokratischer Meinungsbildung und hat mit Regelbruch nichts zu tun.
TM: Die Frauenbewegung ist ohne Regelbruch ausgekommen? Das glaube ich aber nicht.
WELT: Kommen wir zum Regelbruch in Lützerath. Haben es die Klima-Aktivisten mit ihrem Protest geschafft,
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mehr Akzeptanz für den Klimaschutz zu schaffen?
Müller: Sogar Menschen, die nicht aus der Bewegung kommen, tauschen jetzt privat „System Change not Climate Change“-Sticker aus. Die Klima-Bewegung bekommt viel Unterstützung, in Lützerath, aber auch gesamtgesellschaftlich –
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auch wenn es natürlich immer Sachen geben wird, die von vielen Menschen nicht akzeptiert werden. Mir ist klar, dass es, etwa in den Braunkohleregionen, Ängste gibt, nicht nur vor ökonomischem Abstieg, sondern auch vor dem Verlust der Identität, Tradition, gesellschaftlicher
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Teilhabe.
WELT: Wie passt das mit ihrem radikalen Aktivismus zusammen, der diesen Wohlstand bedrohen könnte?
Müller: Der ständige Verweis auf diese Ängste in der Gesellschaft bedeutet, dass wir einfach so weitermachen: Weiter fossile Autos verkaufen, Braunkohle verbrennen,
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Gas-Infrastruktur ausbauen und uns in weitere Abhängigkeiten begeben. Das aber sieht die Politik aller großen demokratischen Partien in Deutschland und in der Europäischen Union leider vor.
Teuteberg: Wenn Ihr Ziel 1 Systemwechsel ist, sollten Sie das hier mal klar sagen.
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Ende Gelände arbeitet mit der Interventionistischen Linken zusammen, die nach Einschätzung des Verfassungsschutzes das kapitalistische Wirtschaftssystem als auch den demokratischen Rechtsstaat abschaffen wollen.
Müller: Sie verwenden hier Kampfbegriffe, die ich nicht in...
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die Diskussion mit reingebracht habe.
LT: Sie können sich ja distanzieren. Doch Sie sind Teil von Ende Gelände & wollen ganz klar„System Change“.
WELT: Wollen Sie den Umsturz? Sind Marktwirtschaft und Rechtsstaat ungeeignete Mittel vs. die Klimakrise?
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Müller: Wenn wir das Klima schützen wollen, müssen wir einsehen, dass noch nicht genug getan wird. Der Werkzeugkasten, den Regierungen hier haben, ist ineffektiv. Weder der seit 2005 existierende Emissionshandel noch internationale Klimakonferenzen haben die Emissionen ...
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deutlich gesenkt. Es gibt 1 1zige im Rahmen des demokratischen Kapitalismus durchgeführte Politik, die eine deutliche Senkung des CO2-Ausstoßes bewirkt hat.
WELT: Und zwar?
TM: Der 1. Corona-Lockdown 2020, 1 Zeit, auf die niemand niemand von uns mit Freude zurückschaut.
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Das ist das einzige politische Werkzeug, das zu relevanten Emissionsreduktionen führt.
WELT: Sie wollen ernsthaft, dass wieder alles komplett heruntergefahren wird?
Müller: Es muss auf jeden Fall etwas runtergefahren werden. Wir müssen in die Richtung einer Postwachstums-
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ökonomie denken. Es gibt eben nur eine Variable, die darüber entscheidet, wie sich globale Emissionen entwickeln und das ist das globale Wirtschaftswachstum. Wächst die Wirtschaft, wachsen die Emissionen.
Teuteberg: Das ist mir zu simpel. Ich habe als Kind in Brandenburg
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erlebt, dass Sozialismus in der Regel mit Raubbau an der Natur einhergeht und nicht mit Klimaschutz. Degrowth und Deindustrialisierung sind keine Option. Wir sollten stattdessen auf zukunftsgewandte Technologie setzen, die Lösungen aufzeigen, für Wohlstand und Freiheit
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stehen und für andere Staaten ein Vorbild sind. Übrigens: Wenn wir als einziges Land auf maximalen Verzicht setzen – mit allen sozialen und wirtschaftlichen Folgen – heißt das noch lange nicht, dass andere Länder nachziehen.
WELT: Können Sie sich vorstellen, gemeinsam auf
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1 Klima-Demo zu gehen?
Teuteberg: Ich würde auf 1 Klima-Demo gehen, die dazu ermutigt, nach Lösungen und Technologien zu suchen, wo Zuversicht statt Apokalypse & Angstszenarien verbreitet wird. Verbote sind zwar 1 Möglichkeit , einzugreifen, aber selten die klügste.
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Müller: Das wären dann wohl 2 verschiedene Demos: Eine, die auf wissenschaftlichen Fakten basiert. & die andere, die auf magischem Denken basiert, dass uns 1 günstige, energieeffiziente & global einsetzbare innerhalb von wenigen Jahren vor der Klima-Katastrophe bewahrt.
