Ab und zu kommt die Behauptung auf, dass es für Kinder besser sei, eine Erkrankung durchzumachen, als dagegen geimpft zu werden. Schauen wir uns die Überlegungen dahinter einmal an, okay?
Ganz trivial ist die Frage nämlich nicht, auch wenn die Antwort meist klar nein ist. (1/n)
Erstmal der Disclaimer: Ich bin weder Immunologe, noch Kinderarzt, insbesondere den individuellen Fall kann ich nicht beurteilen, aber ein paar interessante Gedanken möchte ich zusammenfassen, auch um Argumentationen verständlicher zu machen. (2/n)
Das einfachste - und dem Bauchgefühl auch am besten zugängliche - "Argument" ist, dass eine "natürliche" Infektion besser sei als die "küsntliche" Impfung. So sympathisch diese Sicht manchen ist, so wenig taugt sie als Argument und kann eigentlich nur überleben, wenn man (3/n)
die Auswirkungen von Krankheiten unterschätzt. Gerade "Kinderkrankheiten" gelten oft als eher harmlos, der Ausdruck bezieht sich aber eher auf die frühere Unvermeidlichkeit hoch ansteckender Krankheiten - und gerade die müssen wir heute nicht mehr hinnehmen. Aber mit dem (4/n)
Begriff ist auch ein anderer, relevanterer Umstand verbunden: Nämlich, dass einige Krankheiten für Kinder weniger gefährlich sind, als für Erwachsene - Vielleicht der Klassiker sind die Windpocken, aber auch für Corona und Masern gilt das.
Tatsächlich war es daher für lange (5/n)
Zeit besser, diese Krankheiten als Kind zu überstehen, als zu riskieren, ihnen als Erwachsener zuerst zu begegnen. Und ja, das heisst, dass "Masernpartys" im 18. Jahrhundert prinzipiell keine schlechte Idee waren.
Aber eine Impfung vermittelt die nötige Immunität, um das (6/n)
Kind auch als Erwachsenen zu schützen und vermeidet dabei auch die Risiken einer Infektion als Kind. Aus dem korrekten "besser als Kind durchmachen als als Erwachsener" ein generelles "besser als Kind durchmachen" abzuleiten, wäre also ein Fehlschluss - der aber erstaunlich (7/n)
weit verbreitet scheint.
Ein zweites Argument "für Erkrankungen" ist die Hygiene-Hypothese für die Entstehung von Autoimmunerkrankungen (de.wikipedia.org/wiki/Autoimmun…) - kurz gesagt haben Kinder, die unter hygienischeren Bedingungen aufwachsen, öfter Allergien und auch schwerere (8/n)
Autoimmunerkrankungen, und Mäuse, die unter streng sterilen Bedingungen aufgezogen werden zeigen ein unterentwickeltes Immunsystem und andere Störungen. Eine mögliche Erklärung ist, dass das Immunsystem für seine korrekte Entwicklung den Kontakt zu verschiedenen Bakterien (9/n)
als eine Art "Training braucht". Dazu passt auch, dass Allergien und Autoimmunerkrankungen manchmal während und nach Erkrankungen Besserung zeigen.
Allerdings tun sie das auch nach Impfungen gelegentlich, so dass Impfungen wohl ebenfalls ein "sinnvolles" Training bieten. (10/n)
Außerdem Impfen wir nur gegen einen winzigen Teil der Erreger in unserer Umwelt und auch nach einer Impfung kann das Immunsystem noch auf die Begegnung mit einem Erreger reagieren. Hinweise, dass bestimmte Krankheiten für eine gesunde Entwicklung des Immunsystems wichtig (11/n)
wären, gibt es meines Wissens nicht, das Gegenteil ist aber sehr wohl der Fall - am kritischsten sind hier die Masern, die das Immunsystem nachhaltig über Monate bis Jahre schwächen, was auch dadurch eindrucksvoll belegt wird, dass Masernimpfungen auch die Sterblichkeit (12/n)
durch andere Erkrankungen reduzieren (z.B. ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/P…).
