Seit einigen Tagen kursiert auf Twitter eine Studie, die zeigen soll, dass eine #COVID19 Infektion zu schnellerer #Alterung führt.
Hier ein Versuch der Einordnung in verständlicher Sprache ⬇️⬇️⬇️
(die KollegInnen mögen mir Vereinfachungen zum besseren Verständnis verzeihen).
1/
Es handelt sich um eine Studie (ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/P…; bereits vom Juni 2021!), in der die AutorInnen folgendes gemacht haben:
1️⃣ Aus 117 Covid-PatientInnen und 144 Nicht-Covid Probanden (das ist für eine medizinische Studie sehr wenig!) Blut entnommen und die Immunzellen 2/
isoliert (Rote Blutkörperchen halten keine relevante Erbinformation mehr, daher macht es keinen Sinn, diese für die Studie zu benutzen und so wurden nur die Immunzellen analysiert). Im Blut befinden sich vor allem „fertige“ Immunzellen, während die Quellen von Immunzellen 3/
hauptsächlich (nicht vollständig, weil es viele Zwischenstufen auf dem Weg zu reifen, voll funtkionsfähigen Immunzellen gibt) im Knochenmark & Lymphgeweben liegen. Das ist in sofern relevant, als dass das Blut, dass die AutorInnen untersucht haben
4/
Zellen sind, die an anderer Stelle nachgebildet werden können.
Die Autoren haben keine anderen Zellen, z.B. Nerven- oder Hautzellen, oder eben Blutstammzellen (aus denen Immunzellen gebildet werden) untersucht und können daher nicht auf den ganzen Organismus schließen.
5/
2️⃣ Aus diesen Zellen wurde DNA, also die eigentliche Erbinformation isoliert und RNA, eine Zwischenstufe auf dem Weg zum Eiweiß. DNA besteht aus vier Basen (A, C, G und T) die in allen möglichen Kombinationen vorkommen und immer eine Dreierkombination ergibt ein sogenanntes 6/
Codon, also eine genaue Information, die zu einer ganz bestimmenden Aminosäure, das sind die Bausteine von Eiweißen, gehört, also diese Reihenfolge „codiert“. Durch die Abfolge hunderter und tausender dieser Basen entsteht ein DNA Abschnitt für ein Gen, das genau beschreibt 7/
in welcher Reihenfolge welche Bausteine zusammengesetzt werden sollen. Daher ergeben sich eine große Vielzahl möglicher Eiweiße mit ganz unterschiedlicher Funktion, zB für die Struktur von Haaren, oder welche die chemische Reaktionen in der Zelle auslösen oder Signale erkennen 8/
und weiterleiten können. Da die DNA den Zellkern nicht verlassen kann, die Eiweiße aber an einer anderen Stelle der Zelle gebildet werden, wird eine kurzlebige Kopie der Information angefertigt, das ist die sogenannte mRNA. Diese ist chemisch leicht anders aufgebaut, enthält 9/
aber genau den entsprechenden Dreiercode.
3️⃣ Die mRNA zweier Gene, die für die Infektion mit Sars-Cov2 und Mers-CoV relevant sind, wurde zwischen Kontrollenpatienten und Post-Covidpatientinnen verglichen. Eine erhöhte relative mRNA Menge kann ein Hinweis darauf sein, 10/
dass ein Gen vermehrt abgelesen wird. Sie fanden, dass post-Covid das Covid-assoziierte ACE2 Gen schwächer abgelesen wurde, während die Kontrolle gleich blieb. Dieses kann diverse Gründe haben, zB. kann das Gen ausgeschaltet werden, das passiert bei Oberflächenrezeptoren 11/
häufiger. Oder die Zusammensetzung der Immunzellen der Post-Covid PatientInnen war anders als die der Kontrollgruppe und hatte einen höheren Anteil an Zellen mit geringem ACE2 Level, möglicherweise sogar, weil Zellen mit höherem ACE2 zuvor durch die Infektion zerstört wurden. 12/
Hier nochmal der Hinweis, dass Immunzellen nachgebildet werden und die Autoren NICHT untersucht haben, ob die Gewebe, die Blutzellen nachbilden, überhaupt Veränderungen zeigen.
