Etwas was Offtopic erscheint, aber dennoch relevant für #btw21 und die irgendwann erfolgenden Koalitionsverhandlungen ist:

#Einsamkeit.

In der Vergangenheit wurde ich oft in Interviews, aber auch jetzt bei den Wahlen gefragt wurde, was man denn politisch gegen die Vereinsamung
in der Gesellschaft machen könnte oder machen kann.

Politisch sind die Hebel zugegebenermaßen sehr eingeschränkt, weil Sozialisierung kaum von Regularien oder Gesetzen gefördert oder eingeschränkt werden kann. Im Wesentlichen arbeitet man nur mit Kollateraleffekten, welche aus
völlig anderen Maßnahmen Einfluss auf Kontakte ausüben können. Die aktuellste und aus dem Winter 2020/21 noch bekannteste ist die Kontakteinschränkung als Maßnahme des Infektionsschutzgesetzes. Politik kann also nur Rahmenbedingungen schaffen, aber keinen gesellschaftlichen
Zusammenhalt aktiv fördern. Aus unserer Sicht und auch den Erfahrungen des Projektes, ermöglicht eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben auch die entsprechenden Optionen um eigenständig Kontakte zu finden und zu suchen. Teilhabe ist kulturell und kulinarisch allerdings auch nur
mit entsprechenden Mitteln des Individuums möglich. Diese groben Ideen die ab und an durch den Raum schwirren wie "Geh in den Park, öffentlichen Platz etc., da lernst Du schon jemanden kennen." funktionieren. In der Theorie. Als abstraktes, romantisiertes Konstrukt.

Was jedoch
viel wahrscheinlicher ist, wäre bspw. alle paar Tage in ein Café zu gehen, ein gutes Gefühl für den Ort und die Leute dort bekommen und dann ansprechen bzw. angesprochen werden. So entstehen Kontakte. In Parks Menschen ohne entsprechendes Getier anzusprechen machen eigentlich nur
Creeps.
So ein Café kostet aber wieder Geld. Wobei wir dann also wieder bei dem Thema Teilhabe wären. Viele unserer Teilnehmenden haben kaum finanzielle Mittel, eigenständig überhaupt über die Runden zu kommen. Alleine schon dieser psychische Druck macht es neben der Einsamkeits-
und finanziellen Situation schwierig überhaupt offen über einen Besuch eines Cafés nachzudenken. Und es ist schon ein Unterschied in einem Café zu sitzen, etwas zu trinken und sich Gedanken über die 2,10€ des Cappuccino zu machen oder nicht. Armut schürt Befangenheit.
Aus politischer Sicht könnte durch eine Entlastung von Menschen am Existenzminimum die Einsamkeit als Seiteneffekt vermindert werden. Oder zumindest die psychische Belastung. Geld macht nicht glücklich, aber es entlastet ungemein.

Alterseinsamkeit ist wiederum ein anderes Thema,
welches tatsächlich nur durch eine Förderung von Mehrgenerationenhäusern oder die Aktivierung jüngerer Generationen zu solidarischen sozialen Handlungen und bspw. Treffen mit der älteren Generation gefördert werden könnte. Die Probleme dabei sind aber vielfältig und wiederum
nur ganz schlecht politisch steuerbar. Klar könnte man finanziell recht viele Aktivierungen etablieren, aber möchte man echt einen Menschen um sich herum haben, bei dem man weiß, dass er nur des Geldes wegen da ist?

Im Moment laufen da weltweit einige Versuchsballons, was man
machen könnte. Politisch lässt sich Einsamkeit jedoch am ehesten am ehesten mit den volkswirtschaftlichen Aspekten begründen: Erhöhte Kosten für die Sozialkassen durch bspw. psychische Erkrankungen oder vorzeitiger Tod und übermäßige Rentenausschüttung. Das ist in UK ein großes
Problem. Hier vermutlich auch, aber dazu gibt es nicht so viele Zahlen.