Auch die wohl richtige Aussage "Kinder sollten ein bisschen Dreck erleben", darf also nicht falsch zu "Impfungen verhindern eine gesunde Entwicklung" umgedeutet werden. (13/n)
Ein weiteres immer wieder vorgebrachtes Argument ist, dass "natürliche" Immunität besser sei, als die durch Impfstoffe hervorgerufene. Betrachtet man nur die Immunität, dann gibt es tatsächlich immer wieder Daten, die z.B. bei Genesenen höhere Antikörpertiter zeigen, als (14/n)
bei Geimpften - auch bei Corona.
Allerdings geht es hier um höhere Mittelwerte und wenn man die Daten genauer anschaut, dann ist die Varianz bei den Genesenen meist deutlich höher - es gibt hier also Menschen mit sehr hohen, aber auch mit sehr niedrigen Werten, während die (15/n)
Werte der Geimpften meist einheitlicher sind.
Das ist auch biologisch nachvollziehbar, da gerade sehr mild verlaufende Fälle mit wenig Erregerkontakt, als auch schwere Verläufe mit schweren Schädigungen (und je nach Erreger eventuell auch starker Immunsuppression eben zu (16/n)
suboptimalen Immunreaktionen führen können, während die Impfungen einheitlicher verlaufen.
Dazu kämen natürlich auch noch die höheren gesundheitlichen Kosten der Infektion, so dass es sich eigentlich nie "lohnen" dürfte, die Infektion statt einer Impfung durchzumachen, nur (17/n)
um dann vor einer zweiten Infektion (mit Glück) etwas besser geschützt zu sein. Und diese zweite wäre selbst nach einer wenig effektiven Impfung höchstwahrscheinlich weniger gefährlich und würde dann die optimierte Immunität ergeben.
Auch etwas bessere Labordaten für (18/n)
Immunität wären also nur unter ganz, ganz speziellen Umständen ein Argument für die "natürliche" Immunisierung.
Last but not least kann man natürlich auch für einen nicht-medizinischen Wert einer durchgemachten Erkrankung argumentieren. Durchstandene Härten des Lebens (19/n)
können ja tatsächlich auf zukünftige Hürden vorbereiten, Empathie mit anderen Leidenden vermitteln und vielleicht auch auf anderen Ebenen lehrreich und damit wertvoll sein. Das ist dann allerdings nicht objektiv bewertbar und für die hier erhofften positiven Effekte reicht (20/n)
sicher auch die eine oder andere Erkältung oder ab und zu ein Durchfall - es müssen nicht Masern, Polio oder Diptherie sein!
Leichte Erkrankungen als wichtigen Teil des Lebens sehen ist das eine, kinder schweren Erkrankungen auszusetzen ist eher irgendwo zwischen Sadismus (21/n)
("Ich musste das auch durchmachen") und im schlimmsten Fall an der Grenze zur Eugenik, wo man annimmt, dass sowieso nur die Schwächsten sterben.
Auch hier gibt es also - zumindest nach meinem ethischen Verständnis - keinen Grund, Kinder Krankheiten auszusetzen, gegen die (22/n)
man hätte impfen können - wenn man der Erfahrung überhaupt einen Wert zuweist, denn auch auf andere Härten des Lebens kann man Kinder ja vorbereiten und sie empathisch für Leid machen, ohne sie erleben lassen zu müssen - kaum jemand würde heute Kriege und Hunger als (23/n)
wichtige Erfahrungen ansehen, obwohl diese lange als normale und teilweise wertvolle Erfahrungen galten!
Ganz allgemein haben also zwar viele Argumente für "Krankheit durchmachen statt Impfung" einen irgendwie wahren Kern, sind aber am Ende wenig überzeugend.
