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Mar 26 68 tweets 13 min read
So, der erste Rauch ist abgezogen und es wird Zeit, das Thema "#Kinder als #Täter von #Gewalt“ & mögliche Konsequenzen zu beleuchten – wie immer, nicht auf den aktuellen Einzelfall bezogen, sondern in der Gesamtentwicklung betrachtet. #Thread #Gewaltforschung #WissKomm
🧵1/xx
Vorbemerkung wie immer: Wer nicht bereit ist, den Thread bis zum Ende lesen, bitte jetzt weiterklicken, für Sie ist hier nichts zu holen!
Und ebenfalls wie immer: Wortverdrehungen, Herausreißen von Einzelaussagen, populistische Trivialisierung wird kommentarlos geblockt! 2/62
Ich werde das Thema wie folgt aufteilen:
-Entwicklung Gewalt bei Kindern
-Ursachen von Gewalt bei Kindern
-Gesellschaftliche Veränderungen & Wirkungen
-Schwere Straftaten & Strafunmündigkeit?
-Evidenz für Herabsetzung der Strafmündigkeit?
-Frühere Reife & Strafmündigkeit?
3/62
1. Bei der Betrachtung der Entwicklung von Gewalt durch Kinder als Täter:innen muss unterschieden werden zwischen Hellfeld- & Dunkelfeld-Untersuchungen. Im Hellfeld wird all jenes gezählt, was offiziell dokumentiert und z.B. polizeilich erfasst wird. Beste Quelle hierfür…
4/62
…ist wohl die polizeiliche Kriminalstatistik (PKS), die jährlich veröffentlicht wird. Daneben gibt es aber in der interdisziplinären Gewaltforschung & #Kriminologie auch diverse Studiendesigns, die versuchen, das Dunkelfeld, also alle Straftaten & nicht nur die offiziell…
5/62
…Erfassten, zu erkunden, da davon auszugehen ist, dass Gewalt im Dunkelfeld deutlich stärker auftritt als im Hellfeld sichtbar, da z.B. familiäre Gewalt nur zum Teil zur Anzeige gebracht wird. Gucken wir zuerst auf die Entwicklung des Hellfeldes im Rahmen der PKS:
6/62
Als erstes: Wie haben sich die Zahlen tatverdächtiger Kinder in den letzten 20 Jahren entwickelt (an dieser Stelle danke ich Matthias von @jugendrecht, der mir in Windeseile eine Tabelle mit unendlich vielen Daten zum Spielen gebaut hat!)
7/62
Die Grafik zeigt, dass sich von 2001 bis 2021 die Zahl tatverdächtiger Kinder (U14, blaue Linie) deutlich nach unten bewegt hat, mit kleineren Wellen und zuletzt einem kleinen Anstieg, der sich offenbar 2022 fortgesetzt zu haben scheint. Um die Entwicklung dieser Kurve…
8/62
…zu würdigen, habe ich mal die Entwicklung der Tatverdächtigen Ü60 mit eingezeichnet, um den Unterschied in den Trends deutlich zu machen. Bei der Kurve ist zu berücksichtigen, dass sich das Anzeigeverhalten in Deutschland zunehmend verändert, also dass Straftaten… 9/62
…immer häufiger angezeigt werden, so dass das Hellfeld sich dem Dunkelfeld annähert und die Diskrepanz zwischen Hell- & Dunkelfeld zunehmend abnimmt. Darüber hinaus sind in der PKS natürlich auch Taten berücksichtigt, die sehr aktuellen Entwicklungen entsprechen…
10/62
…und vor 20 Jahren so noch gar nicht hätten begangen werden können (z.B. rund um Internet/ Smartphone) oder auch globalen Entwicklungen unterliegen (z.B. Verstöße gegen das Aufenthaltsgesetzt). Zusätzlich hat es 2009 eine Änderung in der Zählweise gegeben (so genannte… 11/62
…“echte Erfassung Tatverdächtiger“). Deshalb möchte ich lieber in gewaltspezifische Deliktformen schauen & wähle dem Zeitraum ab 2009 mit einheitlicher Zählweise. Hier zeigt sich, dass für die Bereiche „Körperverletzung“, „Straßenkriminalität“ & „Gewaltkriminalität“…
12/62
…fast parallel in Wellenform laufender Abwärtstrend (mit einer deutlichen Beule 2019) zu sehen ist. Und das unter Berücksichtigung der wachsenden Anzeigenbereitschaft! Auch hier zeigt der Vergleich mit der Altersgruppe Ü60, dass wir dort einen stetigen Anstieg beobachten.
