Vielen Dank für das Angebot. Wichtiges Thema, schön dass Sie es aufgreifen. Leider bin ich pessimistisch, dass Sie in diesem Gespräch brauchbare Antworten erhalten werden. Ich kenne Frau Radzwill zwar nicht, aber der Verein, den sie vertritt, (1/x)
ist mir bisher weniger durch Expertise, dafür mehr durch Aktivismus und verzerrte Darstellungen der Sachverhalte aufgefallen. Ich möchte Ihnen trotzdem ein paar Fragen an ihren Gast vorschlagen, die vielleicht hilfreich sind. (2/x)
1.Frage
2014 brach das tödliche Ebola in mehreren westafrikanischen Staaten aus. Inmitten des Ausbruchs veröffentlichte „Ärzte gegen Tierversuche e.V.“ eine Pressemitteilung, in der der Verein behauptete, zu Ebola würde „in die falsche Richtung geforscht“ - einzig aus (3/x)
dem Grund, dass für diese Forschung auch Tierversuche notwendig waren. Die Ebola-Tierversuche seien „inneffektiv und fehlgeleitet“ und „reine Zeit- und Geldverschwendung“. Nun hat genau diese Forschung zu wirksamen Medikamenten gegen die tödliche Krankheit geführt. (4/x)
Weniger als ein Jahr nach der „Warnung“ des Vereins konnten Forscher von WHO und Ärzten ohne Grenzen in einer Ringstudie nachweisen, dass der entwickelte Impfstoff hochwirksam ist.
Wie steht Frau Radzwill dazu, dass ihr Verein es bis heute nicht für nötig hält, sich zu (5/x)
dieser offensichtlichen Fehleinschätzung der Forschungslage zu äußern? Ich persönlich würde eine Entschuldigung bei den beteiligten Wissenschaftlerinnen für angebracht halten. Ein einfaches „da lagen wir wohl daneben“ wäre aber das mindeste. (6/x)
2.Frage
Das Schema wiederholt sich 2020, als Frau Radzwills Verein zu Beginn der Sars-CoV2 Pandemie eine ganz ähnliche Erklärung abgibt. Erneut wird da von „nicht zielführender Forschung“ geredet und u.a. behauptet, „eine schnelle und zuverlässige Entwicklung von (7/x)
Medikamenten und Impfstoffen wird mit Tierversuchen jedoch nicht möglich sein.“
Schon wieder dauerte es weniger als ein Jahr, bis klinische Studien entgegen dieser Behauptungen ausgezeichnete Wirksamkeit der entwickelten Impfstoffe belegen konnten. (8/x)
Ist Frau Radzwill der Meinung, dass dieses Mal diese erneute offensichtliche Fehleinschätzung besser öffentlich aufgearbeitet werden sollte als bei Ebola? (9/x)
Leider ist zu befürchten, dass Frau Radzwill den essenziellen Beitrag von Tierversuchen sowohl für die Ebolaimpfung als auch für die Sars-CoV2-Impfungen einfach leugnen wird. Und Sie, Herr Singer, als völlig Fachfremder, werden dem vermutlich nichts entgegensetzen können. (10/x)
Den wichtigen Beitrag von Tierversuchen zu diesen Errungenschaften zu bestreiten, ist natürlich unsinnig. Das kann ich Ihnen schnell darlegen. Das Konzept für den Ebola-Impfstoff (rVSVs nutzen, die Ebolaproteine tragen) wurde in Mäusen entwickelt. (11/x)
Der verantwortliche Forscher Heinz Feldmann wollte eigentlich nur die Eigenschaften dieser Proteine in den Mäusen erforschen und stellte dann überrascht fest, dass die Mäuse Immunität gegen das Virus aufbauten cbc.ca/news/health/eb…. (12/x)
Das zugrundeliegende Konzept, überhaupt rVSV für Impfungen zu benutzen, wurde ebenfalls in Mäusen entwickelt ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/P…. (13/x)
Auch beim in Deutschland zugelassenen Corona-Impfstoff basiert schon das grundlegende Prinzip auf Forschung mit Mäusen. 1990 wurde gezeigt, dass man überhaupt bloße RNA in ein Lebewesen einbringen kann und die da dann auch exprimiert wird pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/1690918/. (14/x)
Richtig anwendbar wurde das aber erst, als Katalin Karikó herausfand, dass man die Immunantwort auf die RNA verhindern und die RNA durch Nukleosid-Modifizierung stabiliseren kann – ebenfalls mithilfe von Mäusen pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/1690918/. (15/x)
Ein zentraler Teil der weiteren Entwicklung bestand darin, RNA weiter zu modifizieren, so dass sie im Körper (der auf fremde RNA normalerweise nicht gerade einladend reagiert) ausreichend lange stabil bleibt. Auch dafür braucht man natürlich Tierversuche nature.com/articles/gt201….
Das ist jetzt nur ein kleiner Ausschnitt der zentral wichtigen Tierversuche bei diesen Entwicklungen, das könnte man noch lange fortführen. (17/x)
Aber vermutlich wird Ihre Interviewpartnerin auf diese Punkte einfach antworten „stimmt doch gar nicht“, und Sie werden nicht wissen, wem Sie jetzt glauben sollen.