All das gilt (24/n)
natürlich nur für zugelassene/empfohlene Impfungen und nicht, wenn ein Kind z.B. durch Allergien oder Immunschwäche individuell erhöhte Risiken durch eine Impfung hätte - auch dann wäre die Krankheit meist gefährlicher, aber dann sind Hygiene und Impfung der Gesellschaft (25/n)
für dieses Kind die geeigneteren Schutzmaßnahmen.
Das gleiche gilt eventuell auch - zeitlich befristet - bei einer akuten Erkrankung oder einer akuten Panikattacke. Aber dann ist nicht die Impfung falsch, sondern der Zeitpunkt.
Und natürlich spielt in Impfempfehlungen auch (26/n)
die Frage hinein, ob es überhaupt ein Expositionsrisiko gibt - Kinder hierzulande gegen Pocken (ausgerottet) oder Gelbfieber zu impfen, wäre nicht sinnvoll - obwohl es auch hier besser wäre geimpft zu sein, als die Krankheit durchzumachen.
Am Ende ist das alles für Laien, (27/n)
aber auch für Menschen mit etwas Hintergrund nicht leicht abschließend zu bewerten, zum glück gibt es aber Stiko und RKI für allgemeine Bewertungen und KinderärztInnen für individuelle Beratung - die darf man natürlich auch kritisch hinterfragen, aber ein paar vielleicht (28/n)
nützliche Gedanken, um dabei nicht versehentlich falsch abzubiegen, kennt Ihr jetzt.
Bleibt gesund, auch Eure Kinder!
Mäuschen Out 🐭 (29/29)

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3 Jun
Es gibt wenig, was mehr Leben gerettet hat, als Impfungen. Was sicher dazu gehört, sind die Sicherung von Ernährung, die Versorgung mit sauberem Wasser und die Entsorgung von Abwässern. Tatsächlich waren antike Baumeister da schon erstaunlich weit - Rom konnte sicher (1/14)
um die Zeitenwende auch deshalb zur Millionenstadt werden, weil es über 11 Aquädukte mit Frischwasser versorgt und über das Kanalsystem der Cloaca Maxima wieder entwässert wurde!
Viele Städte im europäischen Mittelalter, aber auch bis weit in die Neuzeit hatten eine viel (2/14)
primitivere Wasserversorgung - und die Entsorgung von dreckigem Wasser geschah zusammen mit Abfällen über die Strassen - inklusive zurücksickern von Erregern in die Brunnen . Krankheiten waren so häufig, dass das Bevölkerungswachstum vieler Städte bis ins 19. Jahrhundert (3/14)
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30 May
Liebe Freunde der #Saisonalität: Zum Höhepunkt der dritten Welle lag der R-Wert bei geschätzten 1,15 - jetzt sind wir bei etwa 0,8. Das sind etwa 30% weniger. (rki.de/DE/Content/Inf…) Allerdings sind inzwischen auch 17% der Bevölkerung zweit- und über 40% erstgeimpft. (1/6)
Da wir inzwischen wissen, dass die Impfungen wohl auch einen nicht ganz unbedeutenden Schutz vor Infektionen (und damit Weitergabe) bieten (mdr.de/brisant/corona…), müssten wir wohl mindestens die Hälfte dieses Rückgangs auf die Impfungen zurückführen. Blieben 15% Rückgang (2/6)
durch Saisonalität - was übrigens gut zu den 10-20% passen würde, die Drosten geschätzt hat.
