Martin Mosebach über die Arbeit an seinem Roman „Krass“: „Es gibt neue Beobachtungen, es gibt alte Erfahrung.“
„Realistisches Schreiben bedeutet, die eigentliche Wirklichkeit bedeutend abzudämpfen. Wollte man sie beschreiben, würde das in der Literatur, als Erzählung, unwahrscheinlich und zu krass, zu grell und zu abenteuerlich wirken.“
„Man muss die Wirklichkeit betrachten und ganz viel wegnehmen. Dann ist es für das Buch gerade erträglich.“
„Eigentlich ist Realismus Dämpfung dessen, was man gesehen und erlebt hat.“
„Ich käme gar nicht auf die Idee, wir haben jetzt diese und jene politische Situation, diese und jene gesellschaftliche Situation, jetzt muss ich den Roman zur Stunde schreiben. Das finde ich absurd. Romanstoff muss zwanzig, dreißig Jahre alt sein ungefähr.“
„Der muss im eigenen Leben richtig abgesunken sein. Das muss nach unten gesunken sein und dann kann es wieder aufsteigen. Das Erlebnis muss sich ganz tief mit dem eigenen Denken, Träumen amalgamiert haben, dann kann es Erzählung werden."
„Eine definierbare Wahrheit ist diesem Buch in diesem Sinne nicht zu entnehmen. Dann hätte es nicht geschrieben werden müssen.“
„Das, was dieses Buch enthält, das brauchte diesen Raum, die Fülle der einander widersprechenden Ereignisse, die vielen Inkonsequenzen, die bedrängende Stärke der einzelnen Situation. Sollte es Wahrheit in diesem Buch geben, ist sie mir selber gar nicht bekannt.“
„Aber es gab ein Gesetz, ein unsichtbares, für mich, als ich das Buch geschrieben habe, es in dieser und nicht in anderer Weise zu schreiben. Das hat etwas fast Abstraktes. Ich glaube nicht, dass man das Buch auf eine Formel bringen kann.“
„Ich schaffe sie eigentlich nicht, sie sind zu mir gekommen. Sie sind alle zu mir gekommen, diese Figuren. Ich habe sie alle sehr gut gekannt. Teilweise sind sie tot, teilweise sind sie aus meinem Blickwinkel vollständig verschwunden. Ich bin nicht ihr Richter.“
„Das ist ja das Schöne. Es gibt eine Arbeitsteiligkeit. Das verstehen viele nicht heute. Sie glauben, dass der Erzähler, der Künstler auch ein Richter sein sollte. Ich bin das nicht."
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"Und dieser Schuster wird gefeiert wie bei Adalbert Stifter. Er wird als ein Heiliger der Verborgenheit gekennzeichnet. 'Etwas so Banales wie die Sehnsucht nach Aufstieg kannte er nicht.' Das muss man schon lesen wie: Dritter Stand, bleib bei deinem Leisten!"
Immerhin zwei Leute haben mich heute gefragt, was ich eigentlich klug und gehaltvoll an der von mir zur Lektüre empfohlenen Rezension von Martin Mosebachs "Krass" durch Ellen Kositza finde, @JochenVenus und @Sektordrei. Vielen Dank!
(Vielleicht habe ich auch jemanden übersehen. Pardon!)
Was ist eigentlich ein Roman? Was wäre ein guter Roman im Sinne eines Musterbeispiels für die Gattung? Und wäre so ein Musterroman wirklich ein guter? Mit diesen Fragen habe ich mich herumgeschlagen, als ich meine eigene Rezension schrieb, die heute im @FAZ_Feuilleton steht.
Judith von Sternburg rezensiert "Krass" von Martin Mosebach. Die vielfältigen anschaulichen Beobachtungen summiert die frappante Schlusspointe: "Ein souveräner Roman. Wer Rückschlüsse auf die Wirklichkeit aus ihm ziehen will, wird in die Irre gehen." fr.de/kultur/literat…
Aber von vorn. "Die einzige Person, die vermutlich angeekelt wäre, ist Hella, eine störrische, ungeschminkte junge Frau in mausgrauen Pullis, die im Roman nicht einmal direkt auftreten darf."
"'Krass' ist in drei große Kapitel aufgeteilt, & dass man im ersten nicht die geringste Vorstellung davon haben kann, wie das zweite aussieht, & im zweiten erst recht keine davon, wie es im dritten enden wird, spricht sehr für diese spannende und auch verblüffende Konstruktion."
Das war ein Servicetweet für alle, deren Leben zu kurz ist, um jede epische Twitterschlacht selbst zu studieren.
Man kann den Bericht über diese Schlacht aber auch wirklich ganz kurz fassen, weil die Sache klarer nicht sein könnte. (Kein Stoff für Kluge oder Pynchon.)
Der Artikel hat sehr scharfe Reaktionen ausgelöst. Indem man sie „sehr leidenschaftlich“ nennt, lenkt man von vornherein von ihrem argumentativen Gehalt und Charakter ab. 2/21
Die Argumente, die auch Redakteure der @SZ gegen den Text vorgebracht haben, werden nicht referiert. Es wird auch nicht andeutungsweise deutlich, aus welchen Gründen man über den Text entsetzt sein kann. 3/21
Es ist beachtlich, dass sich der @DLF so viel Mühe mit der öffentlichen Erörterung von Kritik gibt wie im Podcast "Der Tag". Bei anderen Medien, zumal gedruckten, findet solche Selbstprüfung nicht-öffentlich statt, wenn überhaupt. 1/16 deutschlandfunk.de/der-tag-kommun…
Aber gemessen am Aufwand ist das Ergebnis hier dann erst recht ernüchternd. Um nicht zu sagen deprimierend. Eine Viertelstunde wird über den Kommentar von Silke Hasselmann diskutiert. Die Diskussion dauert also sechsmal so lang wie der Kommentar selbst. 2/16
Doch in dieser langen Zeit wird das Skandalöse des Textes, das nach Zugeständnis des Senders weithin als skandalös Empfundene, nie auf den Begriff gebracht oder auch nur umschrieben. 3/16