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Wir sind Weltmeister - Gedanken zur Rücktritts-Pressekonferenz von Marcel Hirscher

Ein langer [Thread]
Die Meinungen auf Twitter zu den Prioritäten für Primetime Sendezeiten zwischen Sport und Politik haben ziemlich polarisiert. >
Marcel Hirscher ist einer der erfolgreichsten Alpin-Skiathlet*innen seit es Alpinbewerbe gibt. Das ist Fakt und dafür habe ich aufrichtigen Respekt, den ich für viele Protagonisten der aktuellen Politszene ganz und gar nicht finden kann. Im Gegenteil. >
Wenn Athlet*innen ihre Karriere beenden, nicht nur im Skisport und nicht nur Ausnahmesportler*innen, gehen sie durch einen Prozess, der eine Lebensentscheidung ist. Am Ende der Sportkarriere stehen viele auch vor dem Verlust ihres sozialen Netzwerks, >
mit über viele Jahre aufgebauten und gepflegten Beziehungen. Athlet*innen die ihren Leistungszenit längst überschritten haben machen manchmal noch scheinbar ewig weiter. >
Besonders den Stars mit jahrelanger Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit bereitet der Verlust ihrer Sonderstellung und das Fehlen einer Lebensaufgabe beim Übergang in das „normale Alltagsleben“ oft ziemliche Probleme. Und das obwohl sie finanziell abgesichert sind. >
Ist der Hebel einmal auf Stopp gestellt, weiß man genau: it's a point of no return. Marcel Hirscher hatte diesen Hebel in den letzten Jahren mehrmals berührt, jetzt hat er ihn so konsequent umgelegt, wie seinen Schwerpunkt im Spiel mit Schnee und Wirkkräften am Ski. >
Das ist klug, das ist konsequent - auch dafür Respekt. Wahrscheinlich wäre es für die Fans „geiler“ gewesen, wäre dieser Moment vor laufender Kamera live passiert. Insidern, die den Trainingsaufbau kennen war es länger klar: es ist passiert. >
Das ÖSV-Medium Krone hatte ebenfalls vorgegriffen. Der News-Value war Marcel Hirscher, dem Ausnahmeathleten und Menschen, auch seinem persönlichen Sponsor Red Bull zugunsten von ÖSV & Giebelkreuz Interessen entzogen. >
Damit wir uns nicht falsch verstehen – und hier werden vielleicht Gemeinsamkeiten von Matteschitz und Schröcksnadel offensichtlich – Individuen sind beiden nicht viel Wert. Die Institution Ski-Hochleistungssport versucht die Athleten möglichst eng an sich zu binden. >
Österreich ist ein Parade-Beispiel für Totalisierungstendenzen des Skisports. Red Bull setzt Mittel ein, die Athlet*innen bis zur Selbstaufgabe treiben. Um aber zu verstehen warum der öffentlich rechtliche Sender einer PK ohne Newsvalue der politischen Wahldiskussion vorzieht, >
die zumindest den Newsvalue des Eindrucks der Kandidat*innen hat, braucht man nur einen Blick auf Einschaltquoten werfen und erhält somit auch Einblick in die österreichische Volksseele. Seit Kriegsende gelten die Erfolge in der Skination als besonders Identitätsstiftend. >
Dass dieser Faktor 75 Jahre später noch immer Gewicht hat, liegt an den gemeinsamen Interessen von Sport, Wirtschaft und Politik. Der schnelle Ski dient der rechtslastigen Politik nach wie vor als Instrument >
um Patriotismus, Chauvinismus bis hin zu Nationalismus und Ausländerfeindlichkeit zu verfestigen. Vollmundige TV-Kommentare lassen eine Spur im Bruchharsch nationaler Stereotypie erkennen. >
Die Skiwelt ist hierzulande heil: Wenn mit "Sieg in der Materialschlacht im Kampf der Skigiganten" getitelt wird; wenn in überschäumenden Co-Kommentaren (es ist noch nicht lange her) aus Athleten anderer Länder "Bloßfüßige", "Jausengegner" oder gar "Nasenbohrer" werden. >
Wenn wir in der Politik mit Korruption, Nepotismus, Rassismus und sonstigen Verfehlungen zu tun haben wird alles gut, denn "das rotweißrote Imperium schlägt in der Operation Gold erfolgreich zurück" >
Politiker glänzen mit den Medaillen der Skistars am Hahnenkamm, im Österreich-Haus um die Wette. Ganz selten verirrt sich jemand in das Zielgelände nicht so populärer Sportarten. Strache gratulierte Sportlern mit Inseraten um 254.000 Euro – es waren allesamt ÖSV Athlet*innen. >
Diese ganze Getue schadet dem Sport und damit auch den Individuen ohne, die er nicht möglich wäre. Podiumsplatzierungen werden, wenn überhaupt, gerade noch wahrgenommen. Top Ten wird als Versagen abgewertet. >
Das schadet auch der Gesellschaft, die dieses Mindset übernimmt. Der Leistungsdruck nach schneller, höher, weiter und die damit verbundene Seuche Burn-out ist längst im Berufs- ja sogar im Schulalltag angekommen. >
Wer nicht mitmacht oder mitmachen kann gilt als faul, finanziell Benachteiligte als sozial schwach. Für das halten Sportstars mit ihren Erfolgen und Namen her. Lassen sich mit Vorbildwirkung ködern ohne jemals zu hinterfragen worum es wirklich beim Rummel um ihre Personen geht. >
Ein Paradigmenwechsel im Sport steht schon lange an. Die einzigen, die ihn radikal erwirken könnten sind die Menschen in ihrem Konsumverhalten. Sowohl vor den Bildschirmen als auch in ihrer persönlichen Bewegungsgestaltung. >
Schönes Wochenende </>
wienerzeitung.at/nachrichten/sp…
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