Wieder einen Artikel gesehen, der ohne Einordnung über die fragwürdige Studie berichtet, die Aussagen zu Long COVID auf Nachweisbarkeit von Antikörpern stützte: deshalb ein paar (viele, ups) Worte ganz konkret zur veränderten Antikörperantwort bei #LongCovid bzw. #PostCovid 🧵
Vorab: einen solchen Thread kann man auch über weitere immunologische Unterschiede bei Betroffenen oder über neurologische (⬇️) oder zig andere Befunde. Um aber nicht in purer Informationsflut zu enden, hier Beispiele (natürlich unvollständig) spezifisch zum Antikörper-Aspekt: 1/
Alle sprechen pandemiebedingt über Antikörper, aber wiederholen wir kurz, was das überhaupt ist: Antikörper = „Immunglobuline“ (Ig), Proteine aus verschiedenen Klassen. So ist zB Klasse IgA auf den Schleimhäuten die (kurzlebige) vorderste Front (wie Türsteher an der Pforte). 2/
Früh in einer Infektion gebildete (und auch schnell abnehmende) Antikörper sind IgM, die dann vom Typ IgG abgelöst wird, die auch langfristig bleiben. Ihr Zweck: Antigen (zB ein Bruchstück des viralen Spike-Proteins) erkennen, binden und weitere Immunreaktionen in Gang setzen. 3/
Man kann sich die Antikörperfunktion vorstellen wie einen Bodyguard, der mit den Händen einen Einbrecher vor der Haustür festhält und gleichzeitig mit dem Fuß einen Notruf absetzt, die Verhaftung initiiert und Verstärkung ruft, letzteres ist die „Effektorfunktion“. 4/
Es gibt Bodyguards, die halten Einbrecher zwar fest, sind aber nicht stark genug und werden an ihm dranhängend mitgeschleift. Verstärkung rufen sie trotzdem. Die, die ihn so fest und stark festhalten, dass er es durch keine Tür mehr schafft, sind neutralisierende Antikörper. 5/
Diese Bodyguards möchte man auch am liebsten schon engagiert haben, bevor man das erste mal überfallen wird, statt erst nachdem man schon einen Wohnungseinbruch mitmachen musste und verhindern will, dass es wieder passiert. Deshalb möchte man geimpft sein, vor Viruskontakt! 6/
Aber nun zu ein paar Studien von Antikörpern bei Long bzw. Post-COVID:
Bsp 1 - diese Studie zeigt beispielsweise eine Assoziation gesteigerter Titer von SARS-CoV-2 Antikörpern und dem Post-COVID-Syndrom. 7/
thelancet.com/journals/lanep…
Bsp 2: eine Metaanalyse, die versch. Aspekte studierte, uA Antikörperausstattung bei Post-COVID. Sie finden eine hohe Variabilität zw. individuellen Betroffenen. Die meisten (98%) sind seropositiv. Aber eben auch nicht 100% - es gibt „Non-Responder“ 8/
pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34509649/
Bsp 3: Diese Studie kommt gar auf ein anderes Extrem: eine enorme Mehrheit an seronegativen Betroffenen (keine Nachweisbarkeit von Antikörpern), aber mit nachweisbarer zellulärer Immunantwort auf verschiedenen Ebenen. 9/
medrxiv.org/content/10.110…
Bsp 4: Diese Studie findet ebenso eine Assoziation von Long COVID mit schwacher Antikörperantwort
ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/P…

Nicht zuletzt, Bsp 5: selbst innerhalb der Gruppe der Betroffenen zeigen sich sichtbare Unterschiede. Hier wird beobachtet, dass gerade diejenigen, 10/
die besonders schwer von Fatigue und Gedächtnisproblemen betroffen sind, weniger Antikörper aufweisen. Ignoriert man also die Patient*innen mit schwachen Antikörperantworten, könnte man Gefahr laufen, sogar die am schwersten Betroffenen zu übersehen. 11/
mdpi.com/2077-0383/10/1…
Dass Studien über verstärkte UND reduzierte (bis gänzlich fehlende) Antikörper berichten, ist nicht als Widerspruch zu interpretieren. Es unterstreicht die heterogene Entstehung der Erkrankung, inklusive der Parameter/Marker, die sie definieren sollen. 12/