Nun gibt es aber zwei Punkte, die man anführen kann, wenn man den Effekt der Saisonalität für größer hält:
a) Wir hätten noch gar nicht den vollen Effekt, der kommt erst Juni-August (3/6)
Read 9 tweets
29 May
Im Moment liegen die Bundesländer beim Impffortschritt übrigens alle ziemlich nah beieinander. Schlusslicht Brandenburg (55.418/100.000 EW) liegt gerade ~ 15% hinter Spitzenreiter Saarland (65.449/100.000 EW). (1/9)
Auch in der EU liegt das Feld ganz gut beisammen - Außreißer nach oben sind das kleine Malta und das Sputnik- und Sinopharm- verimpfende Ungarn. Kroatien und Lettland holen ihren Rückstand gerade rapide auf, nur Bulgarien hinkt noch hinterher. (2/9)
Schon der Blick auf die G20 zeigt aber, wie enorm die Unterschiede weltweit sind! Während UK und EU fleissig weiterimpfen, flacht die USA schon deutlich ab, China legt gewaltig zu, der Rest der Welt bleibt Großteils zurück - Südafrika (ganz unten) impft kaum! (3/9)
Read 9 tweets
28 May
Ab und zu kommen jetzt Leute und führen an, dass in #Japan für gegen #Corona #Geimpfte das Blutspenden verboten sei.
Das stimmt so nicht.
Es gibt da eine Übersicht des japanischen Roten Kreuz (Die man sich ggf. von Google übersetzen lassen kann): (1/5)

jrc.or.jp/donation/about…
Da sieht man dann, dass allgemein 24 Stunden nach Impfungen, nach manchen bis zu 3 oder 6 Monaten und nach Postexpositionsprophylaxe für Tollwut sogar ein Jahr kein Blut gespendet werden darf.
Das alles ist sinnvoll, denn Blutspenden erhalten ja auch lebensbedrohlich (2/5)
erkrankte oder verletzte Menschen - und die möchte man weder mit abgeschwächten Erregern, noch mit Antigenen oder den ganzen Entzündungsmarkern einer akuten Immunreaktion zusätzlich belasten.
Ganz ähnliche Empfehlungen macht übrigens auch das RKI. (3/5)
rki.de/SharedDocs/FAQ…
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27 May
Okay, es gibt ein neues Preprint-Paper, das vielleicht einen Mechanismus für die #Sinusvenenthrombose durch #Vektorimpfstoffe gegen #Covid19 erklären könnte.
Schauen wir mal rein! Was haben sie gemacht?
Zuerst haben sie sich einmal die Sequenzen der(1/15)

researchsquare.com/article/rs-558…
Spike-Proteingene in den Impfstoffen angeschaut mit Augenmerk auf mögliche Spließ-Stellen. Spleißen ist ein Vorgang bei der Reifung von RNA in Zellen, bei dem Stücke aus der RNA ausgeschnitten werden, wodurch sich das Endprodukt verändern kann. Während Spleißen bei Protein-(2/15)
codierenden Genen in unseren Zellen sehr häufig vorkommt, kommt es bei viralen Genen eigentlich nicht vor - aber es bleibt eben möglich, dass auch virale RNA bei der Synthese gelegentlich gespleißt wird.
Nachdem mehrere mögliche Spleißpositionen gefunden wurden, wurden (3/15)
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26 May
Ulrich #Kutschera war mir ursprünglich als streitbarer Pflanzenphysiologe und Evolutionsbiologe bekannt, inziwschen fällt er leider vor allem durch homophobe, sexistische und klimawandelverharmlosende Äußerungen auf - und schreibt jetzt als Gastautor für Reitschuster. (1/6)
Die "Klarstellung", dass Schnelltests anfällig auf manche Störfaktoren sein können, backt dabei natürlich sehr, sehr altes Brot auf - aber spielt Querdenkern natürlich prima in die Hände
Wenn das - von mir sehr geschätzte @Lab_Journal hier als "Fachzeitschrift" benannt wird,(2/6)
dann zieht mir das als Biologe auch schon eine Augebraue hoch, da das den Laien doch eher in die Irre führt und ein Journal mit Peer Review vermuten lässt. Ein kurzweiliges Editorial wird dann auch als Beleg dafür angeführt, dass Schnelltests falsch-positiv auf Orangengenuss(3/6)
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