Die letzte Woche habe ich versucht, für meine Uni aus der Erinnerung zu rekonstruieren, wie es bei uns zu dieser unseeligen Verschränkung von #WissZeitVG und der breiten Aussetzung von Entfristung kam, die jetzt in #IchbinHanna richtig sichtbar wird. 🧵🪡
Als ich 2006 hier als Wiss. Mitarbeiter angefangen habe, konnten die Profs. mit etwas Hartnäckigkeit noch Entfristungen lostreten, wenn sie sich sicher waren, jemanden unbedingt halten zu wollen. Das war ein Wahlrecht, aber nur für C4-Professor:innen.
Nicht wenige so Entfristete sind dann oft doch bald oder irgendwann berufen worden. Entfristung war also nicht der Weg in Trägheit, sondern Grundsicherung, um gute Kandidat:innen im System halten zu können. Auf Ratsstellen war man aber nicht am Institutsbudget beteiligt!
Außerdem „mussten“ Rät:innen viel mehr lehren. Deshalb wollten viele weiter. Nicht wenige habilitierten außerdem und wurden als apl. Prof. an unserer Fakultät de facto in die Reihen der Professor:innen aufgenommen. Da sind auch viele sehr Erfolgreiche dabei (Drittmittel…).
2007 kam das WissZeitVG und am Anfang waren alle verwirrt, wie immer, wenn sich die Regeln ändern. Immerhin hat mir meine Sachbearbeiterin im Personal frühzeitig gesteckt, dass Kinderkriegen ab jetzt ein Segen ist!
Etwas später drehte sich der Wind an der Uni und Entfristung sollte die große Ausnahme werden. Ob es daran lag, dass 2005 Pinkwart (FDP) Minister für unsere Belange wurde? Gleichzeitig wurden die Unis in die Unabhängigkeit entlassen und bekamen mehr Zugriff auf Stellschrauben.
Die Dekan:innen u.a. warnten ab jetzt davor, dass wir uns „einmauern“ würden mit Entfristungen. Einmauern habe ich oft gehört – praktisch die frühere Vokabel für „Verstopfung“. Das Wahlrecht für Lehrstuhlinhaber:innen entfiel damit.
Das Rektorat hatte offensichtlich beschlossen, „flexibler“ zu werden und dadurch wohl auch Geld zu sparen. Auch vom Rektor habe ich „einmauern“ ein paar mal vernommen. Die neuen Regeln ermöglichten das. Das Wahlrecht ging strukturell an den Rektor über.
Gleichzeitig mag das im Hinblick auf Drittmittel nicht sehr clever gewesen sein. Mit kurzen Verträgen kann man keine DFG-Anträge stellen. Meine Uni ist nicht unbedingt drittmittelstark… Aber die anderen, erfolgreicheren Unis haben natürlich ebenfalls kaum noch entfristet.
Und das alles inmitten wachsender Studi-Zahlen. Ich kann selbst kaum glauben, dass meine Uni bei 17.000 Studis stand, als ich 2006 angefangen habe und es jetzt 37.000 sind! In solchen Zeiten den Mittelbau ständig durchzurotieren, ist wirklich wirklich tough!
Es hat sich aber auch manches positiv gewandelt. Die Uni als Arbeitgeber befristet in unserem Bereich nicht mehr gerne kurz und hat in der Hinsicht bewusst und aktiv dazugelernt. Es gibt inzwischen sogar Verträge über vier fünf Jahre, wenn es das #WissZeitVG zulässt.
Auf jeden Fall war und ist das Zusammenspiel vom Ende der Entfristungen und dem #WissZeitVG freilich fatal. Aussichtsreiche Kandidat:innen können nicht mehr mit Bordmitteln im System gehalten werden, bis sie berufen werden. Daueraufgaben mit vielen vielen Studis? Puh!
Und das ist nur die technische Seite – die menschliche ist zum Glück durch #IchBinHanna jetzt viel sichtbarer geworden. Die systematische Dysfunktion, die dadurch in der Wissenschaft hierzulande entsteht ist ziemlich schlimm!
Vorsicht: Ich habe das alles aus meiner Erinnerung rekonstruiert und manches mag schlichtweg falsch sein. Mit ergrauten Zeitzeugen ist das ja immer so eine Sache. Deshalb würde ich mich freuen, wenn andere korrigieren, ergänzen und einordnen würden!

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