#schwierigeEltern
Wie ich zu einem schwierigen Vater wurde: Es war der Geburtstag meiner Frau, unsere Kinder waren 10 Tage zuvor zur Welt gekommen. Meine Tochter hatte eine Woche zuvor eine 8 Stündige OP hinter sich gebracht und lag noch immer auf der Intensivstation.
Am Tag vor dem Geburtstag sprach mich eine der Ärztinnen an und eröffnete mir ziemlich taktlos, dass es neben der bei meiner Tochter bekannten Diagnose noch eine weitere sehr schwerwiegende Diagnose gäbe. Diese müsse durch eine MRT-Untersuchung abgeklärt werden.
Ich solle dazu meine Einverständniserklärung abgeben. Ich sprach mit der Ärztin und erklärte ihr, dass ich ihr gerne eine entsprechende Erklärung unterschreiben würde, aber betonte, dass diese Untersuchung nicht am Geburtstag meiner Frau geschehen dürfe.
Diese Aussage war unmissverständlich, ich hatte sie schriftlich neben meiner Unterschrift auf dem Bogen festgehalten und begründet.
Meiner Frau ging es aufgrund von Problemen in Folge der Sectio aber natürlich auch durch die Umstände mit einem Kind auf der Neo und dem Gefühl
dem Zwillingsbruder nicht gerecht werden zu können sehr schlecht. Ein "normales" Wochenbett war unter diesen Umständen absolut undenkbar.
Und ein Ende war nicht absehbar. Es war klar, dass diese Situation noch 6 bis 8 Wochen anhalten würde.
Also hatte ich mir überlegt, wie man den Geburtstag meiner Frau so feiern könne, dass sich der Krankenhausaufenthalt des Kindes mit irgend einer positiven Erinnerung verbinde, egal was des weiteren Geschehe. Ich glaubte wir bräuchten eine solches positives Ereignis.
Ich hatte einen viel zu teuren Picknickkorb gekauft, mit großartigem Essen darin, hatte Freunde eingeladen und der Plan war es, im Park direkt vor dem Krankenhaus ein Picknick mit Freunden und Familie zu machen.
Aber nun stand die schreckliche Diagnose im Raum und ich wollte unter keinen Umständen, dass meine Frau an ihrem Geburtstag davon erfährt. Geburtstage waren uns schon immer wichtig und ich wollte nicht das dieser Geburtstag künftig der Tag ist, an dem wir erfahren haben...
dass unsere Tochter nicht nur eine schwere Körperbehinderung, sondern auch eine schwere Schädigung des Hirns hat. Darum erzählte ich meiner Frau nichts von der Vermutung der Ärztin.
Selbstverständlich hatte ich meiner Frau auch von der "Geburtstagsüberraschung" nichts erzählt. Also kamen wir am morgen des Geburtstags meiner Frau in der Klinik an und trafen dort vor dem Zugang zu Neonatlologie auf die etwas irritierte beste Freundin meiner Frau.
Also wir in das Zimmer meiner Tochter traten, war meine Tochter nicht in ihrem Inkubator, sie war weg und es konnte uns keiner unmittelbar sagen, wo die Tochter ist. Die überraschende Anwesenheit der Freundin, sowie meiner Schwiegermutter sowie die Abwesenheit der Tochter...
ergab ein Gesamtbild, das meine Frau glauben ließ, meine Tochter sei verstorben und die Anwesenheit der Freunde sei ein Teil der darum notwendigen Krisenintervention. Worauf hin meine Frau einen Nervenzusammenbruch bekam zumal uns noch immer keiner sagen konnte wo die Tochter ist
Schließlich kam die Ärztin, mit der ich am Tag zuvor gesprochen hatte und eröffnete mir, es habe sich zufällig ein freier Termin in der Radiologie ergeben, meine Tochter befinde sich in Narkose im Warteraum der Radiologie.
Ich hätte die Einwilligung unterschrieben, und meine handschriftliche Anmerkung sei - wie sie sich erkundigt habe - unwirksam. Sie könnten auf so etwas wie Geburtstage keine Rücksicht nehmen, sie seien schließlich ein Krankenhaus...
Und in diesem Moment sprang mich eine Erkenntnis die aus der langen Beschäftigung mit dem Thema Gewalt in meinem Studium resultierte nicht in der Theorie sondern in der Praxis an. Ich sah in einem Moment diese Disbalance aus struktureller Gewalt und der Wehrlosigkeit,
die aus unserem eigenen Anspruch resultiert uns "zivilisiert" zu verhalten. Und ich begriff, dass ich mich als Vater eines Kindes mit Behinderung diese strukturelle Gewalt ersticken wird, wenn ich nicht für eine Ausbalancierung sorge.