nature.com/articles/s4159…
Ich habe inzwischen selbst Antikörper-Eckdaten von ~300 Post-COVID Patient*innen gesehen, bei einer Teilmenge davon im Detail, zusätzlich im Vergleich zu Genesenen ohne Post-COVID. Man sieht, dass die Antikörperausstattung verändert ist. Effekt oder Ursache? Beides möglich. 13/
Ich berichte hier gezielt nur über die virusspezifischen Antikörper, vom Feld d. autoreaktiven Antikörper gar nicht erst angefangen. Ein Bsp: Autoantikörper gegen G-Protein gekoppelte Rezeptoren. Eine riesige (die größte) Familie an Schaltstellen für zelluläre Signalwege. Sie 14/
wurden bereits im Long COVID Kontext beschrieben und zeigen wieder einmal die Parallelen zu anderen chronischen Erkrankungen wie #MECFS oder #POTS. Der Körper wird von seinen eigenen Arbeitern angegriffen, siehe ⬇️15/

sciencedirect.com/science/articl… (LC)

ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/P… (POTS)
ABER: zu jeder Autoantikörper-Studie bei Long COVID ➡️ Kommentare, das müsse ja auch für Impfung gelten. Kurze Antw.: bei >9 Milliarden Impfdosen wäre ein Ausmaß wie durch COVID aufgefallen. Präsenz des Spike-Proteins treibt nicht im Alleingang eine copy/paste Immunreaktion! 16/
Was ich unterstreichen will: wir können nicht schwarz-weiß fotografieren und uns dann wundern, dass wir grundlegende Farbverläufe verpassen. Die Antikörperantwort ist hochvariabel. Ein Teil der Betroffenen wird einfach übersehen, wenn wir die Parameter nicht neu definieren. 17/
Hier Infos zu der erwähnten Studie, die eigentlich nur dafür gut ist, um zu zeigen, wie essentiell die RICHTIGE Charakterisierung von Long COVID Betroffenen ist, damit Diagnose, Forschung (und langfristig akkurate Behandlung) funktionieren kann. 18/
Und damit (nicht ganz so) liebe Grüße an die „Long COVID ist nicht von einer allg. Belastung durch die Pandemie abzugrenzen“-Fraktion. Ihr übergeht eine enorme Anzahl Daten, die klar zeigen, dass ihr euch entweder aufrichtig irrt oder bewusst ignoriert. 19/19
Ich zitiere:
Wer bis hier hin gelesen hat und gar nicht so sicher ist, was es mit #LongCovid bzw. #PostCovid auf sich hat: dafür habe ich neulich auch einen kleinen Überblick geschrieben ⬇️

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15 Jan
Da es gerade wieder oft um PCR-Testungen geht: wenn sich die „Test-Kapazitäten“ der „Volllast“ näheren oder „überlastet sind“, stehen dort übrigens ebenso überlastete Menschen dahinter wie überall sonst. Das klingt immer als wären schlicht die Plätze in Maschinen ausgereizt.
Mir fiel schon öfter auf, dass Menschen gar keine konkrete Vorstellung haben, was in einer virologischen Diagnostik z.B. an einem Uniklinikum läuft. Klar, vieles läuft automatisiert (ausgebaut durch Pandemie), aber natürlich arbeiten Menschen für diese Testungen!
Die Proben voller Nasenschleim, Gurgelwasser mit Brezelresten und jedweder vorstellbaren Körperflüssigkeit landen erstmal in menschlichen Händen.
Es zerschnippeln sich z.B. auch Hodenbiopsien von an COVID-Verstorbenen nicht von selbst, um auf Virus getestet zu werden können.
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13 Jan
Dass #falsebalance die emotionale Haltung mitlenkt, merke ich an mir selbst als Mini-Modellorganismus. Ich lese hier tolle Kommunikation mit riesiger Resonanz ➡️ Freude! Stolpere ich über EINEN Schwurbeltweet, werde ich frustriert. Und beide Gefühle nehmen gleichermaßen Raum ein.
