Lieber @SHomburg, das Grundschulverständnis von Evolution als "Kampf ums Dasein" zwischen Arten (die Artdefinitionsdebatte führe ich hier heute aber nicht) hilft beim Verstehen der Vorgänge während einer Pandemie nicht wirklich weiter.
Ja, es gibt zuweilen Konkurrenz (1/n)
zwischen verschiedenen Viren, z.B. wenn eine Virus die Wirte tötet, bevor ein anderes sie befallen kann oder wenn zwei Viren so ähnlich sind, dass eine Infektion mit einem auch eine (teilweise) Immunität gegen das andere ermöglicht.
Und es gibt Hinweise, dass manchmal eine (2/n)
Infektion andere verhindert, indem z.B. die allgemeine Immunantwort so angeregt wird, dass das auch gegen andere Erkrankungen hilft (für ein gruselig-geniales nicht-virales Beispiel siehe Pyrotherapie ) (3/n)
Direkt gegeneinander "kämpfen" tun verschiedene Viren also nicht, aber in manchen Fällen können sie um die Wirte konkurrieren oder innerhalb eines Wirtes die Infektionsmechanismen miteinander interferieren (de.wikipedia.org/wiki/Virusinte…)
(4/n)
Aber: Damit zwei Erkrankungen so interferieren oder konkurrieren, dass das für die Ausbreitung einer oder beider Krankheiten wirklich relevant wird, muss die Zahl der Wirte limitierend sein.
Wir bräuchten also eine ziemlich merkliche "Durchseuchung" und wenn tatsächlich (5/n)
Corona gerade massgeblich für eine Verdrängung der Grippe verantwortlich wäre, müsste ein viel größerer Teil der Bevölkerung infiziert sein.
Und gerade dass es wirklich so viele Infizierte gibt, zweifeln Sie ja an! Da schneiden Sie sich argumentativ ins eigene Fleisch... (6/n)
Ganz abgesehen davon, dass ein Mechanismus dafür auch erst aufgezeigt und nicht einfach postuliert werden müsste. Denn SARS-CoV-2 hat weder identische Infektionsmechanismen wie Influenza, noch ist es antigenisch so ähnlich, dass Kreuzimmunität wahrscheinlich wäre, noch ist (7/n)
die symptomatische Phase so lang, dass ein dauerhafter Schutz vor anderen Krankheiten durch unspezifische Immunantwort wirklich glaubhaft wäre.
Insofern: Nette Hypothese, wäre aber erst interessant mit harten Daten, Stefan...
Oh, und was die Tests angeht: Nein, die (8/n)
konkurrieren auch nicht so, wie Du Dir das vorstellst. Die Spezifität ist viel zu hoch, um mit den Coronatests Grippe falsch zu deklarieren und medizinisches Personal viel zu schlau, Coronanegative einfach nicht weiter zu diagnostizieren.
Und Sentinelproben zur Überwachung (9/n)
der Influenzalage gibt es nach wie vor auch -u nd vom RKI dazu einen wöchentlichen Bericht (influenza.rki.de/Wochenberichte…) - Wie cool, Stefan - wir müssen nicht raten, wir haben Daten!
Fassen wir zusammen: Dass Corona direkt die Influenza verdrängt, erscheint auf Grund der (10/n)
Infektionszahlen (bis heute Deutschlandweit etwas über 2,8 Millionen, also nur etwa 3,4% der Bevölkerung) extrem unwahrscheinlich, außer man nimmt eine enorme Dunkelziffer an, die dann aber Grund zu großer Sorge wäre, da dann trotz praktisch flächiger Durchseuchung (11/n)
noch so viele Menschen schwer erkranken und sterben, Immunität also wohl unerreichbar wäre.
Diese Panikmache ist einfach unseriös!
Alternativ gäbe es vor allem zwei Erklärungen für die geringen Grippefälle:
a) Glück mit der diesjährigen Grippesaison
b) Die Maßnahmen gegen (12/n)
Corona helfen auch gegen andere über Tröpfchen verbreitete Infektionskrankheiten. Die niedrigen Grippezahlen wären demnach ein starker Hinweis auf den Nutzen der Massnahmen bei solchen Erkrankungen - und damit auch gegen Corona. Denn hier liegt der Clou, Stefan: (13/n)
Wir Menschen sind schlau (also zumindest einige von uns) und können auf ein Virus so reagieren, dass das dieses und andere beeinträchtigt.
Und das ist eine "Viruskonkurrenz", die dann theoretisch-mechanistisch Sinn ergibt UND zu den Daten passt.
Würden die Maßnahmen gegen (14/n)
Corona die Grippe nicht eindämmen... Ja DANN wäre das ein Hinweis auf ihre zumindest eingeschränkte Wirksamkeit.
Das mit der Hypothesenbildung und ihrer logischen Prüfung üben wir also nochmal, okay?
Mäuschen out (15/15)
P.S. Mit etwas dickem Kopf geschrieben, kleine Holperer bitte ich zu verzeihen, echte Fehler, die sich eingeschlichen haben in Drukos zu korrigieren. Dank!