Und mit der Herstellung einer solchen Balance fing ich in genau diesem Augenblick an. Ich bat sie in zu einem Gespräch in einer von anderen Patienten und Angehörigen abgeschirmten Räumlichkeit, denn es werde laut werden.
Ich eröffnete das Gespräch in dem ich ihr mitteilte, sie solle die Polizei, den Sicherheitsdienst und den Kriseninterventionsdienst anrufen. Ich erspare mir die weiteren Details. Klar ist jedenfalls, dass ich dafür sorgte, dass sie diesen Tag genau so wenig vergessen wird,
wie ich ihn jemals vergessen werde. Ich bin an diesem Tag nicht nur zu einem schwierigen Vater geworden, sondern zu einem bösen Vater, vielleicht sogar zu einem gefährlichen Vater. Ich habe seit dem eine Mission...
Gewalt ist ein (leider) unabänderlicher Teil unserer Gesellschaft. Marginalisierte Menschen werden zwangsläufig Opfer von Gewalt, denn Menschen rechnen im Zuge ihres "hedonistischen Kalküls" mit der Wehrlosigkeit ihrer behinderten Opfer. Oder verkürzt formuliert:
Die Angst vor dem Vorgesetzen ist größer als die Angst vor der Gegenwehr des "Opfers". MmB und deren Angehörige erleben dieses Problem ständig und es ist ja tatsächlich so, dass es ihnen oft nicht möglich ist sich zu wehren. Aber das muss sich ändern!
Es muss sich gesellschaftlich ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass es geschehen kann, dass sich Opfer wehren und das von ihnen eine wie auch immer geartete Gefahr ausgeht und den wie auch immer gearteten #Bequemlichkeitsgewinn in der Bilanz langfristig zu nichte macht.
Der verspätete Busfahrer der an einem regnerischen Januarmittag an einer Bushaltestelle kurz anhielt um dann zu entdecken, dass ich dort mit meiner Tochter im Rollstuhl stand, glaubte, es sei bequemer für ihn dann noch weiter zu fahren, denn er glaubte nicht,
dass ich meine Tochter im Rollstuhl stehen lasse und schneller an der nächsten Haltestelle sein würde. Jetzt weiß er, dass so etwas passieren kann, er hat nicht nur garantiert seine Pause verpasst sondern er hatte danach ein Jahr lang jede Menge ärger.
Er wird Behinderte auch weiterhin doof finden, es stellte sich im weiteren Verfahren raus, das von diesem Arschloch kein Verständnis zu erwarten war. Aber immerhin weiß er ab jetzt, dass aus seinem Fehlverhalten gegenüber MmB schrecklicher Ärger erwachsen kann. Das kapiert er...
Bevor es hier aufgrund dieses etwas martialisch anmutenden Threads zu Missverständnissen kommt und einige Leute glauben die "arme Ärztin" oder den "armen Busfahrer" verteidigen zu müssen. Es ist unnötig, die Ärztin war genauso wie ich selbst Teil eines gewalttätigen Systems,
dass die Rechte wehrloser Menschen missachtet. In der Logik dieses Systems war ihr hedonistisches Kalkül absolut richtig - wenn auch absolut unmoralisch. Und wer möchte es einer gestressten Ärztin verdenken, dass sie einen zufällig freigewordenen raren Termin in der Radiologie
nutzen möchte. Wir haben danach viele Gespräche geführt, gemeinsam mit der Patientenvertretung der Charite, mit der Klinikleitung und der Leitung der Neo. Ich ging bis Corona das verunmöglichte jedes Jahr am Tag der Entlassung meiner Tochter in die Neo um dort Kuchen vorbei
zu bringen und den Ärzt*innen und Pfleger*innen meine Tochter zu zeigen. Wir haben mit dem Chef der Neo lange darüber nachgedacht was man ändern kann um die Zeit für Eltern die dort im Limbo hängen erträglicher zu machen. Ich möchte nicht immer nur böse sein...
sondern immer auch konstruktiv...
Aber wenn das Universum schief hängt weil es sich Leute auf der einen Seite zu bequem gemacht haben, dann werde ich sofern ich Kraft habe mit aller solcher mir zur Verfügung stehenden versuchen dieses wieder ein bisschen grader zu machen...
und dazu muss ich mich in eine Rolle begeben, die nicht zu meinem Naturell passt und die mir Angst macht, ich könnte mich darunter deformieren und tatsächlich ein böser Mensch werden...
...Aber es ist mir egal, ich tue es für meine Tochter die das NOCH (!!!) nicht selbst tun kann
P.S. die Vermutung der Ärztin bestätigte sich nicht und war tatsächlich auch ziemlich unbegründet, das sollte aber hier nicht Gegenstand sein. Solchen Fragen nachzugehen und dabei zu irren ist niemandem niemals vorzuwerfen.