Die Relevanz dieses Ergebnisses ist somit unklar.
4️⃣ An der DNA wurden zwei Untersuchungen 13/
vorgenommen. Zum einen untersuchte man die Länge der Telomere. Telomere sind Regionen an den Enden der Chromosomen. Dort liegen keine Gene mehr und die Teleomere dienen unter anderem dem Schutz der weiter innen liegenden Erbinformation. Wenn Zellen sich teilen müssen sich 14/
nämlich auch die Chromosomen verdoppeln und bei jeder Verdopplung geht an den Enden ein kleines Stück verloren (warum das so ist, würde hier zu weit führen). Es gibt auch Mechanismen, die Telomere wieder verlängern können (das nutzen zB Krebszellen für ihre massige 15/
Teilungsrate), aber grundsätzlich werden Telomere mit zunehmendem Alter in sich teilenden Zellen kürzer. Nun haben die Autoren in den Post-Covid Immunzellen kürzere Telomere gefunden als bei der Kontrollgruppe.
Dafür kann es verschiedene Erklärungen geben: 1) die Telomere 16/
waren möglicherweise schon vor der Infektion kürzer. Die Post-Covid Gruppe hatte nämlich einen bemerkenswerten hohen Anteil schwer erkrankter Covidpatienten (>50% stationär, 35% beatmet!). Eine frühere Studie hatte gezeigt, dass kürzere Telomere einen schwereren Covidverlauf 17/
zur Folge haben können (ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/P…). Allerdings haben wir hier ein Henne-Ei Problem: bei keiner der Studien wissen wir ob die Telomerverkürzung vor der Infektion vorlag oder durch die Infektion entstanden ist. 2) Eine weitere mögliche Erklärung ist, dass sich im 18/
Blut ein hoher Anteil bestimmter Immunzellen befanden, die sich bereits wegen der Infektion massiv oft geteilt haben, weil sie die richtigen Antikörper gegen das Virus hatten. Es ist nämlich so, dass sich v.a. jene Immunzellen stark teilen, die zum Erreger passen. Das heißt, 19/
dass genau die, die gebraucht wurden in großer Menge noch vorhanden sind, aber auch einen ordentlichen Teilungsmarathon hinter sich haben & somit auch ihre Telomere kürzer sind als die von Patienten die gerade keine Infektion durchgemacht haben.
5️⃣ Außerdem wurde an der DNA 20/
eine Untersuchung der Epigenetik vorgenommen. Hier ⬇️ eine Erläuterung dazu.
Kurz gefasst können Gene (vorübergehend oder dauerhaft) still gelegt werden, wenn sie nicht benötigt werden. ZB ist das bei Genen der Fall, die wir nur während der Embryonalphase brauchen. Dazu 21/
werden u.a. an die DNA kleine Bausteine geheftet, die dafür sorgen, dass bestimmte Gene nicht mehr abgelesen werden. Vier dieser Regionen, die durch nebeneinanderliegene Cs & Gs gekennzeichnet sind und daher CpG Inseln genannt werden, haben die Autoren auf eine Veränderung 22/
in diesen epigenetischen Bausteinen untersucht. Diese vier Gene sind ausgewählt wurden, weil eine andere Studie diese schon mal mit Alter assoziiert wurden. Hier zeigte sich eine Veränderung, die mit einem etwas erhöhten zellulären Alter assoziiert ist und dessen Differenz 23/
zum echten Alter (gemessenes Alter-echtes Alter) etwa 3-Fach höher war als in der Kontrollgruppe. Was bedeutet das nun?
Neben technischen Schwächen der Studie (auf die hier einzugehen den Rahmen sprengen würde), bedeutet es vor allem, dass die Immunzellen (wir erinnern uns, 24/
nur diese wurden analysiert!) der zT. schwer erkrankten Post-Covid Patienten (wir erinnern uns: 35% Beatmete!) eine für die Zellen harte Zeit hinter sich hatten. Stress (& eine Infektion, Dauerstoffmangel, invasive Beatmung usw. ist purer Stress!) führt zu Alterungsprozessen 25/
und dabei werden in Zellen ganz verschiedene Prozesse ausgelöst. Ein Teil dieser Prozesse ist epigenetisch reguliert und es ist daher gar nicht so überraschend, dass in einem Organismus, der eine heftige Infektion hinter sich hat, die Zellen, die an vorderster Front gekämpft 26/
haben, Alterungsprozesse aufweisen. Wir erinnern uns: die allermeisten Immunzellen können nachproduziert und durch junge Zellen ersetzt werden.