13/62
Warum ist das wichtig? Nicht, um Senioren zu bashen, sondern um zu zeigen, dass die Entwicklung bei Kindern nicht nur auf eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung zurückzuführen ist, sondern auch Altersgruppenspezifisch! Der Blick in die Dunkelfeldstudien ist dabei…
14/62
…ähnlich: Insgesamt sinkt die Kinderkriminalität seit vielen Jahren kontinuierlich, wobei sich immer wieder Wellen zeigen lassen (z.B. seit 2015 bezgl. Gewaltverhalten; Baier, Krieg & Kriem 2021), die aber nicht das vorherige Niveau erreichen. Eine spannende Studie…
15/62
…zu Gewalt an Schulen (Niproschke et al 2016) zeigte in einem Vergleich zwischen 1996 und 2014 einen deutlichen Rückgang in der Gewalt, übereinstimmend in der Frage nach Opfererfahrungen wie auch nach Tätererfahrungen. Gleichzeitig konnte diese Studie…
16/62
…auch zeigen, dass auch die Gewalt gegen Lehrkräfte durch Schüler:innen deutlich sank und dass die Rückgänge die Kinder (6. Klasse) genauso betrafen wie die Jugendlichen (8. Klasse). Die Interventionsbereitschaft der Lehrkräfte und der Mitschüler:innen ist ebenfalls…
16/62
…gestiegen – Gewalt wird also weniger toleriert.
Dunkelfeldstudien bestätigen, ja verstärken sogar das Bild, dass Gewalt durch Kinder in den letzten Jahrzehnten (wenn auch wellenförmig) abgenommen hat. Die uneingeordnete mediale Präsenz v. Gewalt sowie die Fokussierung… 17/62
…auf Kinder und Jugendliche (Hand aufs Herz: Wer kannte den Entwicklungstrend bei den Senioren?) dagegen lässt den Eindruck entstehen, Gewalt sei ein zunehmendes Problem gerade in diesen Altersgruppen. Aber auch diese Problem ist lange bekannt & z.T. ein mediales Artefakt. 18/62
Wenn man „Dunkelfeldstudien“ zur tatsächlichen Kriminalitätswahrnehmung durchführt (vgl. Reuband 2006), stellt sich heraus, dass die Furcht vor Kriminalität gar nicht immer linear-kausal zur medialen Inszenierung von Kriminalität ansteigt, auch wenn dies behauptet wird!
19/62
Zwischenfazit: Wenn ich immer wieder den Spruch zu hören Kriege: „Wir haben ja auch Scheiße gebaut, aber wir wussten, wo die Grenze liegt!“, kann man darauf nur ehrlich antworten: Die Kinder & Jugendlichen, die wussten, wo die Grenze liegt, waren noch nie das Problem. Das… 20/62
…ist bis heute ganz genauso – nur das sich die Grenze sehr positiv in Richtung „Keine Gewalt“ verschoben hat. Die Gruppe derjenigen, die damals wie heute diese „Grenzen“ verfehlt haben, muss uns beschäftigen – und da hat sich nicht in Richtung „schlimmer“ entwickelt!
21/62
Kommen wir zu Punkt 2: Was wissen wir über Ursachen von Gewalt bei Kindern? Nun ja, eine ganze Menge. Natürlich gilt auch für Kinder wie für alle Altersgruppen: Ein Haupt-Risikofaktor für Gewalt ist das Erleben von familiärer Gewalt.