Für diesen Fall möchte ich Ihnen folgenden Gedanken mitgeben:
(18/x)
Die an diesen und unzähligen weiteren wichtigen medizinischen Errungenschaften beteiligten Forscher geben an, dass sie diese Arbeit nicht ohne Tierversuche hätten machen können. (19/x)
Wie wahrscheinlich ist es, dass Vereins-Aktivisten, die zumeist selbst niemals geforscht haben, das besser beurteilen können als ForscherInnen, die gerade erst ihre Kompetenz damit unter Beweis gestellt haben, dass ihre Arbeit zu lebensrettenden Arzneimitteln geführt hat? (20/x)
In diesem Zusammenhang eine Folgefrage:
3.Frage
Auf der Website von „Ärzte gegen Tierversuche e.V.“ stehen seitenlange Erörterungen darüber, dass auf Tierversuchen basierende medizinische Errungenschaften in Wirklichkeit doch gar nicht auf Tierversuchen basierten. (21/x)
Zum Beispiel, dass Forschung an Hunden keinen Wissensbeitrag für die Entwicklung der Insulintherapie geliefert hätte. Zwei der ausführenden Forscher bekamen aber genau dafür 1923 den Nobelpreis für Medizin. (22/x)
Glaubt Frau Radzwill als ausgebildete Biologin allen Ernstes, dass die Verfasser solcher Texte auf ihrer Vereinswebsite das besser beurteilen könnten als das Nobelkommittee, (23/x)
das aus weltführenden WissenschaftlerInnen besteht, die aktiv jedes Jahr die Entwicklung des Wissensstandes und den Beitrag einzelner Forschender dazu beobachten? (24/x)
4.Frage
Wie fühlt sich Frau Radzwill damit, dass ihr Verein Grundlagenforschungsprojekte dafür angreift, dass zum heutigen Zeitpunkt kein eindeutiger Nutzen absehbar sei, wo sie doch als ausgebildete Biologin sicher unzählige Beispiele von bedeutenden Errungenschaften kennt(25)
die – mit oder ohne Tierversuche – als „reine Neugierforschung“ begonnen haben? Z.B. Entdeckung der Restriktionsenzyme, Crispr-Cas9 oder Taq-Polymerase. Bei keinem dieser Beispiele waren die zukünftigen Möglichkeiten zum Zeitpunkt der Entdeckung auch nur ansatzweise absehbar (26)
5.Frage
Einer von mehreren Angriffen des Vereins gegen Grundlagenforschung ist die Broschüre „Winterschlaf hilft gegen Alzheimer und andere Absurditäten aus der Tierversuchsforschung“. (27/x)
Über die titelgebende Studie steht in der Broschüre, ihr Ergebnis sei, dass Winterschlaf das Nervengewebe vor Alzheimer schütze. Das sagt die Studie allerdings überhaupt nicht und versucht auch nicht das zu sagen – es geht einfach um etwas völlig anderes. (28/x)
Wie fühlt sich Frau Radzwill als ausgebildete Biologin damit, dass ihr Verein in einer derart prominenten Kampagne Texte von Leuten verfassen lässt, die offensichtlich nicht einmal sinnentnehmend Studien lesen können? (29/x)
6.Frage
Der Verein „Ärzte gegen Tierversuche e.V.“ wirbt ausdrücklich Menschen, die keine Ärzte sind, als Fördermitglieder. Der Verein besteht nach eigenen Angaben zu ca drei Vierteln aus solchen Fördermitgliedern. (30/x)
Selbst unter den „echten Mitgliedern“ sind nach Vereinsangaben nur 52% Ärzte. Der Rest sind z.B. Studierende oder Menschen mit „anderen akademischen Berufen“. (31/x)
Angesichts des Vereinsnamens und der Selbstbezeichnung als „Ärzteverein“ im Text jeder Pressemitteilung – hält Frau Radzwill es für möglich, dass unbedarfte Menschen den falschen Eindruck gewinnen könnten, es handelte sich hier um einen Verein, der aus Ärzten bestünde? (32/32)

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More from @dittrich_lars

23 Sep 20
Wie bringt man Wissenschaftler:n zum kommunizieren? Mein Senf. Thread.
(1/x)
Erstmal gucken, wen man dazu bringen will. Individuelle Wissenschaftler:n oder Institute? (Oder beides?) Unterschiedliche Mechanismen. Karliczek zielt wohl auf ersteres. Damit habe ich persönliche Erfahrung. (2/x)
Wer in Wissenschaft bleiben will, muss ständig Lebenslauf voran bringen. Mich für etwas engagieren, das nicht auf dem akademischen CV punktet, hält mich von meinem großen Ziel ab: Prof.
Kann ich mir nicht leisten. All meine Energie muss da rein, sonst kann ich es gleich lassen
Read 25 tweets
25 Apr 20
Hey Physiker und Sci-Fi-Fans!
