Die Patient:innen sterben nicht, weil sie nicht essen, sondern sie essen nicht, weil sie sterben.
-Cicely Saunders

Ein eindrücklicher Satz, der einen unglaublich wichtigen Aspekt in der (Palliativ-)Medizin auf den Punkt bringt und Klarheit schaffen kann.

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Allerdings ist der angesprochene Gedanke nicht nur für med. Personal, sondern insbesondere für Laien oft sehr schwer nachvollziehbar. Deshalb erkläre ich hierzu ein paar wenige Aspekte & gebe einen kleinen Denkanstoß in einfachen Worten. Also, was genau steckt dahinter?

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Nahrungsaufnahme, also Essen & Trinken, ist das Natürlichste auf der Welt. Wir verbinden es nicht nur mit Genuss, Lebensqualität, Freude, Wohlstand, Energie, sondern auch mit purem Leben. Dementsprechend negativ fassen wir es natürlich auf, wenn der Eindruck entsteht,

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dass unsere Patient:innen nicht genug zu essen und zu trinken scheinen. Wir verbinden das dann rasch mit Leid durch Hunger & Durst. Schnell denken an Unwohlsein od. sogar Qual.
Vor allem in d. letzten Lebensphase ist jedoch zu beobachten, dass Menschen nicht mehr ausreichend
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oder gar nicht mehr essen und/oder trinken. Es scheint ein natürlicher Prozess zu sein, der jedoch aus genannten Gründen die negativen Gedanken der Qual, des Verhungerns sehr präsent machen und somit auch häufig Thema werden, wenn Patient:innen medizinisch begleitet werden.

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Die letzte Lebensphase -die „Sterbenszeit“- ist auch immer Lebenszeit“. In diesem Lebensabschnitt soll es Ziel sein, den Patient:innen nur Gutes tun. Ist doch klar. Lebensqualität soll im Vordergrund stehen. Die Betroffenen sollen sich wohl fühlen.

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Dieses Ziel steht im Kern d. (palliativ-)medizinischen Versorgung. Genau das ist gemeinsame Basis zwischen Patient:innen, Angehörigen & medizinischen Teams.
Natürlich denkt man dann zunächst aber auch unweigerlich an „genug zu essen & zu trinken“,

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sobald unsere Patient in der letzten Lebensphase nicht mehr ausreichend Nahrung zu sich zu nehmen scheinen. „Man kann ihn/sie doch nicht verhungern lassen“, ist ein häufiges Argument, d. in solchen Situationen im Raum steht & rasch kommen Gedanken zu künstlicher Ernährung

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(z.B. über eine Magensonde) & eine Flüssigkeitsgabe (z.B. Infusionstherapie) auf. Gleichzeitig stellt sich berechtigt d. Frage, ob die künstliche Ernährung für unsere Pat. in solchen Fällen wirklich gut ist, Lebensqualität fördert & eine Art Wohlbefinden sicherstellt.

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Viele Menschen sind dann erstaunt, dass medizinisches Fachpersonal eine solche Therapie als nicht indiziert sieht und der Grund hierfür ist -wenn man erst einmal dahinter gekommen ist- auch ganz naheliegend und einfach zu verstehen:

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Der Körper stellt in der letzten Lebensphase um. Er passt sich sozusagen an die letzte Lebensphase an & bereitet sich vor; richtet sich sozusagen a. d. Sterben ein. In dieser Phase kann es zu Veränderungen des Geschmacks(-sinns) kommen,

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die Lebensumstände haben sich oft sehr geändert, sodass alte Gewohnheiten nicht mehr zwingend ihre Gültigkeit haben od. erfüllt werden können, anstrengend od. auch beschwerlich sind. Stellenwert & Freude am Essen & Trinken können abnehmen od. stellen sich vollkommen ein.

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Viele Stoffwechselprozesse stellen sich in der letzten Lebensphase um. Es muss heute davon ausgegangen werden, dass der zunehmende Verzicht auf essen und trinken diese Umstellung unterstützt und damit auch der letzten Lebensphase dienlich ist.

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So kann beispielsweise die zunehmende Trübung des Bewusstseins, die mit der letzten Phase einhergeht und sicherlich auch durch reduzierte Nahrungsaufnahme begünstigt sein kann, auch schützend gegen Ängste sein.

Menschen können sich oft nicht vorstellen,

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dass eine geringere Nahrungsaufnahme od. sogar das Einstellen v. Essen & Trinken akzeptiert werden kann.
In solchen Gesprächen gebe ich manchmal folgenden Vergleich: „Stellen Sie sich vor, Sie sind richtig krank, haben einen schweren grippalen Infekt, hohes Fieber,

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vielleicht sogar Schmerzen. Sie liegen im Bett & jetzt kommt eine Krankenschwester & stellt Ihnen ein Steak und Pommes auf den Nachttisch“. Die meisten Menschen können diesen Vergleich gut nachvollziehen & sehen ein, dass Sie in einem solchen Moment sicherlich keine Lust &

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auch keinen Antrieb hätten, diese Nahrung zu sich zu nehmen. Wenn d. Krankheit überwunden ist, dann kommt auch gut & gern d. Hunger wieder. Aber wie gehen wir mit Pat. um, d. aufgrund ihrer Erkrankung i. d. letzten Lebensphase sind & deshalb nie wieder gesund werden können?