22/62
Diese zirkulär-spiralförmige Struktur von Gewalt ist wohl das am stärksten gesicherte Ergebnis der Gewaltforschung überhaupt und zeigt sich international wie im deutschsprachigen Raum, in soziologischen Studien wie in psychologischen und absolut Kultur- und Zeitkonstant.
23/62
Qualitativ betrachtet kommt es auf das Erleben des Traumas an. Wird Gewalt als Entwertung/ Missachtung erlebt, hat sie eine isolierende Wirkung & sind Emotionen des Opfers/ Zeugen von Ohnmacht & Dehumanisierung geprägt, eskaliert es schnell (Sutterlüty; Hardy & Laszloffy)
24/62
Das gilt natürlich nicht nur für familiäre Gewalt, sondern auch für andere Gewalterfahrungen, z.B. Mobbing/ Bullying u.ä.
Darüber hinaus gibt es weitere Risikofaktoren. Wichtig erscheint neben Armut vor allem das Thema „Integration ins Bildungssystem“. Verschiedene Studien…25/62
…konnten nachweisen, dass vor allem die Wahrscheinlichkeit schwerer und häufiger Straftaten (z.B. Anteil Intensivtäter) wesentlich durch die Integration in Bildung und Schule beeinflusst wird – und das nicht nur individuell (z.B. Baumann 2012, Studie vom KFN: Baier 2008).
26/62
Ein weiterer Faktor scheint die Einstellung zur Gewalt und das Vorliegen männlichkeitsorientierter Wertvorstellungen zu sein (vgl. Baumann 2021, Baier, Krieg & Kriem 2021, Baier & Pfeiffer 2008). Dies gilt transgenerational wie auch für den individuellen Täter.
27/62
Aber auch einige weniger gut verstandenen Faktoren aus dem psychiatrischen Bereich spielen selbstverständlich eine Rolle. So wird aktuell in der Gewaltforschung intensiv das Phänomen der so genannten „Callous Unemotional Traits“ untersucht (Steinberg; Koglin).
28/62
Dieses Phänomen beschreibt die Unfähigkeit, eigene Emotionen und Emotionen anderer in die eigene Handlungssteuerung einzubeziehen, und dabei die Fähigkeit zu entwickeln, andere ohne Rücksicht auf deren Konsequenzen für eigene Ziele zu benutzen oder zu verletzen.
29/62
Die Ursachen hierfür liegen noch weitgehend im Unklaren, aber ein reiner Erziehungseinfluss oder ein Trauma als singulärer Faktor kann mittlerweile ausgeschlossen werden.
Und letztlich, quasi quer zu den Risikofaktoren allgemein, zeigt sich ein Zusammenhang zwischen… 30/62
…Gewalt und Bindung. H. Julius hat bereits 2008 in einer leider nur sehr kleinen Stichprobe nachweisen können, dass Kinder mit Verhaltensstörungen zu einem erheblich erhöhten Anteil ein desorientiertes Bindungsmuster aufweisen (63%), was häufig als Folge von Traumata gilt. 31/62
In einer neueren Studie und mit einem moderneren Bindungsverständnis hat @TijsBolz an einer Stichprobe von 124 Kindern und Jugendlichen (7-15 Jahre) zeigen können, dass gerade unsicher-ängstliches Bindungsverhalten in einem engen Zusammenhang mit aggressivem Verhalten…
32/62
…steht und scheiternde Emotionsregulation (unter den Bedingungen von (Bindungs-)Stress) den wesentlichen Vermittlungsfaktor dabei spielt (vgl. Bolz & Koglin 2020). Insofern scheint Bindung zu zentralen Bezugspersonen (Eltern, pädagogischen Fachkräften, Peer-Group)…
33/62
…wesentlich im Zusammenhang mit aggressivem Verhalten zu stehen. Dies bezieht sich nicht nur auf frühkindliche Erfahrungen – aus der Resilienzforschung wissen wir, dass neue Bindungserfahrungen bis ins Erwachsenenalter möglich sind!
