Weil es den Kern linguistischer Forschung berührt, steige ich mit einem Thema ein, das mir sehr am Herzen liegt. Ich bin froh, dass es mich und ich es gefunden habe: #Konstruktionsgrammatik. 1/
Ich hatte am Montag schon erwähnt, dass es mich vor allem mit Alexander Ziem (@HHU_de) zusammenschweißt: Vier der fünf konstruktionsgrammatischen Titel, an denen ich mitgearbeitet habe, sind zusammen mit ihm entstanden. Die Aufsätze nicht mitgezählt. 2/
Aber worum geht es in der Konstruktionsgrammatik? Es ist ein Sprachwissensmodell, das, wie andere auch, auf spezifischen (und nicht immer expliziten) Prämissen aufruht und den Gegenstand Sprache aus einer bestimmten Perspektive in den Blick nimmt. 3/
Um sich in solche Modelle einzudenken und mit zu entwickeln, braucht man Jahre. Denn häufig ist es so, wie in anderen Wissenschaftsbereichen auch, dass man zunächst das ~Fragen~ lernen muss. Und man muss sich das Fragen ~trauen~. 4/
Die gebrauchsbasierte Konstruktionsgrammatik (der ich meine Arbeiten zuordnen würde), ist, pauschal gesagt, eine 'Inhaltsgrammatik'. Ihre wichtigsten Grundlagen weiß sie in der Kognitiven Grammatik, daraus kann man auch die zentralen Fragestellungen ableiten. 5/
Anders, als es gemeinhin gesehen wird, geht die Kognitive Grammatik davon aus, dass Sprache ~nicht angeboren~ ist. Sprache ist ein kulturelles Artefakt, das wir aus dem Gebrauch heraus erwerben. 6/
Sie greift hier Ideen auf, die an verschiedenen Stellen formuliert wurden (z.B. bei Paul, Bühler, Wittgenstein u.a.). Das hat signifikante Auswirkungen auf den Beobachtungsgegenstand Sprache, und ich will es kurz machen. Fragen bitte jederzeit stellen. 7/
Die Systemlinguistik (im Anschluss an de Saussure) konzeptualisiert Sprache wie einen Apothekerschrank. Jede sprachliche Einheit lässt sich systemisch einordnen, in einigen Fächern des Schrank ist nichts, muss aber mitgedacht werden. Z.B. der Plural von Schüler. 8/
Die generative Grammatik konzeptualisiert Sprache in Analogie zu früher Computertechnologie. Kurz: Sprache ist uns angeboren (Universalgrammatik), gewissermaßen als Software auf unserer physischen Hardware, die durch Input konfiguriert wird. 9/
Sprachgebrauchsbasierte Ansätze, und dazu würde ich die Kognitive Grammatik (und damit die Konstruktionsgrammatik) zählen, gehen davon aus, dass wir Sprache und alle ihre Irregularitäten erlernen, weil wir als Menschen kommunikativ aufeinander bezogen sind. 10/
Michael Tomasello nennt die Grundlage dafür #JointAttention. Ohne zu sehr ins Detail zu gehen, ist damit die Beobachtung verbunden, dass wir als Menschen nicht anders können, als anderen Menschen intentionales Verhalten zu unterstellen. 11/
Wir gehen also davon aus, dass unser Gegenüber, an dem wir uns ausrichten, dass, wenn es uns etwas zeigt, es uns etwas Bedeutungsvolles zeigt. Dabei wissen wir immer, was unser Gegenüber weiß, weil wir zur Empathie fähig sind. 12/
Ausgehend von dieser Basis modellieren wir z.B. alle Spracherwerbsprozesse neu, denn ein Defizitmodell ("Kinder sprechen halt noch nicht so richtig wie Erwachsene") ist sofort suspendiert: Kindlicher Spracherwerb folgt eigener Gesetzlichkeit . 13/
Und so ist es kein Wunder, dass die Konstruktionsgrammatik sich Bereichen zuwendet, die man üblicherweise in Grammatiken eher nicht erwartet: Spracherwerb, Phraseologie, das Kontinuum zwischen Lexikon und Grammatik (den vormals als getrennt gedachten Modulen) & Varietäten. 14/
Mein Interesse liegt aber doch eher in der so genannten Kerngrammatik. In der Habil habe ich mich mit passivähnlichen Strukturen beschäftigt, um z.B. sprachliche Muster wie "sie hat ein Ornament auf das Schulterblatt tätowiert", also, das eigene, ... 15/
oder "das gehört anders geschrieben". Angeregt durch viele Fragen, u.a. aus den grammatischen Entwürfen von Ulrich Engel, der in einem Nebensatz das Futur als Tempus in Frage stellt, denke ich etwas weiter in Richtung Tempus, Faktizität und Perfektivität. 16/
Das geht, denke ich, aber bei Twitter zu weit, statt dessen zeige ich Euch einfach, wie ich im Moment zentrale Kernbereiche einer Grammatik des Deutschen modelliert habe, als Beitrag zur Diskussion des "Konstruktionsnetzwerks" (#Konstruktikon) - selbst wieder Metapher. 17/
Wer sich für die Entwicklung des Modells interessiert, fühle sich eingeladen, diese mit nachzuvollziehen - ich stelle sie nämlich als #WiP auf dem Blog unserer Professur aus: gls-dresden.de/tag/bedeutungs…. #BedeutungsFormPaar #Openness
Wichtig bleibt, auch für die #Konstruktionsgrammatik: Grammatikographie(n) folgen Ideen und sind damit Ideenlehren von Sprachwissen. Auch unsere Netzwerkmetapher ist bspw. nicht ideal, vielleicht bringt uns aber das #QuantumBrain in ein paar Jahren wieder ein Stück weiter. 19/
Denn auch hier gilt, wie für jede Wissenschaft: Unser Wissen ist (und bleibt) vorläufiger Natur. Stellen wir es doch einfach in einer offenen Wissenschaftskultur der Digitalität so aus. 20/
Und ja, ~das~ Futur gibt es nicht. Discuss.^^ 21/

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