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18 Feb
Auch wenn selbst in der Pressestelle der Universität Hamburg Leute das aufgreifen und natürlich manche Medien das mehr oder weniger ungeprüft übernehmen:
Es gibt keine aktuelle Studie, die nachweist, dass SARS-CoV-2 aus einem chinesischen Laborunfall stammt.
Was es gibt, (1/n)
ist ein 105-seitiges pdf, das Roland Wiesendanger, ein Physiker mit viel Erfahrung in der Rastertunnelmikroskopie verfasst hat (offenbar im Alleingang) und in dem er aus verschiedenen wissenschaftlichen Artikeln, Pressebereichten und persönlichen (2/n)

de.wikipedia.org/wiki/Roland_Wi…
Mitteilungen (also oft genug "Hörensagen") folgert, dass andere Erklärungen ihn nicht überzeugen, er die virologischen Arbeiten in Wuhan für gefährlich hält und somit einen Laborunfall für eine wahrscheinliche Erklärung des Pandemieursprungs hält. (3/n)
Read 16 tweets
16 Feb
Warum hoffen wir eigentlich darauf, dass eine T-Zell-Immunität nach Impfung oder Infektion auch dann vor mutierten SARS-CoV-2-Varianten schützen könnte, obwohl die Antikörper nur noch schwach binden?
Im Prinzip ganz einfach: Antikörper binden an virale Proteine (1/n)
so, wie sie am Virus vorliegen - es sind also nur bestimmte Bereiche des Proteins gut zugänglich und wenn diese mutieren, ist es relativ leicht, einer Antikörperbindung zu entgehen.
Da verschiedene Antikörper gegen ein virales Protein gebildet werden können und Bindung auch (2/n)
nicht unbedingt eine "alles-oder-nichts" Frage sein muss, kann die Antikörperbindung je nach Mutation mehr oder weniger stark beeinträchtigt werden.
T-Zellen greifen aber nicht direkt das freie Virus an, sondern virusinfizierte Zellen. Und diese werden daran erkannt, dass (3/n)
Read 9 tweets
15 Feb
Diese "Studie" aus Schweden, die zeigen soll, dass Kinder sicher sind, wird gerade gerne geteilt. Sollen wir kurz reinschauen?
Okay...
Erstmal: Das ist veröffentlicht als "correspondence", also keine so richtig echte wissenschaftliche Veröffentlichung mit allem, was (1/n) Image
zu verlässlicher Wissenschaft dazu gehört - eher eine Art informierter Leserbrief.
Was schauen sich die Laute an?
"Severe cases" (Intensivstationsbehandlungen) bei SchülerInnen und bei Lehrpersonal und die sind für die Kinder relativ selten und für die Lehrer (2/n)
im Vergleich zu anderen berufen nicht erhöht.
Was die Studie gar nicht anschaut, sind nicht-ICU-Fälle, Spätfolgen etc. (Tod zu Hause würde hier übrigens rausfallen!), Massnahmen in den Schulen und auf die durch Schulinfektionen sonst in der Bevölkerung hervorgerufenen Fälle (3/n)
Read 7 tweets
10 Feb
Exponentielles Wachstum kann wirklich doof sein (Und wer immer noch nicht kapiert hat, dass wir bei z.B. Corona von Abschnitten näherungsweisen exponentiellen Wachstums reden, darf gerne weg bleiben...):
Bei positivem exponentiellen Wachstum haben wir da ja schon (1/8)
viel drüber geredet, aber zur Wiederholung hier nochmal kurz eine beispielhafte Kurve. Man sieht schön, dass die erst eher harmlos aussieht, es dann aber bei gleich bleibender Wachstumsrate irgendwann so schnell nach oben geht, dass die Zeit zwischen "Ups" und (2/8)
"Katastrophe" sehr kurz wird. Das its das allseits bekannte Problem bei R>1.
Bei R<1 bekommen wir eine Kurve mit negativem exponentiellen Wachstum und auch die hat ihre Tücken:
Denn erstmal sieht da alles prima aus und die Zahlen nehmen richtig schön schnell ab. Aber dann (3/8)
Read 8 tweets
9 Feb
Ja, die #Bildung der Kinder macht mir Sorgen.
Aber ich habe die erste G8-Generation bei uns an der Uni erlebt. Und wisst ihr, was uns da aufgefallen ist?
Die waren nervös und eingeschüchtert, weil ihnen jahrelang von Presse und Gesellschaft erklärt wurde, dass sie es (1/8)
so super schwer haben würden.
Das war der Jahrgang, wo sie beim Dozentenkennenlernen auffällig oft gefragt haben, wie man später an Promotionsstellen und Jobs kommt.
Die waren oft geradezu panisch, wenn Klausuren anstanden oder wenn sie mal durch eine durchgefallen waren. (2/8)
Was sie nicht waren: Schlecht, dumm und unfähig.
Aber gestresst waren sie, von den Ansprüchen, die eine Debatte um ihre zukünftige Arbeitsmarktfähigkeit ihnen von klein auf aufgedrängt hat.
Und ja, auch die Coronazeit ist eine riesige Belastung für Schulkinder. Und darüber (3/8)
Read 14 tweets
3 Feb
Okay, soll ich nochmal für alle erklären, warum wir in Mikrobiologie, Epidemiologie etc. von "#exponentiell|em Wachstum" reden?
Stefan, hörst Du zu? Prima, ich versuch, es einfach zu halten, okay?
Gut, also, nehmen wir mal an, wir haben ein Geschehen in der Natur, das wir (1/20)
gerne mathematisch beschreiben möchten. Grundsätzlich gibt es dann mehrere Möglichkeiten:
a) Das vielleicht simpelste, ist dass wir an die Messwerte eine Kurve anlegen und die soweit modifizieren, dass sie möglichst gut passt. Genau, Stefan, da könnten wir zum Beispiel die (2/20)
Gompertz-Funktion verwenden. Wir können dann die Parameter so anpassen, dass die Kurve möglichst gut passt (z.B. Methode der kleinsten Quadrate) und fertig. Damit wir das machen können, müssen wir halt von vornherein annehmen, dass unser Geschehen dem Modell entspricht, das(3/20)
Read 21 tweets

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