34/62
3. Welche gesellschaftlichen Einflussfaktoren wirken auf die Entwicklung der Gewalt bei Kindern? Schauen wir uns an, was in den Jahren, in denen die Gewalt bei Kindern gesunken ist, passiert ist. Zunächst muss benannt werden: Die Veränderung der gesellschaftlichen Haltung…
35/62
…zur familiären Gewalt, die sich auch schon in Gesetzesänderungen niedergeschlagen hat (Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe, Verbot von Gewalt in der Erziehung), geschah wesentlich um die Jahrtausendwende herum – und 10-15 Jahre später sehen wir die Veränderungen…
36/62
…in der Gewalttätigkeit der Kinder! Dies ist aus obigen Gründen heraus plausibel. Noch in den 1990’er Jahren gab es (sinngemäß) die Formulierung in ärztlichen Gutachten: „Die festgestellten Blessuren weisen nicht über das Maß normaler erzieherischer Einwirkung hinaus“.
37/62
Die offene Kampfansage gegen familiäre Gewalt ist zwar längst nicht konsequent umgesetzt – die Werte liegen noch viel zu hoch! – aber für viele Kinder hat sich die Situation in Familien verbessert. Auch wurde das Kinder- und Jugendhilfegesetzt Schritt für Schritt angepasst, 38/62
…angefangen mit dem Wechsel vom Jugend-Wohlfahrtsgesetzt (JWG) zum Kinder- und Jugendhilfegesetzt (KJHG) 1990 war ein Quantensprung, mit der Etablierung der Paragraphen 8a und 8b im SGB VIII wurden dann noch wichtige Präzisierungen eingeführt, um Kinder besser zu… 39/62
…schützen & Fachkräfte zu sensibilisieren, besser zu qualifizieren & Abläufe zu implementieren, die Kinderschutz verbessern sollen.
Parallel wurden Strukturen wie Schulsozialarbeit stärker ausgebaut, Ganztagsschulen eingerichtet, KiTa-Kapazitäten ausgebaut. All das…
40/62
…verbesserte die Infrastruktur für Kinder mit Risikofaktoren und hat offensichtlich Wirkung gezeigt. Es gibt eine durch Studien hinreichend belegte Evidenz, dass Kinderschutz und Bekämpfung familiärer Gewalt (hier ist noch Luft nach Oben!!!), Verringerung von…
41/62
…Bildungsbenachteiligung sowie eine schnellere sozialpädagogische Anbindung von Kindern in Risikokonstellationen den besten Impact auf Gewalt durch Kinder als Täter haben! Auch die Individualisierung von Jugendhilfe & Therapie für Kinder, die erhebliches…
42/62
…Problemverhalten zeigen, hat sich gerade in den letzten 10 Jahren enorm weiterentwickelt, differenziert & zunehmend auf wissenschaftlich Evidenz gestützt (vgl. meine div. Publikationen im Kontext Intensivpädagogik/ „Systemsprenger“). Auch hier: Luft nach Oben!
43/62
Aber natürlich sehen wir auch aktuell kritische Entwicklungen, die uns Sorgen machen sollten: Verstärkung von Armut durch Inflation (verbunden mit familiärem Stress), Verschärfung der Desintegration von Risikogruppen im Bildungssystem durch die Pandemie und…
44/62
…die Eskalation im Wohnungsmarkt, um nur eine zu nennen (siehe entsprechenden Thread).
Auch das Thema „SocialMedia“ muss dabei berücksichtigt werden: Es gibt einen unverkennbaren Einfluss der „Suche nach dem geilsten Video“ sowie dem Thema…
45/62

…„Cybermobbing“ auf die Gewalt in diesen Altersgruppen.
Was aber kann der Staat tun, wenn es zu schweren Gewalt- oder Straftaten durch strafunmündige Kinder kommt? Es hält sich das Gerücht, unter 14-Jährige würden nicht vor einen Richter gestellt werden – das ist Unsinn!