Und das, obwohl ich mich in einer wissenschaftlichen Bubble befinde und diese rein quantitativ viel präsenter ist - anders als beim Problem des medialen False Balancing. Auch wenn ich mir darüber bewusst bin, bestimmt es meine Gefühlswelt zur Gesamtsituation ebenbürtig mit.
Ich kann das dann sicherlich eigenständig wieder in den richtigen Kontext setzen, aber wie mag das erst sein, wenn man sich mit der Existenz dieser Dynamik rational gar nicht auseinandersetzt oder sich ihrer eben nicht bewusst ist?
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12 Jan
Eines der wohl größten Missverständnisse. „Selten“ ruft bei vielen eine Assoziation zum Faktor Zeit hervor, bei „seltenen“ Nebenwirkungen von Impfungen ist jedoch der kritische Faktor nicht Zeit, sondern: Masse.
Beispiel: ich möchte prüfen, in wie vielen Wassermelonen, die „kernlos“ sein sollten, eben doch Kerne drin sind. Im Winter gibt es sie kaum zu kaufen - bis ich an genügend Wassermelonen rankomme, um eine aussagekräftige Anzahl an kernhaltigen Melonen zu finden, brauche ich ewig.
Im Sommer allerdings gibt es überall massig Wassermelonen zu kaufen. Ich habe die gleiche Anzahl an Wassermelonen in wenigen Tagen prüfen können, für die ich bei geringem Melonenaufkommen durch begrenztes Winter-Angebot bestimmt 10 komplette Winter gebraucht hätte.
Read 7 tweets
9 Jan
Was ist der Unterschied zwischen #LongCovid und dem Post-COVID-Syndrom? Wer sind die Betroffenen und wie viele sind es? Wieso sind Zahlen aus Prävalenzstudien mit Vorsicht zu genießen? Ein kleiner Überblick:
1/ Image
Ganz prinzipiell: Die akute Phase von COVID-19 kann bis zu 4 Wochen bestehen. Long COVID beschreibt anhaltende Symptome >4 Wochen, vom Post-COVID-Syndrom wird ab 12 Wochen gesprochen. "Post-COVID" vermittelt gut, dass NACH der Infektion ein chron. Erkrankungsbild entsteht, 2/ Image
während "Long" evtl suggeriert, die Erkrankung ziehe sich halt bisschen. Eine Viruspersistenz ist definitiv relevant, z.B. wurde in Darmbiopsien asymptom. Infizierter noch nach 4 Monaten virales Erbgut & Immunoreaktivität nachgewiesen. Nicht nur dort: 3/
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8 Jan
Bin nicht sicher, was ich mit diesem kleinen wissenschaftsaffinen Account jemals bezwecken kann. Sicher bin ich aber, dass über Wissenschaft zu sprechen nicht in der Mehrheit denen überlassen werden sollte, die sie leugnen. Also schreibe ich hier eben Zeug hin. Yeah Wissenschaft!
Auch bin ich der festen Überzeugung, dass Wissenschaft dadurch ein Gesicht gegeben werden kann, indem Menschen erzählen, was #Wissenschaftganzkonkret bedeutet. Wie läuft ein Experiment konkret ab, über dessen Ergebnis pandemiebedingt alle sprechen?
Read 4 tweets
7 Jan
Ich hielt kürzlich einen Vortrag zur Impfaufklärung. Seitdem erreichen mich wöchentlich Mails eines Zuhörers, mit Quellen abstruser Fake News und der Bitte um „wissenschaftliche Aufklärung“. Dieser Zuhörer ist promoviert, hochgebildet, aber fällt auf jede altbewährte Falle herein
Na klar nehme ich mir jedes Mal die Zeit zu erklären, weshalb es jeweils fahrlässige Fehlinformationen sind und woran das erkennbar ist. Zuletzt ein offener Brief gegen die Impfpflicht, mit (surprise) Homburg in der Autorenliste. Es ist immer das gleiche und es macht mich müde.
Dass solche Grafiken echt immer noch gezeigt werden, um die vermeintliche Gefahr der Impfung zu „beweisen“, ohne die eig. relevante Kurve der Neuinfektionen zu zeigen und damit auch noch durchzukommen! Wie zu behaupten, Sonnencreme führe zu Übersterblichkeit durch Sonnenbrand. Image
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