Thread by @AndreasKemper

1) Ich würde im Zusammenhang mit #Trump gerne noch einmal über den Begriff "Idiot" reden.
Ich weiß, dass einige den Begriff als "ableistisch" ("behindertenfeindlich") betrachten. Aber der Begriff hat nicht nur eine medizinische, sondern auch eine demokratietheoretische Geschichte

2) Ursprünglich meinte "Idios" im Griechischen so etwas wie "privat" / "eigen", sich nicht um die (demokratische) Polis kümmern. So wird der Wortstamm heute noch in Griechenland verwendet.

3) Im 19. Jahrhundert entstand ein medizinisch-biologistischer Diskurs, der sich eine Menge Wörter aneignete und einige neue schuf. "Idiot" erhielt eine neue Bedeutung in diesem medizinischen Spezialdiskurs.

4) Alltagssprachlich blieben aber die ursprünglichen Bedeutungen von "Idiot" bestehen. "Idiotisch" meint alltagssprachlich so etwas wie eine Kombination aus Ignoranz, Anmaßung und Inkompetenz.

5) „Der Mann ist sozial und sexuell ein Idiot.“ - mit diesen Sätzen von Elias Pilgrim wurden in den 1970er und 80er Jahren die profeministischen Männerbücher bei rororo eingeleitet. Und damit war nichts biologisch / medizinisch gemeint.

6) Das "Idiotische" ist die Ver-messenheit, die Uninformiertheit, weil man denkt, man brauche keinen Rat von anderen: "Selbst (idios) ist der Mann!"

7) Ableistisch und klassistisch ist der Begriff "Idiot", wenn er aus dem sozialen Kontext herausgelöst und essentialistisch, medizinisch-biologistisch gedeutet wird. Es ist daher wichtig, dass die Medizin endlich die Kennzeichnung "Idiot" nicht mehr benutzt.

8) Sprachpolitisch halte ich die Strategie, den Begriff "Idiot" aufgrund der Bedeutungsbesetzung im medizinischen Spezialdiskurs (unter anderem im NS-Staat), komplett zu tabuisieren, für falsch.

9) Als Kind habe ich die ursprüngliche Bedeutung von "idiotisch" (Dummheit aus Vermessenheit) sehr viel früher gelernt als die stigmatisierende Bedeutung von "Idiot" im medizinischen Spezialdiskurs.

10) Alltagssprachlich würde sehr viel eher Donald Trump als "Idiot" betrachtet werden als z.B. Greta Thunberg. Im stigmatisierenden medizinisch-biologistischen Diskurs wäre hingegen Greta Thunberg aufgrund des Asperger-Syndroms die "Idiotin".

11) Greta Thunberg ist nicht nur trotz sondern wegen ihres Asperger-Syndroms sehr viel sozialer als viele andere Menschen, denn es gibt kaum etwas sozialeres, als eine weltweite Klimabewegung aufzubauen.

12) Womit wir beim Begriff #Covidioten wären, den ich kritisiere. Mit dem Begriff "Covidioten" - eine Zusammenstellung aus "Covid" und "Idioten" - soll die Verärgerung über die gefährliche Kombination aus Vermessenheit und Inkompetenz der Coronaleugner*innen ausgedrückt werden.

13) "Covidioten" ist kein Begriff aus dem medizinischen Spezialdiskurs. Bei erzeugt der Begriff "Covidioten" keine NS-Bilder von "lebensunwürdigen Untermenschen", sondern ich sehe Menschen in Demonstrationen vor mir, die inkompetentes Zeug in die Kamera brüllen.

14) Wörter lassen aber Bedeutungsverschiebungen zu. Und da mit der Pandemie ein bevölkerungspolitisches Denken einhergeht und "Idiot" im medizinischen Diskurs auch bevölkerungspolitisch gedacht wurde, besteht die Gefahr, dass "Covidiot" ein bevölkerungspolitischer Begriff wird.

15/15 Fazit: In der Medizin muss endlich das Wort "Idiot" verbannt werden. "Idiot" ist ein sozialer Begriff, der die Dummheit aus unsozialer Vermessenheit und Selbstüberschätzung benennt. "Covidiot" ist ein schwieriger Begriff. Trump ist ein Idiot.