46/62
Auch ein Kind kann vor einen Richter kommen, wenn es schwere oder häufige Straftaten begeht – allerdings nicht vor einen Strafrichter, sondern vor einen Familienrichter (und da gehört ein Kind auch hin!). Wenn die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die…
47/62
…notwendigen Schritte einzuleiten, um weitere Straftaten zu verhindern, muss die Frage der Erziehungsfähigkeit gestellt und begutachtet und notfalls auch gegen den Elternwillen interveniert werden, und das geschieht auch, wenn das System seine Arbeit richtig macht! 48/62
Darüber hinaus verfügen wir über ein Instrumentarium sowohl im Kontext der Jugendhilfe (über die Jugendämter) wie auch der Psychiatrien (wenn es eine Krankheits-Indikation gibt) und Therapien. Sprich: Wenn ein Kind schwere Straftaten begeht, müssen Expert:innen eine…
49/62
…individuelle Einschätzung vornehmen und aus den Baukästen des Familienrechts, der Jugendhilfe und der Kinder- und Jugendpsychiatrie/ -psychotherapie einen Interventionsplan erarbeiten und implementieren. Dies geschieht auch, kann individuell auch sehr hohe…
50/62
…Schutzvorkehrungen und Sicherheitsmaßnahmen bedeuten und ist zeitlich nicht befristet und hängt nicht an der Schwere der Tat! Die Rückfallquote nicht strafmündiger schwerer Gewalttäter ist in Deutschland im Vergleich zu Ländern, die sehr jung schwer strafen, niedrig!
51/62
Denn dieses System setzt an den Bedarfen des Alters an und zielt perspektivisch – was übrigens auch die Logik des Jugend-Gerichtsgesetztes (JGG) ist, denn auch dort steht nicht der Strafgedanke, sondern der Erziehungsgedanke zur Verhinderung weiterer Taten im Vordergrund! 52/62
Wie sinnvoll ist nun 5. die Herabsetzung der Strafmündigkeit als Konsequenz?
Kurze Antwort: Gar nicht! Länder, die das gemacht haben, haben heute mehr Probleme mit Gewalt durch Kinder und „Strafen“ im juristischen…
53/62
…Sinne zeigen keine Wirkung, um weitere Straftaten zu verhindern oder die Kriminalität in einer Gesellschaft zu verringern – nachweislich das Gegenteil ist der Fall! Die beschriebenen Maßnahmen sind wirksamer und sollten konsequent ausgebaut werden, will man Gewalt senken!
54/62
Ein letztes (6.): Was ist von dem Argument der früheren Reife im Vergleich zu „damals“ zu halten? Nun ja, eigentlich sehen wir eher eine längere Abhängigkeit junger Menschen von ihren Eltern – noch in den 50’er und 60’er Jahren gingen viele Jugendliche mit 14 voll Arbeiten.
55/62
Die Phase des Zuhause Wohnens verlängert sich immer weiter. Dann wird argumentiert, dass die körperlich-sexuelle Reifung früher einsetzt – ja, aber im Vergleich zu wann? Der Anteil junger Menschen, die mit 14 bereits Geschlechtsverkehr hatten, hat sich… 56/62
…in den letzten 15 Jahren verringert – also in einem Zeitraum, in dem Kriminalität sank! Dieses Argument anzuführen, warum JETZT die Strafmündigkeit angepasst werden sollte, überzeugt nicht.
Die wichtigen entwicklungspsychologischen Marker (Hirnreifung,… 57/62
…Sensation Seeking u.a.) geben hier keine Argumente.
Es gibt nur ein haltbares Argument: Die frühere Einsichtsfähigkeit für unterschiedliche Delikte. Vor etwa 20 Jahren wurde diskutiert, dass Kinder sehr viel früher einsehen können, dass Verhalten unrecht ist, was aber…
58/62
…Begründung für die Altersgrenze war. Stimmt. Aber dies sagt nichts über die Interventionslogik aus. Denn klar kann ein 6-Jähirger einsehen und wissen, dass Diebstahl unrecht ist – aber soll er deswegen juristisch belangt werden, oder von seinen Eltern erzogen? 59/62
In allen Fachdisziplinen, die diese Frage betreffen könnte, gibt es da Konsens. Das Unrechtsbewusstsein ist sicherlich individuell, aber es ist gut und richtig, dass es eine Altersgrenze gibt, bis wohin Erziehung Entwicklung befördern darf – auch bei schweren Straftaten!