Um jetzt aber mal zu den offensichtlichen möglichen Optionen der Regierung 2021 zu kommen: Ich denke mit einer Ampel käme man zur Bekämpfung von Einsamkeit am weitesten. Idealisiert wäre natürlich eine
rotrotgrüne Koalition gewesen, aber das geben sowohl die Wahlergebnisse nicht her, als auch die gesellschaftliche Krise und der Diskurs in dem wir uns momentan befinden. Wir brauchen an allen Stellen gerade wohl einen gesunden Mittelweg und vielleicht findet sich bis 2025
wenigstens ein politisch weitgehend sinnvoller Ansatz zur Mitigation von Einsamkeit.

Also soviel aus Sicht von mir und #KeinerBleibtAllein.

• • •

Missing some Tweet in this thread? You can try to force a refresh
 

Keep Current with Mnemoniker

Mnemoniker Profile picture

Stay in touch and get notified when new unrolls are available from this author!

Read all threads

This Thread may be Removed Anytime!

PDF

Twitter may remove this content at anytime! Save it as PDF for later use!

Try unrolling a thread yourself!

how to unroll video
  1. Follow @ThreadReaderApp to mention us!

  2. From a Twitter thread mention us with a keyword "unroll"
@threadreaderapp unroll

Practice here first or read more on our help page!

More from @hipsterfitness

14 Jul
So. Und jetzt wo ich wieder Eure Aufmerksamkeit habe, kann ich mich der Beantwortung der Frage kümmern, warum psychische Erkrankungen eher Prio haben sollten, als die ebenso grassierende Einsamkeit. Aus Sicht von #KeinerBleibtAllein:

Ein Thread.
Im Grunde ist das eine Henne-Ei Frage: Was war zuerst da? Die psychische Erkrankung oder die Einsamkeit? Und welches dieser Probleme ist dringender zu lösen? Bei der mittlerweile auf 5 Jahre zurückliegenden Arbeit in dem Projekt @IstNichtAllein und Gesprächen mit mehreren tausend
von Einsamkeit betroffenen, hat sich mir ein insgesamt stimmiges Gesamtbild ergeben. Und davon möchte ich Euch jetzt erzählen. Zu 90% sind die Teilnehmenden schlichtweg so sehr, von der Sozialisation des 21. Jahrhunderts überfordert, dass sie sich zur Kontaktherstellung völlig
Read 24 tweets
6 Apr
15 Monate Pandemie und man versteht immer noch nicht, dass die niedrige Sterblichkeit auf Masken, Abstand und Kontaktbeschränkungen zu führen ist...

Ganz ehrlich? Ohne AHA würde ein vielfaches an Leuten schon unter der Erde liegen.
Machen wir mal ein Gedankenspiel: Stellen wir uns vor Deutschland sei damals falsch abgebogen und hätte wegen der Pandemie ... gar nichts gemacht.

Bis Mai 2020 wäre schon jeder Dritte infiziert gewesen. Das Gesundheitssystem kam im April schon zum erliegen. An die Leichensäcke
aus dem Kaufland gewöhnt man sich schon. Die Infrastruktur gibt einen regulären Abtransport der Leichen im September eh nicht mehr her. Auch die Wirtschaft bemerkt schon die mittelfristigen Schäden durch die vielen Long Covid Fälle und die nicht mehr produktiv einsetzbaren Kräfte
Read 6 tweets
10 May 20
Meine größte Angst ist gerade, dass wir kulturell und gesellschaftlich verwahrlosen. Und nicht durch #COVID19deutschland, sondern durch uns. Unser eigenes völlig abwegiges Verhalten gerade. Vor einigen Wochen noch haben wir die mehrjährige politischen und gesellschaftlichen
Kleinkriege unter uns quasi mit einem einzigen gemeinsamen Feind, dem Virus, beseitigt. Und jetzt befinden wir uns wieder in einer neuen Epoche der Aufklärung. Einer neuen völlig verschobenen #Querfront gegenüber, die auf einem virtuellen nie vorhandenen Status Quo pocht.
Dieses idealisierte extrem konservative Weltbild existierte nie, weil wir schon mal weiter waren.
Durch diesen Kampf um romantisierte Luftschlösser, verlieren wir aber gerade so gut wie alles. Jene die uns weiterbringen möchten, werden gebremst von denen die nicht in der Lage
Read 10 tweets
9 Mar 20
Was mich offen gesagt ziemlich ankotzt bei dem ganzen #Coronavirus Thema: Dieser völlig unreflektierte Egoismus.