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Ok...Wir haben 20 Mutals insofern gehe ich davon aus, es hier nicht mit einem meiner üblichen Trolls zu tun zu haben. Darum antworte ich. Was genau hast du nicht verstanden?
Habe ich dich richtig verstanden, dass du von mir erwartest, dass ich Dankbar bin? Dankbar dafür, das sich Ärzt*innen darum bemühen meiner Tochter die bestmögliche Versorgung im Rahmen schwieriger Bedingungen zukommen zu lassen?
Ist es das??? Dann lass uns genau darüber reden...denn offensichtlich hast du wie viele anderen das ganze Konzept von Dankbarkeit kein bisschen verstanden. Ich bin dankbar, vielleicht sogar dankbar für die Bemühungen der Ärztin...aber du meinst nicht Dankbarkeit...
Wenig überrschend übrigens,daß seit 25 Jahren die Regierungen d. #Bundesrepublik von Menschen ohne #Kinder angeführt werden.Diesem Umstand keine Bedeutung beizumessen halte ich für naiv. Resultat dessen ist eine Missrepräsentation,die sich offensichtlich in Politik niederschlägt.
Insbesondere in Fragen des Zukunfts- und #Klimaschutz|es scheint es offensichtlich doch einen Unterschied zu machen, ob man von den Problemen weiß oder ob man sie durch die Elternschaft fühlt. Die Abwägungen der Dringlichkeit - z.B. bei der Frage nach einem #Tempolimit lässt sich
so wie es derzeit geschieht schlicht nicht nachvollziehen, wenn man neben seinen Kindern Abends am Bett sitzt und sie in den Schlaf begleitet.
#symmetrischeSchulpflicht
Medizinische Versorgung für versorgungspflichtige Schüler*innen in der #Schule ist ein essentieller Aspekt jedes Schulangebotes und zwingend für jede Bemühung um #Inklusion.
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#SCHULTRÄGER müssen Eltern ein Angebot machen, wie Kinder, die der medizinischen Versorgung bedürfen versorgt werden können. Entsprechende Angebote müssen zumindest an Schwerpunktschulen integraler Bestandteil des Schulangebotes sein.
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Darüber hinausreichende Leistungen, oder Fälle bei denen Eltern eine individuelle & selbstorganisierte Versorgung der Kinder wünschen müssen natürlich auch weiterhin möglich sein, aber es kann nicht die Pflicht der Eltern sein, dieses Angebot immer selbst zu organisieren.
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Noch einmal Thema #Notaufnahme:
ein meiner Meinung nach sehr guter Beitrag im Spiegel, leider hinter der Paywall:
"Die Patientinnen und Patienten rufen nicht den Rettungsdienst, um uns zu ärgern. Und sie gehen auch nicht in die Notaufnahme, weil sie uns und dem System etwas Böses wollen. Ich sehe das als eine Art Hilferuf."
"Sie wissen einfach oft nicht, wo sie hinsollen oder wie sie am schnellsten Hilfe bekommen. Vielleicht haben sie keine Bezugspersonen und keinen Hausarzt. Viele warten zudem zu lange auf einen Termin bei einem Facharzt oder einer Fachärztin."
Felix Freund, Notfallsanitäter
Man stelle sich ein Land vor, das entlang einer Linie in etwas 2 ungleich große Teile geteilt wurde. Nennen wir den kleineren Teil des Landes #Transanien, den größeren #Cisanien...
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In Cisanien leben ca 80 Mio Menschen. Wieviele in Transanien leben weiß man nicht...Cisanien ist ein prosperierendes Land, aber ein wesentlicher Teil seiner Wirtschaft lebt davon, die andere Hälfte des Landes auszubeuten.
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Cisanien verbraucht die Rohstoffe von Transanien, schickt seinen Müll dorthin und zerstört systematisch und nachhaltig die Lebensgrundlagen von Transanien.
Die Bewohner von Transanien haben eine kürzere Lebenserwartung, sind matriell sehr viel schlechter gestellt...
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Ganz genau Ulli - du hast es fast kapiert! Es geht nicht darum das Leid anderer in Abrede zu stellen, sondern es geht darum den #Popanz der aktuell um die Folgen von Massnahmen gemacht wird in Kontrast zu setzen mit der Gleichgültigkeit
mit der die Gesellschaft den #Schattenfamilien entgegen tritt. Ganz ehrlich, bisher hat sich kein Arsch für die Belange hilfsbedürftiger Kinder und Familien interessiert. Und das setzt sich fort...auch jetzt wieder werden die Bedarfe irgendwelcher Familien gegen die Interessen
der am meisten von der Pandemie betroffenen ausgespielt. Aber die Schattenfamilien passen halt nicht in die Agenda irgendwelcher vermeintlicher Freiheitsapostel...