Habe gestern Sohn Geschichte erzählt, in dem ein Kind ein megaschnelles Auto baut, dann wegen Relativität durch die Zeit reist. Dabei kamen mir Fragen auf.
Je schneller er fährt, desto langsamer vergeht die Zeit für ihn im Vergleich mit zuhause (1/x)
Wenn er also fast so schnell ist wie das Licht, reist er weit in die Zukunft. Wenn er schneller ist als das Licht (wenn es ginge) würde die Zeit für ihn rückwärts laufen. In mir bekannten Sci-Fi stories war das immer eine Reise in die Vergangenheit (in meiner jetzt auch) (2/x)
Aber beim Erzählen ist mir aufgefallen, dass Reise in die Vergangenheit ja sein müsste, dass seine subjektive Zeit vorwärts läuft, die Zeit "draußen" rückwärts. Das ist aber nicht die lineare extrapolation von fast Lichtgeschwindigkeit auf über Lichtgeschwindigkeit. (3/x)
Read 5 tweets
24 Apr 20
Ich möchte mal für Hendrik Streeck in die Bresche springen. In Artikeln wird er gerade als "umstrittener Virologe" mit einer "umstrittenen Studie" bezeichnet. Streeck ist ein renommierter Wissenschaftler, und seine Heinsbergstudie ist enorm wichtige Forschung. (1/x)
Ich habe Kritik an seiner Kommunikation. Genau wie Mai im letzten Video ausgeführt hat. Tl;dw: In der Gangelt-Pressekonferenz präsentierten die Forscher ihre Ergebnisse zu Letalität und Dunkelziffer. Dann verwiesen sie auf Plan der DGKH,... (2/x)
... nach dem könne jetzt zu "Phase 2", also Lockerungen übergegangen werden. Das musste so wirken, als sei das eine Konsequenz aus der ermittelten Letalität, also 'Daten zeigen: nicht so schlimm, wir können lockern'. Ähnliches in anderen Auftritten. (3/x)
Read 17 tweets
9 Apr 20
Die Pressekonferenz zu den Heinsberg-Daten lässt mich verwirrt zurück. Es wird der Eindruck erweckt, die Daten würden für eine baldige Lockerung der social distancing Maßnahmen sprechen. Aber die konkrete Begründung ist dann: (1/x)
"Die Bürger sind jetzt so gut im Hygieneverhalten, dass sie das auch in Geschäften und Schulen hinkriegen" - zum Hygieneverhalten haben sie doch gar keine Daten vorgestellt? Mein Bauchgefühl geht in die gleiche Richtung, aber das ist doch keine Schlussfolgerung aus den Daten(2/x)
Das interessanteste Ergebnis fand ich, dass die Letalität bei 0.37% liegt. Wenn man extrapoliert, ergibt sich aus den bundesweiten Todeszahlen, dass die Gesamtzahl der Infizierten ca 5-fach über der bekannten liegt. Das entspricht bisherigen Schätzungen (3/x)
Read 11 tweets
20 Mar 20
Modellrechnungen zu #flattenTheCurve in Deutschland. Die Reproduktionszahl gibt an, Wieviele ein Patient im Schnitt ansteckt. Ohne Maßnahmen (R0) liegt sie für Covid-19 bei 2-3. Schaffen wir es, sie unter 1 zu kriegen, sinkt die Zahl der Neuinfektionen, die Ausbreitung stoppt 1/x
Fährt man eine Strategie, die das zum Ziel hat, spricht man von Eindämmung. Die Idee von #flattenTheCurve: selbst wenn Eindämmung nicht gelingt, führt Verlangsamung zu flacheren Peak, wodurch wir die Kapazität des Gesundheitssystems nicht (so stark) sprengen 2/x
Wenn man Eindämmung aufgibt und nur noch auf diesen Effekt setzt, spricht man von Verlangsamung.
Die @DGEpi_eV stellt jetzt Modellrechnungen zu verschieden erfolgreichen Maßnahmen vor, die Reproduktionszahl zu senken. 3/x
Read 25 tweets
16 Mar 20
Uff. Auch von mir noch was zu #wodarg. Er behauptet in einem Video, dass die Häufung der positiv auf Corona getesteten Menschen mit schwerer Lungenentzündung ein sampling bias wäre. Man würde die halt jetzt erst testen und bei Lungenentzündung hat man immer einige mit Corona 1/2
Das wäre nur überzeugend, wenn die Tests unspezifisch auf "Coronavirus" wären. Sie sind aber spezifisch auf das neue SARS-Cov-2, das eins von vielen Coronaviren ist. Die normalen Erkältungs-Coronas sieht man damit nicht. (OK, brauche doch mehr Tweets) 2/x
Zumindest sind die Tests, die ich in der wissenschaftlichen Literatur auf die Schnelle gefunden habe, spezifisch und fallen nicht auf andere Coronas herein. Habe jetzt nicht gecheckt, ob z.B. Italien auch genau solche Tests benutzt, gehe aber davon aus. (Weiß jemand?) 3/x
Read 6 tweets

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