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Ich wage mal einen Versuch die Tötungsdelikte stark verkürzt und vereinfacht zu erklären, da diese Tatbestände das Volksempfinden am stärksten zu beschäftigen scheinen.
Die wichtigsten sind dabei Mord (§211 StGB) und Totschlag (§212 StGB) Hier tummeln sich die größten Rechtsirrtümer.
Der Unterschied ist NICHT, dass ein Mord vorsätzlich geschieht, während der Totschlag „im Affekt“ passiert. Beide Tatbestände sind *vorsätzliche* Tötungsdelikte.
Vorsatz liegt regelmäßig dann vor, wenn der Täter:
- Wollte, dass ein Mensch stirbt.
- Wusste, dass ein Mensch stirbt.
- Der Täter zumindest billigend in Kauf genommen hat, dass ein Mensch stirbt.
Bei dem Tatbestand des Mordes muss ein sog. Mordmerkmal hinzutreten. Ein einzelnes reicht aus, es können aber auch mehrere vorliegen.
Ein Mord liegt vor, wenn der Täter
- aus Mordlust,
- zur Befriedigung des Geschlechtstriebs,
- aus Habgier,
- aus niedrigen Beweggründen,
- heimtückisch,
- grausam,
- mit gemeingefährlichen Mitteln,
- oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken

handelt.
Ich möchte mich hier auf Heimtücke konzentrieren. Die anderen Mordmerkmale kommen später.
Bundesgerichtshof:

„Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt.“
„Wesentlich ist, dass der Mörder sein Opfer, das keinen Angriff erwartet, also arglos ist, in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren.“
„Das Opfer muss gerade auf Grund seiner Arglosigkeit wehrlos sein. Maßgebend für die Beurteilung ist die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs (BGHSt 32, 382, 383 f.; BGH NJW 1991, 1963; Urteil vom 20. Juli 2004 – 1 StR 145/04).“
„Für das bewusste Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit (also das subjektive Moment) genügt es, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist...“
„... einen durch seine Arglosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (vgl. BGH, Urt. vom 20. Juli 2004 – 1 StR 145/04; NStZ 2005, 688, 689).“
Dieses „Ausnutzungsbewusstsein“ muss positiv festgestellt werden.
„Dabei kann die Spontaneität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das Ausnutzungsbewusstsein fehlte (BGH, Urteil vom 13. August 1997 – 3 StR 189/97)“
„...psychische Ausnahmezustände können auch unterhalb der Schwelle des § 21 StGB der Annahme des Bewusstseins des Ausnutzens entgegenstehen (BGH, Urteil vom 13. Februar 2007  – 5 StR 508/06, NStZ 2007, 330).“
Es reicht nicht, dass der Täter objektiv so gehandelt hat. Die Staatsanwaltschaft und das Gericht müssen die Umstände, die für dieses Ausnutzungsbewusstsein sprechen, positiv feststellen.
Dass jemand wegen Totschlags angeklagt oder verurteilt wird statt wegen Mordes, heißt nicht, dass er dann „davon kommt“. Auch für Totschlag kann es bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe geben. Der Täter kann anschließend in Sicherungsverwahrung kommen.
Die Mordmerkmale sind restriktiv auszulegen, weil dieser Tatbestand *zwingend* (weiteres Problem: sog. Rechtsfolgenlösung) lebenslange Freiheitsstrafe vorsieht. Dies entspricht der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung. Sie sehen, es ist nicht einfach.
Ich möchte diesen Thread nicht mit der grundsätzlichen Kritik am Mordtatbestand als solchem überfrachten, aber der Tatbestand an sich erfreut sich seit Jahren deutlicher Kritik.
Für den Fall des Zugstoßens: ich kenne die Akte nicht. Grundsätzlich kommt bei einem unverhofften Angriff auf ein Opfer, dass sich des Angriffs nicht versieht und deshalb wehrlos ist, ein Heimtückemord in Frage. Zusätzlich erforderlich ist aber, dass der Täter diese Arg- und..
..Wehrlosigkeit ausnutzte UND ihm das bewusst war. Das ist sehr sehr schwierig, wenn der Täter bspw einen psychischen „Defekt“ hatte. Das Gesetz sieht für evtl psychisch Kranke verschiedene Möglichkeiten vor, z.B. Die Unterbringung. Das heißt nicht, dass man dann „raus“ ist.
Ich habe den thread mit „stark vereinfacht“ begonnen und dann mit BGH-Rechtsprechung weitergeführt.
So viel zu „vereinfacht“. Sorry!
Und falls es Sie alle beruhigt.
Es gibt viele strafrechtler, die in manchen Fällen auch nicht nachvollziehen können, warum etwas nicht als Mord, sondern als totschlag eingestuft wurde oder umgekehrt.
Zwei Juristen drei Meinungen ☺️
Subj muss der Täter die auf Arglosigkeit beruhende Wehrlosigkeit seines Opfers ausnutzen. Es reicht nicht, dass er diese äußerlich wahrnimmt. Er muss diese Wehrlosigkeit in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage erkennen und sich zur Ausführung der Tat ganz bewusst zunutze machen.
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