Ja, es sieht für die Gesunden und stabileren Personen gerade nach Panik aus. Ja, du trägst mit deiner Hygiene und deinem Freizeitverhalten dazu bei den Virus
mehr oder weniger streuen zu lassen. Es geht hier um gesellschaftliche Verantwortung durch individuelles Handeln. Und wenn das Individuum, also Du, nicht in der Lage bist, auch mal für andere Verantwortung in Form von Verzicht von Großveranstaltungen oder einfachem Händewaschen
nicht nachzukommen, dann bist Du rein menschlich nichts wert.

Ja, es gibt gerade eine gewisse Überinformation. Aber ich will lieber zuviel darüber wissen, wenn ich weiß dass Nachbarn, Verwandte oder Freunde zu den gefährdeten Kreisen gehören.

Statt jetzt großflächig
Read 4 tweets
15 Nov 19
Ich weiß nicht wer auf diesen Gedanken gekommen ist und warum auch immer, aber: Bei #KeinerBleibtAllein gibt es nur eine einzige Form von Diskriminierung und zwar wollen wir keine Nazis im Projekt haben. Wir können aktuell nichts dafür, dass in Publikationen und auch ich bisher
nur weiße Teilnehmer aufgetaucht sind.

In dem Projekt hatten wir bislang verschiedenste Geschlechter, Nationalitäten und soziale Hintergründe. Und wir wollen das gerne fördern. Bislang haben sich aber von den 26.000 Teilnehmern aus dem vergangenen Jahr nur ein Promillewert an
Menschen überhaupt bereit erklärt über das Thema Einsamkeit und die Treffen öffentlich zu reden. Dass diese alle weiß waren, ist nur Zufall und hat keinesfalls mit einer expliziten oder impliziten Diskriminierung anderer Ethnien, Religionen oder Erkrankungen zu tun.
Read 6 tweets
25 Mar 19
Umso mehr ich mich mit dieser Einsamkeits-/Alleinsein Thematik beschäftige, desto eher wird klar, dass dieses Problem erstmal ein gesamtgesellschaftliches ist welches sich aber ohne intrinsische Motivationen nicht lösen lässt. Extrinsisch kann höchstens assistiert werden.
Ein Projekt wie #KeinerBleibtAllein kann nicht funktionieren, wenn durch simple Vermittlung und der Hoffnung möglichst wenige Ausschlusskriterien mitzubringen Matches gebildet werden. In den letzten drei Monaten konnten obwohl rund 400 Teilnehmer im Pool waren, kein einziges
Match gebildet werden. Die Gründe hierfür waren vielfältig. Prominent war dabei die beidseitige Konkretisierung von Präferenzen (bspw. Alter/Geschlecht/Beruf). Diese Form von Vorfilterung die hier implizit erwartet wurde, kann von einer ehrenamtlichen Plattform nicht geleistet
Read 11 tweets

Did Thread Reader help you today?

Support us! We are indie developers!


This site is made by just two indie developers on a laptop doing marketing, support and development! Read more about the story.

Become a Premium Member ($3/month or $30/year) and get exclusive features!

Become Premium

Too expensive? Make a small donation by buying us coffee ($5) or help with server cost ($10)

Donate via Paypal Become our Patreon

Thank you for your support!

Follow Us on Twitter!

:(