Interessant wäre in diesem Kontext, ob das Blut von PatientInnen nach anderen Infektionen nicht ebenfalls diese Effekte zeigt, 27/
oder ob das wirklich ein Covid-spezifischer Effekt ist.
Dazu habe ich nicht weiter recherchiert, um den Rahmen nicht zu sprengen. Es gibt sicher noch viele Aspekte, die man im Kontext der Studie diskutieren kann, ich habe versucht hier beim roten Faden zu bleiben und 28/
eher die Biologie hinter der Studie zu erklären.
Fazit: die beobachteten Effekte sind nicht überraschend, wenn man beachtet, dass eine schwere Covid-Infektion zellulären Stress bedeutet. Man muss aber beachten, dass keine Aussagen über den gesamten Körper getroffen werden 29/
können, sondern nur über die Blutzellen, die ohnehin ersetzt werden. Relevant wäre die Frage, ob auch die Blutstamm- und Vorläuferzellen, die für die Nachbildung relevant sind, betroffen sind oder weitere Zelltypen, wie zB. die Zellen der Blutgefässwände oder Nervenzellen. 30/
Ich denke die Arbeit ist interessant aus einem wissenschaftlichen Kontext, die klinische Relevanz (zB. für Prognose oder Therapie ist fraglich). Ganz bestimmt sollte sie nicht verwendet werden, um Menschen Angst zu machen und damit politisch zu beeinflussen.
31/
Ich hoffe, ich habe ein wenig dazu beigetragen, die Daten besser zu verstehen. Ich habe diesen Thread nach bestem Wissen und Gewissen angefertigt. Sollte jemand einen Fehler finden, gerne korrigieren, Rechtschreibfehler dürft ihr behalten ;)
32/32 Ende
Nachtrag: es gibt bereits eine neuere Studie, die die Ergebnisse der hier diskutierten widerlegt.
Falls jemand dazu was schreibt, verlinke ich das noch hier drunter.
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Ich denke, mit mehr 2G und einer höheren Zielimpfquote kommen wir nicht weiter, wenn das Ziel ist, die tatsächlichen Fallzahlen zu senken. Was ich für ein mittlerweile recht aussageloses Ziel halte, da die Verteilung der Infektionen auf bestimmte Bevölkerungsgruppen viel
relevanter sind als die reinen Zahlen. Die Infektionen müssen bei denen verhindert werden, die nicht gut von der Impfung profitieren.
Die Impfquote per Gießkanne erhöhen zu wollen (und damit jetzt vor allem die Jugend in die Pflicht zu nehmen, anstatt nochmal gezielt Ältere
anzusprechen), macht angesichts der Tatsache, dass immer mehr dafür spricht, dass Herdenimmunität mit COVID-19 nicht möglich sein wird, nur begrenzt Sinn um schwere Verläufe zu verhindern.
In Kombination mit der mE. Fehleinschätzung, 2G verhindere Infektionen, eine brisante
Nein, Herr Lauterbach, das steht da nicht.
In dem Paper steht, dass einige CpG Dinukleotide, (das heißt, die DNA Basen C und G nebeneinander, die in der Regel in regulierenden Nicht-Gen Regionen der DNA vorkommen und über Anknüpfung von bestimmen Molekülresten zB das Ablesen von
Genen beeinflussen können) die irgendein Algorithmus mal mit biologischem Alter in der Verbindung gebracht hat, nach Covid Infektion verändert sind. Das könnte zB heissen, dass die Infektion den Körper derartig stresst (die Fälle haben eine hohe Quote sehr schwerer Fälle, zB 35%
beatmet), dass man nach der Infektion etwas stärker gealtert ist als man das sonst getan hätte (etwa im Verhältnis 1:3 wobei die absolute Quantifizierung so artifiziell berechnet ist und so große Confidenzintervalle hat, dass ich auf die absoluten Zahlen wenig geben würde).