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Teuteberg: Das ist kein magisches, sondern demokratisches & zukunftsgewandtes Denken.& damit sehr realistisch in unserer Republik.
The end. Leider stellte sich @LindaTeuteberg als schwache Diskussionspartnerin heraus, der neben ad hominem-Attacken & Luftblasen nix einfiel.
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Tadzio Müller über Klimaproteste_
»Da wurde mir richtig schlecht vor Schuld«
Vor 1 Jahr sprach der langjährige Aktivist Tadzio Müller von der Gefahr einer »grünen RAF«. Heute nennt er das einen Fehler, & fragt sich, ob Klimaprotest in diesen Zeiten überhaupt noch Sinn hat.
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SPIEGEL: vor 1 Jahr haben Sie gewarnt: Die Klimaproteste würden radikaler werden, die Repression auch. So entstehe schlimmstenfalls die »grüne RAF «. Der Begriff ging weit herum, nun wird die Letzte Generation, zu der Sie nicht gehören, immer wieder mit der RAF verglichen.
#Klimaum9-Weekend-roundup: was war los diese Woche in der Klima-Debatte? 1 Video-🧵
1. München verbietet Straßenblockaden (Brockdorf-Beschluss?) & Deutschland schützt sich nicht vor der #Klimakrise, sondern vor Klimaaktivismus. Aber nur #Klimaschutz verhindert "Radikalisierung".
2. Während die Welt zunehmend verzweifelt verdrängt, dass es keinen globalen Klimaschutz gibt, erzählt sie sich re: Schutz der #Biodiversität gerade genau den selben Bullshit, der vergangenes Jahrzehnt übers Klima erzählt wurde. Wir sind halt dämlich.
3. Und dann war da noch der #Warntag, an dem ich irgendwie das Gefühl hatte, dass die Warnung vor einer allgemeinen oder abstrakten Katastrophe mitten in einer konkreten, nämlich der #Klimakatastrophe, irgendwie unvollständig war.
"Klimaaktivist Tadzio Müller: 'Die #Klimabewegung ist VORERST besiegt & gescheitert'".
Leider hinterm @tagesspiegel-Paywall, daher hier als 🧵
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Herr Müller, Sie gelten als ein Vertreter radikaler Protestformen. Nach einer Blockade der „Letzten Generation“ in Berlin sind...
Sie durch einen Tweet aufgefallen.
TM: Meine Linie war immer: Gewaltfrei Regeln brechen und ungehorsam sein. Sie sprechen von meinem Tweet zum Unfall einer Radfahrerin am 31. Oktober.
Zunächst sah es so aus, dass Retter der Frau wegen der Aktion nicht rechtzeitig helfen...
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konnten. Sie schrieben: „Shit happens“.
Mein Tweet war richtig dämlich, völlig respekt- und empathielos. Ich konnte mich nur von ganzem Herzen entschuldigen und den Eintrag löschen. Auch danach erhielt ich noch Morddrohungen, wurde selbst als Mörder geschmäht. Den meisten
Warum kann der Kapitalismus nicht das #Klima schützen?
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Guten Tag & willkommen im Anthropozän, im Zeitalter, in dem der Menschheit nicht nur klar wird, dass sie in ihrer industriellkapitalistisch hochgetunten Variante tatsächlich der stärkste geologische Veränderungsfaktor 1/x
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auf der Welt ist, sondern möglicherweise auch, dass auf einem endlichen Planeten unendliches Wachstum anzustreben, irgendwie eine dumme Idee ist.
Die Sache mit dem unendlichen Wachstum bringt uns natürlich gleich zur K-, zur Kapitalismusfrage, die lautet:
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ist es möglich, innerhalb einer kapitalistischen Weltwirtschaft das Klima zu schützen?
Das Grundproblem: Wachstum wohnt dem Kapitalismus notwendigerweise inne, es ist nicht das Resultat einer möglichen politischen Fixierung auf Zielgrößen wie z.B. das Bruttoinlandsprodukt
Die kaum versteckte Hoffnung rechter Trolle & Kommentatoren, die #Affenpocken mögen doch bitte das neue #AIDS sein, ist... für diese Arschlöcher total folgerichtig, weil alle notwendigen Elemente in der Story drin sind. Dazu & der actual Story of #HIV/AIDS 1 kurzer Thread 1/x
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Zuerst mal: was „wissen“ wir über die Affenpocken (AP), sprich, was wird in den gängigen Medien darüber erzählt, was ist der „Diskurs“?
- der Name: „Affen“ werden als whitesupremacist, rassistisches Stereotyp genutzt, vgl. rassistische Beleidigungen schwarzer Fußballspieler
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D.h., dass „Affe“ in der whitesupremacist Imaginary „Europas“ im Grunde „das dunkle Afrika“ (mit John Conrad: the Heart of Darkness) repräsentiert: „zurückgeblieben“, „unterentwickelt“, einfach: näher an „Wilden“, dem „Naturzustand“, den Weiße schon längst überwunden haben.