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Und wie kann man Leid empfinden, wenn man nicht isst, aber auch gar keinen Hunger hat?
Und so hat sich die Denkweise im Sinne unserer Pat. in der Vergangenheit Stück für Stück weiterentwickelt, sodass im Ergebnis ganz und gar nicht mehr das Therapieziel steht,

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Menschen in diesen Lebensphasen unter allen Umständen künstlich zu ernähren. Vielmehr steht -mehr als je zuvor- d. Lebensqualität im Vordergrund & der Wunsch, Menschen in der letzten Lebensphase, also der „Sterbenszeit, die noch immer auch Lebenszeit ist“,

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das Leben so angenehm wie mögl. zu gestalten.
Hierzu gehört d. Akzeptanz, d. sich d. Verhalten i. d. Nahrungsaufnahme individuell verändern kann. Es gilt, die genaue Ursache für d. geringere Nahrungsaufnahme zu finden, v.a. Beschwerden (z.B. Schmerz, Übelkeit & Erbrechen, usw.),
die das Essen und Trinken erschweren neben zusätzlich zu den Hauptbeschwerden zu lindern, solang dies von der betroffenen Person gewünscht ist. Gleichzeitig können Ängste angesprochen, besprochen und zum Teil auch erfolgreich behandelt werden.

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Linderung v. eventuellem Hunger- & Durstgefühl kann individuell behandelt werden & beinhaltet explizit nicht die künstliche Ernährung, sondern kann z.B. durch eine gute Mundpflege und andere Maßnahmen gut gewährleistet werden. Hierzu gehört auch die Förderung der Akzeptanz,

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dass alte Ess- & Trinkgewohnheiten nicht aufrechterhalten werden müssen, wenn das nicht im Sinne d. betroffenen Menschen ist. Gleichzeitig ist alles, was d. Betroffenen wünschen & sie einfordern, unbedingt erlaubt, denn sie stehen im Mittelpunkt in d. Begleitung & können oft
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noch gut beschreiben, was sie möchten & was nicht.

In meinem Blog schließe ich diese Ausführung mit einer kurzen Geschichte ab, die mir besonders in Erinnerung geblieben ist. Schaut gern mal rein, wenn Ihr den Text zuende lesen möchtet.

#einfachMedizin

sebastian-casu.com/patientinnen-s…

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Feb 20
Guten Morgen!

Heute -ausnahmsweise ganz speziell für die übermüdete @DocGlitz- ein “Zweiter Kaffee Am Morgen Mini Thread:
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Feb 19
Künstliche Ernährung & Flüssigkeitszufuhr hat eine enorme medizinische, gesellschaftliche & natürlich ethische Brisanz. Viele haben sich bewusst dafür entschieden & können auch über Jahre damit gut & wohl auch mehr oder weniger zufrieden leben.
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Gleichzeitig bekommt diese künstl. Ernährung in vielen Momenten & v.a. auch in d. letzten Lebensphase nochmal eine ganz neue Brisanz.
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Dies mag einerseits daran liegen, dass man nicht gern über seine Ängste spricht. Andererseits ist das Sterben & der Tod bis heute in D ein großes Tabuthema, auch wenn es wohl in den vergangenen Jahren schon ein wenig besser geworden ist.
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Feb 9
#Sepsis hat keine Lobby. Ist das ein Problem? Klar!
#Sepsis tötet! Und das gar nicht selten. Die Sepsis gehört zu den häufigsten Todesursachen in D.
Die gute Nachricht: d. Verlauf einer Sepsis kann durch frühes Erkennen & rasches Behandeln positiv beeinflusst werden.
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Deshalb ist es wichtig, dass alle mal was davon gehört haben und zumindest grob wissen, worum es hierbei geht.
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Jan 29
"Ein Quarantänchen in Ehren, kann niemand verwehren."

Eure #Pandemie - Sprichwörter?
#Impfung gut, alles gut. 🤓
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Jan 29
Es kursieren seit einiger Zeit Daten zum Thema #SarsCoV2, #Covid-19 und #Impfung aus UK im Internet & in #socialmedia. Diese Daten suggerieren eine erhöhte Sterblichkeit bei Menschen, die geimpft sind vgl. mit nicht geimpften Personen.

Also, was ist hier los?

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Ausgewählt hat man hier die Altersgruppe der 10-59 Jährigen. Die Gruppe wurde dann unterteilt in vollständig geimpfte & umgeimpfte & dann hat man beide miteinander verglichen. Die Todesursache wurde hier nicht berücksichtigt, es wurden also alle Todesursachen eingeschlossen.
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In diesem Vgl. fiel dann auf, dass die Sterblichkeit in der Gruppe vollständig geimpfter Menschen etwa doppelt so hoch war wie bei ungeimpften Personen.
Man schloss daraus, dass die Impfung Ursache für diese Beobachtung sei, unterstellte „paradoxe Wirkungen durch Impfung“
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Jan 26
Fort- & Weiterbildung geht weit über die jährliche Planung von 12 Monatsfortbildungen, präsentiert in einem Hochglanz-Flyer, hinaus.

Und da dieses Thema für jede|n wichtig ist, durfte ich einen Vortrag hierzu halten.

Keypoints hier für euch zusammengefasst, ein Thread:

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1. Fortbildung ist kein Selbstzweck. Mitarbeitende spüren, wenn Fortbildungen nur angeboten werden, um einer Leitungspflicht nachzukommen, oder ob die Fortbildung angeboten wird, weil die Weiterentwicklung der Menschen -& in der Gesamtheit d. Abteilung- am Herzen liegt.

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Damit Fortbildungen nicht einfach zusammenhanglos im Raum stehen, ist es sinnvoll, die Inhalte an die Ziele der Gesamtabteilung zu knüpfen. Die transparente Darstellung d. Jahresziele & verknüpften Fortbildungsinhalte zeigen den Sinn & geben d. Fortbildung damit Gewicht.
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