Thread by @Nithilher

#Corona #COVID19 #BildungAberSicher
Thread dazu, warum Entscheidungen oft mit fehlerhafter Risikoabschätzung gefällt werden: der Grund ist eine weit verbreitete mangelnde Bildung in einfachen und grundlegenden Mathematik-Kenntnissen. 1/x

Das folgende Beispiel ist stark vereinfacht, um das Problem klarer herauszustellen. Eine genauere Analyse nehmen z.B. Epidemologen vor. In D gibt es gut 80 Millionen Einwohner und derzeit geschätzt ca. 6000 aktive COVID-19 Fälle. Zwar sollten alle in Quarantäne/KH sein, 2/x

doch nehmen wir mal diese Zahl als Dunkelziffer. Also für jeden bekannten Fall gib es noch einen unbekannten, der frei herumläuft und andere anstecken kann (das ist eine sehr optimistische Annahme). Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung bei zufälligem Kontakt also 0.0075%. 3/x

Wenn ansonsten sich alle an das Abstandsgebot halten, haben Schüler*innen bei geteilten Klassen und ohne weiterer Durchmischung also konstant mit 15 Personen Kontakt, macht 0.1125%. Anders gesagt, jede*r tausendste Schüler*in steckt sich an. 4/x

Bitte das auf der Zunge zergehen lassen. Im Mittel ist das also ein Fall pro typischer großer Schule mit 1000 Schüler*innen. Natürlich ist dies nicht so gleichmäßig verteilt, erklärt aber, warum wir trotz niedriger Fallzahlen immer wieder Fälle an Schulen haben. 5/x

Es erklärt auch, warum die geteilten Klassen eine gute Idee sind, denn wenn eine Infektion nachgewiesen wird, muss nur ein sehr kleiner Teil der Schule in Quarantäne, für den Rest läuft die Bildung weiter. 6/x

Jetzt zum eingeschränkten Regelunterricht, wie er z.B. in Niedersachsen stattfinden soll. Statt einer festen Kontaktgruppe einer halben Klasse werden ganze Jahrgänge als Kohorte gewertet. Das sind im Mittel 8mal so viele Kinder. In der Nachmittagsbetreuung sind es 2 Jahrgänge 7/x

Selbst wenn nur ein Fünftel aller Kinder an der Nachmittagsbetreuung teilnimmt, ist das Risiko jetzt schon statistisch bei 1.08%. Jede*r hundertste Schüler*in steckt sich an. Zehn pro großer Schule. Mindestens zwei Jahrgänge müssen komplett in Quarantäne. 8/x

Auch das wird nicht gleichmäßig über alle Schulen verteilt geschehen. Aber dass in einer Schule etwas passiert, ist mehr als 10 mal so wahrscheinlich. Und dass daher für viele Bildung gleich wieder flach fällt, auch. 9/x

Dies läßt außer acht, dass wachsende Wahrscheinlichkeiten wegen vermehrter Kontakte auch zu wachsender Weiterverbreitung führen, und damit zu wachsenden Fallzahlen, die wiederum die Risikowahrscheinlichkeiten steigen lassen. Das um so mehr, als Kinder oft asymptomatisch sind 10/x

Es geht hier auch nicht um einmalige Ereignisse, sondern um eine tagtägliche Ausdehnung von Kontakten. Diese finden zu denkbar ungünstigen Bedingungen statt. In geschlossenen Räumen, ohne Abstand und ohne Masken. Dazu muss man bedenken, dass die anfangs gegebene 11/x

Wahrscheinlichkeit für Ansteckung bei einem Kontakt nicht differenziert hat, ob die Umstände, wenn der Kontakt infiziert ist, eine Ansteckung begünstigen. Das ist zulässig, weil die derzeitige Situation nah an einem adiabatischen Gleichgewicht ist. 12/x

Das bedeutet, dass die derzeit nur sehr langsam variierenden aktiven Fallzahlen ein Resultat einer relativ stabilen Risikolage, sich anzustecken, sind. Sie reflektieren damit indirekt das mittlere Ansteckungsrisiko. Das ist aber Situationsabhängig. 13/x

Kontakte mit Infizierten schlagen sich in neuen Infektionen nieder, wenn das konkrete Risiko hoch ist, weil der Kontakt also zum Beispiel lange in großer Nähe in geschlossenen Räumen stattfindet. Das ist bei Regelunterricht genau der Fall. 14/x

Damit ist klar, was in Israel passiert ist, und warum das hier auch passieren wird. Die niedrigen Fallzahlen sind ein Resultat deutlich reduzierter Risikokontakte gewesen. Genau die aber werden massiv erhöht, um einen Faktor zehn. 15/s

Das Infektionsgeschehen beschleunigt sich daher zunächst zehnfach (am Anfang ist es linear), dann schlägt die exponentielle Entwicklung mit voller Wucht zu. Solange es noch unerkannte Infektionen gibt, ist das zwangsläufig so, unvermeidlich. 16/x

Nur bei einem Infektionsgeschehen von null passiert nichts, weil zehn mal null immer noch null ist. Wir sind aber nicht bei null. Wir pendeln nach wie vor um 400 Infektionen pro Tag herum. Mal überlegen und erinnern, was war, als wir 4000 pro Tag hatten. 17/x

Also: wer Regelunterricht will, muss wissen, was die Konsequenzen sind. Die sind unausweichlich, wenn das erhöhte Risiko nicht durch wirksame Hygienemaßnahmen ausgeglichen wird. Davon kann aber überhaupt nicht die Rede sein. 18/x

Stattdessen wird immer noch ins Feld geführt, dass Kinder angeblich weniger ansteckend sind, sich angeblich weniger leicht infizieren. Die Evidenz spricht dagegen. Darauf zu setzen ist extrem fahrlässig und unverantwortlich. 19/x

Dieses Rechenexempel ist stark vereinfacht. Es ist aber plausibel, und Israel kann hier als trauriges Beispiel dienen, dass Regelunterricht bei nach wie vor vorhandenem Infektionsgeschehen schnell eine zweite Welle auslösen kann 20/end