#Klimaschutzgovernance: Aktuell werden die #Sektorenziele im Bundes-Klimaschutzgesetz kritisieren („zu eng“, „zu unflexibel“) und Änderungen am KSG gefordert. Die Kritik setzt aber am falschen Punkt an. Eine Thread zur Einordnung aus rechtswissenschaftlicher Perspektive. 1/
Trotz sektorspezifischer Jahresemissionsmengen ist das KSG gar nicht so unflexibel wie behauptet: Erstens können die #Sektorenziele von der Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundestages i.R.d. Gesamtemissionsbudgets angepasst werden, § 4 Abs. 5 S. 1. 2/
Zweitens sieht das KSG die geforderte Flexibilität ausdrücklich auch im Fall einer Zielverfehlung vor. § 8 Abs. 2 verpflichtet dazu „im betroffenen Sektor oder in anderen Sektoren oder (…) sektorübergreifende(n) Maßnahmen“ zu beschließen. 3/
Die tatsächlichen Probleme liegen an anderer Stelle und betreffen sowohl das Gesetzesdesign als auch die Anwendung des KSG durch die Bundesregierung als Reaktion auf die Verfehlung der Jahresemissionswerte im Sektor Gebäude 2020. 4/
Das KSG weist auf ein Problem erst dann hin, wenn es eingetreten ist. Ein frühzeitiges Gegensteuern wird nicht strukturell unterstützt oder gar eingefordert. Handlungspflichten entstehen nur nach Verfehlung der Emissionsziele. Das ist zu spät. 5/
Es braucht ein Frühwarnsystem, das fehlende Fortschritte bereits dann aufdeckt, bevor die Ziele verfehlt worden sind, um so ein effektives und langfristig orientiertes Gegensteuern zu ermöglichen. Dazu empfehle ich den heutigen @DIW_Berlin Wochenbericht zu Frühindikatoren. 6/
Problematisch ist auch die Fokussierung auf Sofortprogramme. Diese bevorzugen kurzfristig wirksame Maßnahmen; hier stimme ich der Kritik ausdrücklich zu. Bei strukturellen Problemen müsste es (auch) eine Verpflichtung im KSG zu strukturellen Änderungen der Instrumente geben. 7/
Zudem braucht es ein anderes politisches Handeln. Der erste Anwendungsfall des KSG am Beispiel des Sektorenziels Gebäude hat gezeigt, dass a) das Gesetz nicht wirklich ernst genommen worden ist und b) seine Spielräume nicht ausgeschöpft wurden. 8/
Das Sofortprogramm wurde nicht nach den gesetzlichen Vorgaben vorgelegt, der Expertenrat an der falschen Stelle beteiligt (und anschließend übergangen). Die Bundesregierung hat ihrer Möglichkeiten nicht öffentlich erkennbar diskutiert. 9/
Die sektorenspezifischen Jahresemissionswerte sind ein, wenn nicht der entscheidende Baustein für den Wirkmechanismus des KSG. Wollte man diese abschaffen, müsste das Design insgesamt geändert werden und durch einen anderen Wirkmechanismus ersetzt werden. 10/
Das KSG und seine Ziele sind atypisches Recht. Es binden die Bundesregierung, aber weder Bürger, Unternehmen oder den Gesetzgeber. Seine zentrale Aufgabe ist es, einen prozeduralen Rahmen zu schaffen, um durch Öffentlichkeit fehlenden Klimaschutzfortschritten entgegenzuwirken.11/
Durch Transparenz und Messbarkeit erhöht sich der politische Preis für unzureichende Maßnahmen – Naming, Blaming und Shaming. Dadurch erhält der Klimaschutz mehr Gewicht. Die Zielerreichung wird umso wahrscheinlicher, je klarer Verantwortlichkeiten und Zusammenhänge sind. 12/
Würde statt sektoraler Jahresemissionsmengen nur ein allgemeines Ziel für Deutschland oder ein Beitrag zum europäischen Ziel festgeschrieben, ließen sich Wirkungszusammenhänge und Defizite der Instrumente noch weniger transparent für die Öffentlichkeit nachvollziehen. 13/
Der Mechanismus der politischen Disziplinierung durch Öffentlichkeit würde unwirksam(er). Es bräuchte ein anderes Design für das Koordinierungswerkzeug Klimaschutzgesetz (was durchaus denkbar ist), wenn dieses die Erreichung von Klimaschutzzielen wirksam unterstützen soll. 14/14

• • •

Missing some Tweet in this thread? You can try to force a refresh
 

Keep Current with Thorsten Müller

Thorsten Müller Profile picture

Stay in touch and get notified when new unrolls are available from this author!

Read all threads

This Thread may be Removed Anytime!

PDF

Twitter may remove this content at anytime! Save it as PDF for later use!