60/62
Fazit: Pädagogische Interventionen konsequent weiter vorantreiben, familiäre Gewalt konsequent bekämpfen und Kinder schützen und die Strafmündigkeit nicht anfassen – für alles andere gibt’s weder Evidenz noch haltbare Argumente! Thread ENDE!
Ps: Bitte spart die Kommentare, dass Twitter nicht gut ist für solche langen Threads - kenne ich schon und trotzdem gibt es immer viele, die bis zum Ende lesen und deshalb mache ich das genau hier! #WissKomm
Für alle, die hier über die unterschiedlichen Entwicklungen der Altersgruppen im Bevölkerungsanteil stolpern:
Ein bisschen Explikation:
"Sensation Seeking" bezeichnet die Suche nach "dem Kick", also starken emotionalen (Selbst-)Erlebnissen. Dieses ist gruppenabhängig und altersabhängig und individuell unterschiedlich stark ausgeprägt. Es zeigen sich keine Hinweise, dass sich der...
...der Höhepunkt (aktuell zwischen 16 und 21 Jahren) in den letzten Jahren verschoben habe.
Aus der Neuropsychologie: Im Alter von ca. 11-13 Jahren kommt es zu einer starken Zunahme von Synapsen in vielen Bereichen des Gehirns, die anschließend wieder rückgebaut werden...
Dieser "Synapsenüberschuss" führt teilweise dazu, dass vorige Kompetenzen schlechter oder langsamer abrufbar sind als zuvor, durch die erneute Synapsenreduktion "schält" sich dann aber ein umso effizienteres Netzwerk heraus.
Beispiel: Gesichterkennung: Mit 12 Jahren können...
...Kinder Emotionen aus Gesichtern unsicherer ablesen als sie es mit 9-10 Jahren konnten. Im Laufe der Adoleszenz entwickelt sich diese Fähigkeit dann aber umso klarer & kompetenter heraus - es gibt aber keinen Hinweis, dass sich diese Entwicklung der Kompetenz früher entwickelt

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Feb 23
#Gewalt (familiär wie straßenbezogen) ist zwar seit vielen Jahren ein (wellenförmig) rückläufiges Phänomen in Deutschland, aktuelle Entwicklungen in anderen europäischen Ländern & aktuelle Risikozuspitzungen lassen dennoch aufhorchen - ein #Thread 🧵
1/18
Dabei spielen drei #Risikofaktoren, die sich als eindeutig Gewalt begünstigend & provozierend erwiesen haben, eine zentrale Rolle:
1) Finanzielle Sorgen & wirtschaftlich-sozialer Abstieg von #Familien
2) gewachsene Bildungsdesintegration
3) Eskalierender Wohnungsmarkt
2/18
Es ist durch vielfältige Studien belegt, dass nicht nur Armut, sondern auch der antizipierte wirtschaftliche/ soziale Abstieg Gewalt begünstigt. Dies gilt auf individueller Ebene für den Faktor familiärer Gewalt - vor allem bei Partnerschaftsgewalt spielen diese Faktoren... 3/18
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Jan 5
Härtere Strafen sind ebenfalls ein zahnloser Tiger in der Gewaltprävention – dass der Staat „ein Zeichen setzen müsse“ ist ein hartnäckiger Mythos ohne wissenschaftlichen Beleg. Natürlich: da, wo sich feste Gruppen oder Manipulationen ausbilden, muss anders gehandelt werden.63/68
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Jan 5
So, wie angekündigt ein Thread über #Gewalt gegen #Einsatzkräfte von #Feuerwehr, #Rettungsdienst & #Polizei unter dem besonderen Eindruck der #Silversternacht – aus Sicht der #Gewaltforschung.

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Seit Montag ist das Thema #Deeskalation nach einer #Eskalation in einer #Jugendhilfe-Einrichtung allgegenwärtig. Für alle, die das Thema WIRKLICH bewegt ein #Thread auf Grundlage der #Gewalt- & Eskalationsforschung & jahrelanger Erfahrung mit Gewaltsituationen in der Praxis. 1/53
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