Immerhin zwei Leute haben mich heute gefragt, was ich eigentlich klug und gehaltvoll an der von mir zur Lektüre empfohlenen Rezension von Martin Mosebachs "Krass" durch Ellen Kositza finde, @JochenVenus und @Sektordrei. Vielen Dank!
(Vielleicht habe ich auch jemanden übersehen. Pardon!)
Was ist eigentlich ein Roman? Was wäre ein guter Roman im Sinne eines Musterbeispiels für die Gattung? Und wäre so ein Musterroman wirklich ein guter? Mit diesen Fragen habe ich mich herumgeschlagen, als ich meine eigene Rezension schrieb, die heute im @FAZ_Feuilleton steht.
Daher meine Bereitschaft zur Sympathie, wenn ich in anderen Texten zum gleichen Thema Gedanken finde, mit denen ich etwas anfangen kann.
Formelhaft gesagt: Einen Roman wünscht man sich welthaltig, und zugleich soll er komplett erfunden sein. Die Gattung kennt einen Typus, in dem beide Eigenschaften sich wechselseitig steigern. Solche Romane schreibt Mosebach.
Die Handlung eines Romans entfaltet sich in der erzählten Zeit. Berstend vor Welthaltigkeit & zugleich ganz und gar erfunden, das bedeutet für die Erzählung: Das Wahrscheinliche und das Unwahrscheinliche im Gang der Dinge fallen zusammen.
Und das ist der Grundgedanke der von mir empfohlenen Rezension. An prägnanten Details illustriert.
(Vorsicht, Zitat.) "Mit solchen Präliminarien ist das Programm dieses Romans bereits umrissen: In dieser Welt ereignet sich laufend Unglaubliches. Die Dinge, einmal angezettelt, fügen sich über Jahrzehnte und über Kontinente aneinander, nichts daran ist jenseits des Möglichen."
Das Wort "Imprevisibilità" setzt in der Zauberer-Ouvertüre ein Leitmotiv. Die Rezensentin hebt hervor, dass gefragt wird, ob es dieses Wort überhaupt gibt. Damit macht der Roman die Frage nach seiner eigenen Möglichkeit oder Unmöglichkeit zum Thema.
Der Schluss macht die Probe (wieder Zitat): "Im dritten Teil sind wir zwanzig Jahre weiter. Wir befinden uns in Ägypten. Verrückt! Durch Zufall, Imprevisibilità, sind sie alle hier!"
Diese Rezension hat mir den Roman erschlossen. Oder vielleicht besser: meine eigene Interpretation des Romans erschlossen. Ähnlich wie die Rezensionen von Judith von Sternburg und Jens Jessen.
Mir sind auch Fragen zum Kontext gestellt worden. (Leider nicht nur in Frageform.) Auch diese verlangen eine Antwort.
Mir ist die Zeitschrift "Sezession" bekannt, ebenso deren politisches Programm, das auf die Umwälzung unserer öffentlichen Ordnung gerichtet ist. Insbesondere ist mir die Funktion von Kultur und Kulturkritik im dortigen Projekt der Erringung der sog. Hegemonie bekannt.
Wie sollte einem das auch nicht bekannt sein, wenn man die Zeitschrift, den Buchverlag oder andere Verlautbarungen aus derselben Quelle überhaupt einmal zur Kenntnis genommen hat?
Diese Kampfansage, die Programmatik eines geistigen Bürgerkriegs, beschäftigt mich, und ich beschäftige mich damit, als Autor und Redakteur. Ich möchte hoffen, dass ich damit, in den von der Ethik meines Berufs gezogenen Grenzen, etwas dafür tue, dass das Programm nicht aufgeht.
Ich weiß auch, dass die Neue Rechte Mosebach für sich reklamiert, in einem der Züge ihres auf sog. Hegemonie gerichteten Spiels. Und man kann sagen, dass Mosebach ihr Anlässe gegeben hat, diesen Versuch zu machen.
Das gehört zu einer Debatte über diesen Schriftsteller, die schon seit Jahren im Gang ist. Es gibt eine Schule der Mosebach-Kritik, die seine Romane als Umsetzung eines reaktionären Programms interpretiert.
Soweit der literaturpolitische Hintergrund, vor dem jetzt sowohl "Krass" als auch die Rezension in "Sezession" erscheinen. Es wird "Krass"-Rezensionen mit politischem Ansatz oder politischer Pointe geben. Sie sind legitim, Tobias Rüther hat in der F.A.S. eine solche geschrieben.
Und natürlich kann und muss man die Kositza-Rezension als "move" im Rahmen eines mittelfristigen Unternehmens der Gegenkanonisierung sehen. Dem bürgerlichen Publikum wird sein Mosebach gestohlen – und das verwaiste Publikum soll ebenfalls nach rechts geholt werden.
Eine ideologiekritische Auseinandersetzung mit der Rezension kann Stoff für einen Text hergeben – dessen Autor natürlich kühl zu Werke gehen muss. Die Verhaltenslehren der Kälte beherrschen wir Republikaner heute besser!
Mir ist höhnisch entgegengehalten worden, demnächst würde ich auch den "Stürmer" und den "Völkischen Beobachter" empfehlen. Die Maßlosigkeit verdeckt, so glaube ich, eine intellektuelle Gefahr.
Es gibt eine Neigung, Rechtsintellektuelles schick und interessant zu finden und das Intellektuelle im Rechten zu überschätzen. Warnungen sind berechtigt. Aber umgekehrt ist es auch problematisch, dieses Intellektuelle zu unterschätzen oder komplett zu leugnen.
Das ist für mich eine Lehre aus 1933ff. Die nationalsozialistische Wissenschaft und Literatur ist gut erforscht. Will man bestreiten, dass von NS-Intellektuellen im Einzelfall auch Bedenkenswertes zu ihren Gegenständen gesagt wurde?
Carl Schmitt ist das bekannteste Beispiel. Man kann auch den Historiker Christoph Steding nennen, als Kritiker des Objektivismus der bürgerlichen Geschichtswissenschaft.
Zitierfähig heute natürlich nur als Casus, ideologiekritisch gerahmt. Aber doch als Beispiel eines Intellektuellen = eines Autors, der mit Argumenten Politik machen wollte. Soweit der kleine historische Exkurs. Klammer zu.
Es gibt die Mosebach-Debatte, und es gibt die Debatte über die Neue Rechte. Sie überschneiden sich. Aber man sollte sie auch auseinanderhalten können. Analytisch und pragmatisch
Ein Buch wie "Krass" kann man nicht naiv lesen. Es kommt daher als Kunstwerk, das sich selbst erklärt. Ich bin trotzdem für jede Verständnishilfe denkbar.

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