Try unrolling a thread yourself!

how to unroll video
  1. Follow @ThreadReaderApp to mention us!

  2. From a Twitter thread mention us with a keyword "unroll"
@threadreaderapp unroll

Practice here first or read more on our help page!

More from @TMueller_Wue

2 May
Der Beschluss des @BVerfG zum #Klimaschutzgesetz ist auch ein Paradebeispiel für gelungene #Gewaltenteilung und ein Meisterwerk richterlicher Selbstbeschränkung. Wie es weitergeht, hängt jetzt von der Reaktion des Gesetzgebers ab: Versuch einer rechtspolitischen Einordnung👇.
Das BVerfG hatte weitreichende Anträge zur verfassungsrechtlichen Bewertung des deutschen Klimaschutzrechts vorliegen. Solche Verfahren bieten ein großes Konfliktpotenzial, weil die Judikative Gefahr läuft, zu weit in den Bereich der Legislative vorzudringen.
Das BVerfG als „Hüter des Grundgesetzes“ hat die Aufgabe, die verfassungsrechtliche Ordnung einschließlich der Grundrechte und des Umweltstaatsprinzips zu schützen. Dazu muss es den Gesetzgeber begrenzen, wenn und soweit dieser die verfassungsrechtlichen Grenzen überschreitet.
Read 18 tweets
29 Apr
Die Entscheidung kann auch auf den zweiten Blick nicht unterschätzt werden und zwar in mehreren Dimensionen. Dies gilt für den Klimaschutz, aber noch mehr für das Umweltstaatprinzip aus Art. 20a GG allgemein und die Rechte zukünftiger Generationen auf eine lebenswerte Umwelt.
Bisher war die Rolle des Art. 20a GG in der Rechtsprechung des BVerfG nicht in dieser Art konkretisiert worden. Dies Lücke schließt das BVerfG heute und wertet das Umweltstaatsprinzip deutlich auf. Verstöße gegen Art. 20a GG können Grundrechtsverletzungen darstellen.
Damit wird Art. 20a GG justiziabel, auch wenn das BVerfG zu Recht feststellt, dass Art. 20a GG "keinen unbedingten Vorrang" gegenüber anderen Verfassungsrechtsgütern zukommt. Es bleibt zuvorderst eine politische Aufgabe, einen Ausgleich zu finden.
Read 10 tweets
29 Jan 20
Heute Morgen war ich neugierig, was hinter dieser Meldung zu den geplanten 1.000-Meter-Abständen für Windenergieanlagen steckt. Habe dann von verschiedenen Seiten das Dokument erhalten und durchgesehen. Hier eine erste rechtliche Einordnung. 1/1
Die Wirkung ist wie beim Referentenentwurf des Kohleausstiegsgesetz vom 11.11.2019: Innerhalb eines Abstandes von 1.000 Meter zu bestimmten Gebieten können keine Windenergieanlagen genehmigt werden ("Ein öffentlicher Belang … steht entgegen"). 2/2
Neu sind die Anknüpfungspunkte für die Abstände: Waren dies zunächst 3 (Reine & Allg. Wohngebiete und Dorfgebiete), sind es nun min. 7 Gebiete. § 35a I 1 BauGB-E (neu) erfasst alle Gebiete, in denen bauplanungsrechtlich "Wohngebäude nicht nur ausnahmsweise zulässig sind". 3/3
Read 12 tweets
20 Oct 19
Der Entwurf zum nationalen Emissionshandel für den Wärme- und Verkehrsektor (nEHS) ist da. Das neue Gesetz soll Gesetz über ein nationales Emissionshandelssystem für Brennstoffemissionen (BEHG) heißen und soll 23 Paragrafen umfassen (inkl. eines Platzhalters für § 10). 1/22
Seit September wird die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des von der Bundesregierung zunächst in den Eckpunkten und diese Woche im Kabinett beschlossenen Vorgehen diskutiert. Hier eine Zusammenfassung der Entwicklungen und eine verfassungsrechtliche Einordnung. 2/22
Schon im Vorfeld des Klimakabinetts wurde die Frage aufgeworfen, ob ein „Emissionshandel“ mit Fixpreis verfassungsrechtlich möglich sei. Stefan Klinski von und Friedhelm Keimeyer vom haben Zweifel angemeldet (Hervorhebungen hier und im Weiteren nicht im Original). 3/22
Read 22 tweets

Did Thread Reader help you today?

Support us! We are indie developers!


This site is made by just two indie developers on a laptop doing marketing, support and development! Read more about the story.

Become a Premium Member ($3/month or $30/year) and get exclusive features!

Become Premium

Too expensive? Make a small donation by buying us coffee ($5) or help with server cost ($10)

Donate via Paypal Become our Patreon

Thank you for your support!

Follow Us on Twitter!

:(