Vor drei Jahren an diesem Tag bin ich mit einer Freundin durch alte Beduinendörfer im Hohen Atlas gereist. Dabei sind Bilder wie diese ⬇️ entstanden. Mir fehlt das Reisen. Ich hoffe dass wir alle sehr bald wieder die Farben dieser Erde entdecken können…
Covid hatte uns übrigens in St Petersburg eiskalt erwischt. Wir hatten lange überlegt, ob wir die Reise Anfang März 2020 antreten sollten oder nicht. Nach Rücksprache mit dem Auswärtigen Amt haben wir uns getraut, aber früher abgebrochen, als alle Flugrouten gecancelt wurden.
Nachdem wir dann einige Tage versuchten, aus Russland rauszukommen, Landweg über Finnland (Hauptsache Schengen!) war schon geplant, hat sich spontan ein Fenster eröffnet und wir haben einen Flug über Warschau (inkl. Militärkontrolle) per Kreditkarte in einem offenen russischen
Beachte: wenn du dich auf Corona testen lässt, zB an deiner Uni im Thüringischen Jena, dann steckst du nur an der Uni niemanden an. Wenn du in deiner Mittagspause z.B. ein Café in der nahegelegenen Wagnergasse aufsuchst, dann brauchst du da einen Extratest, der Unitest verhindert
Infektionen erst wieder nach Rückkehr in den Hörsaal.
Alter Landgraf! Bei so viel Dialektik in den #COVID19#Massnahmen dreht sich selbst der in Jena habilitierte Hegel im Grab um. Ernsthaft?!
#BiBesch: Screenshot aus Zeitungsartikel (Merkur): „Wer sich als Studierender ab sofort kostenfrei bei einer der Thüringer Hochschulen auf Corona testen lässt, kann das Testzertifikat nur im Hochschulbereich nutzen. Die Dokumente könnten von Ungeimpften nicht als Testnachweis
Na huch, da habe ich die Rotknödel-Lauterbach-Fan-Bubble aber gestern wohl sehr geärgert.
Wenn man darauf hin weißt, dass das Zitieren von Studien mit schlechtem Design (ohne Kontrollgruppe) politisch gefährlich & (ohne Hinweis darauf) wissenschaftlich fragwürdig sind, dann
kommen die üblichen Angriffe. Damit disqualifiziert sich die Bubble mal wieder als das was sie ist: ein Gruppe marodierender MöchtegernmeinungsmacherInnen, denen Wissenschaftlichkeit schlimmstenfalls im Weg ist, wenn man dafür eine Korrektur von schön schrecklichen
Erkrankungszahlen in Kauf nehmen muss.
Ich habe den Tweet daher für Kommentare jetzt gesperrt. Für sachliche Diskussion gerne DM, dann folge ich zurück und Kommentierung ist möglich.
Aber ich möchte ich hier 200x erklären, dass es nicht darum geht ob und wie gut Long Covid
Gerade durch das Sondierungpapier der #Ampel (cms.gruene.de/uploads/docume…) gegangen.
Viele gute Sachen drin. Herausragend sind hier progressive gesellschaftliche Perspektiven für moderne Familienkonstellationen, Zuwanderung und Antidiskriminierung repräsentiert.
Im Bereich Transferleistung und Gesundheitspolitik ist das Papier aus meiner Sicht zu wenig
ambitioniert.
Fallpauschalen nur zu reformieren dürfte ein kompliziertes System nicht verbessern. Harz4 umzubenennen aber Mitwirkungspflichten beizubehalten könnte Probleme nur verlagern.
Kindergrundsicherung ist ein. Guter Anfang.
Interessant ist, was bisher nicht im Papier steht, zB. die Frage nach einer Erhöhung der Vermögens- oder Erbschaftssteuer. Die Vorschläge zur Rentenversicherung finde ich interessant, kann sie aber nicht fundiert beurteilen.