Thread by @F_I_Briest

Warum der #Ratten-Vergleich von #Boehmermann unpassend ist und Unverständnis weder auf mangelnden Intellekt noch auf Rechtslastigkeit zurück geführt werden sollte.

Ein Dissektion 🧵.

Zunächst: selbstverständlich nehmen konservative und rechte Kreise das Thema auf, es ist eine politische Steilvorlage für alle, die Rundfunkgebühren blöd finden und den ÖRR zu linkslastig. Damit muss man im Zweifel leben, damit kann eine Demokratie umgehen.

Ich würde mich aber

davor hüten, die Kritik hieran komplett zu delegitimieren. Nicht nur, weil es ein politisches Pulverfass weiter befeuert, sondern weil der Vergleich, im Gegensatz zur Umweltsau-Boomer-Kritik, auch einfach hinkt, auch wenn er auf den ersten Blick solide erscheint.

👉 Zunächst zum Wort selbst. Der grösste Kritikpunkt bei der Interpretation der Aussage besteht sicher darin, dass Rattenvergleiche historisch vorbelastet sind. Nun kann man sehr einfach feststellen dass die Aussage von Böhmermann nicht dehumanisierend gemeint ist, vor allem

angesichts der intendierten Botschaft. Rattenvergleiche werden jedoch im rechten Kreisen weiterhin benutzt um zu dehumanisieren und schlagen zurecht hohe Wellen (taz.de/Nazipoesie-in-…). Auch wenn Böhmermanns & neonazistische Rattenvergleiche also nicht zusammenhängen, ist der

gemeinsame Moderator die NS-Zeit, die sich ebenso bewusst auf die Pest bezieht. Die Zusammenhänge sind sowohl Böhmermann, als auch jenen bekannt, die sie immer noch aus unlauteren Zwecken nutzen. Und deshalb muss Böhmermann sich der Verwendung dieser Metapher bewusst sein.

Die Abwehr geschichtsrelativierender Rhethorik muss auch weiterhin eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe bleiben. Es reicht nicht, mit dem Finger auf Holocaustvergleiche bei den Querdenkern zu zeigen und dann selbst unkritisch belastete Phrasen zu verwenden. Deshalb spielt es

auch keine Rolle, ob es irgendwie anders gemeint was.

👉 Nun zum Inhalt, der ebenfalls hängt: hier trägt der Vergleich aus diversen Gründen nicht:

➡️ Menschen leben bewusst mit Kindern, Kinder sind keine Begleiterscheinung beengter oder unzureichend hygienischer Bedingungen.

➡️ Hygiene spielt ohnehin nur eine Frage beim Umgang mit dem eigentlich Wirt von Yersinia Pestis und das ist ein Floh. Ratten leben auch heute noch in großer Zahl eng am Menschen und sind sehr reinliche Tiere. Damit kommt Punkt 2 ins Spiel: Böhmermann will darauf hinaus, dass

Erwachsene durch fehlende Sicherheitsmaßnahmen zur Verhinderung von Ansteckungen unter Kindern eine Schuld trifft.
Aber auch dieser Vergleich hinkt, da nur Verbesserungen bei den Erwachsenen (Menschen) (Hygiene, Ernährungszustand entsprächen hier Impfungen, NPI) einen Effekt auf

die Ausbreitung hätten (was erstmal stimmig wäre), aber das Ziel ausnahmslos der Schutz der Menschen (Erwachsenen) wäre und jedwede Zahl an verendeten Ratten (Kindern) zur Erreichung des Ziels ok wären. Das kann

kann sicher keine Parallele sein, die Böhmermann intendiert hat.

➡️ Damit wären wir bei Punkt 3. Auch wenn die Parallele Kinder-Ratten sich quasi Rattenfängerähnlich aufdrängt (was vor den 1930/40er Jahren durchaus seiner Zeit geschuldet sein darf) - dürfte die Konsequenz aus

dem misslungenen Vergleich eben nicht sein, die Ratten in ihren Bauten (Schulen?) mit einer Sicherheitsoffensive (Pestizide gegen Flöhe / Impfungen & NPIs) zu adressieren, sondern Ratten werden schlichtweg durch Schädlingsbekämpfungsmassnahmen vernichtet (man beachte das Wort;

im Labor verwendet man das Wort Euthanasie, was sich von guter Tod ableitet und zeigt, dass Laborratten über den Hausratten stehen, weil sie einen Nutzen haben; auch im Labor verwende ich das Wort nicht, weil es ebenfalls vorbelastet ist und es Alternativen gibt). Auch dieser

Vergleich kann also weder die Sorge Böhmermanns um die Kinder ausdrücken, sondern andressiert, wenn man ihn ernst nimmt, einen klaren Fokus auf Erwachsene, deren Wohlbefinden, die Kinder im Weg stehen.

Außerdem schließt sich bei Schädlingsbekämpfungsmassnahmen wieder der

rhetorische Kreis zur NS Metaphorik, die in ihrer Boshaftigkeit einen Punkt getroffen hat, den Böhmermann sicher nicht treffen wollte.

Und aus diesen Gründen, nicht weil ich dumm oder populistisch oder rechts bin, sondern weil ich antifaschistisch denke und biologistische

Vergleiche (wie hier) oft in die Hose gehen, empfinde ich Böhmermanns Satire als unpassend.

Final wäre es sicher sinnvoll auch darüber nachzudenken, wie sinnvoll es ist in eines der größten Wespennester der Pandemie zu stoßen - denn die Elternschaft ist massiv gespalten und auf

allen Seiten sind die Ressourcen aufgebraucht, weil (und damit kann man zumindest die Intension des Beitrags anerkennen) Kinder und Familien in dieser Pandemie immer als letztes als politische Stakeholder mitgedacht werden.