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Es ist offenbar ein kleiner Skandal, dass einige Journalist*innen, Politiker*innen und Bürger*innen das Verhalten der Polizei während und nach der Silvesternacht hinterfragen. #Connewitz #le0101

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Dabei ist es doch die Kernaufgabe von Journalismus, herauszufinden, was wirklich passiert ist. Für einige Journalist*innen ist diese Aufgabe nach einem Telefonat mit der Pressestelle der Polizei erledigt. Wird schon stimmen. Anderen reicht das - verständlicherweise - nicht.

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Was ist denn unstrittig? Dass es teils massive Gewalt gegen Polizist*innen gab, bestreitet niemand. Von Linkspartei bis AfD wurde diese Gewalt verurteilt. Es gibt hier also nichts zu enthüllen und keine Kontroverse, die man darstellen könnte.

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Interessant sind die Aspekte, bei denen es Widersprüche gibt. Und da landet man - wieder mal - bei der Öffentlichkeitsarbeit der Polizei.

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Da war beispielsweise von einem brennenden Einkaufswagen die Rede, der laut Pressemitteilung "mitten in eine Einheit der Bereitschaftspolizei" geschoben werden sollte. Diese Darstellung war mindestens übertrieben, möglicherweise komplett falsch.

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Laut dieser Pressemitteilung musste ein Beamter notoperiert werden. Not-OP bedeutet: Lebensgefahr. Mittlerweile hat die Polizei zugegeben, dass es keine Lebensgefahr/Not-OP gab.

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Für manche sind das kleine Details, die nichts daran ändern, dass ein Polizist schwer verletzt wurde und es massive Gewalt gab. Aber das stimmt nur teilweise. Denn es geht nicht nur um diese Verletzung und die Gewalt am Kreuz, sondern auch um ...

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... die Frage, warum eine Behörde, die sachlich, exakt und wahrheitsgemäß informieren soll, in einer Pressemitteilung mindestens zwei Falschmeldungen verbreitet. Und da gibt es nur zwei Möglichkeiten:

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a) Die Polizei hat voreilig berichtet.
b) Die Polizei hat gelogen.

Dass es eine Not-OP gegeben habe, sei "Kenntnisstand am Neujahrsmorgen" gewesen. Aber warum korrigiert die Polizei diese Falschmeldung nicht sofort? Warum erst zwei Tage später? Nach einem Medienbericht?

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Diese Information ist wichtig. Mit dieser Information wird Wahlkampf gemacht. Mit dieser Information werden seit Neujahr politische Forderungen verknüpft. Wenn die Polizei eine Falschmeldung verbreitet und diese nicht korrigiert, wird sie zum politischen Akteur.

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Außerdem argumentieren Politiker*innen und Aktivist*innen, dass Gewalt durch Rechtsradikale u.a. deshalb schlimm sei, weil sie keine Grenzen kenne. Es ist also nicht nur ein Detail, ob Linksradikale tatsächlich einen Menschen töten wollten und dies fast geschafft hätten.

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Die Arbeit der Polizei verdient außerdem besondere Aufmerksamkeit, weil es sich um eine unfassbar mächtige Behörde handelt. Missstände bei der Polizei haben eine andere Dimension als problematisches Verhalten relativ bedeutungsloser Bürger*innen.

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Und es geht wie gesagt um Wahrheit. Niemand bestreitet, dass die Polizei in Connewitz angegriffen wurde.

Sachsens Polizeipräsident Kretzschmar hingegen sagte heute: "Die Polizei wird nie Falschmeldungen verbreiten."

Die nächste Falschmeldung also.

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Einige würden gerne sofort über Konsequenzen reden und darüber, was nun zu tun ist, um den "Linksextremismus" zu bekämpfen. Aber gerade diese Leute sollten doch daran interessiert sein, erst einmal zu erfahren, was wirklich passiert ist - mit allen Details.

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Aber ja, wir sollten nicht nur über Falschmeldungen der Polizei berichten.

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Wir sollten auch über Polizeigewalt berichten. Es gab in der Silvesternacht nicht nur Gewalt gegen Polizist*innen, sondern auch Gewalt gegen Bürger*innen. War diese verhältnismäßig? War diese nötig? Wer war davon betroffen?

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Vor zwei Jahren gab es ebenfalls Auseinandersetzungen am Kreuz. Eine junge, offenbar unbeteiligte Frau wurde von Polizist*innen umgerannt und dadurch schwer verletzt.

Mein Text von damals: l-iz.de/leben/gesellsc…

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Und wir sollten auch die Frage stellen, wer eigentlich die Polizei angegriffen hat. Die Antwort scheint naheliegend, schließlich hat die "Soko LinX" die Ermittlungen übernommen und ist es Connewitz. Aber so simpel ist es nicht.

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Vor zweieinhalb Jahren habe ich in Hamburg beim G20-Gipfel die Ausschreitungen in der Schanze miterlebt und die Menschen, die sich daran beteiligten, aus der Nähe gesehen. Ja, das waren anfangs Linksradikale, die Polizist*innen angriffen.

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Aber in der Nacht darauf war ich mir nicht mehr so sicher. Es sah so aus, als ob nun Leute übernommen hätten, die einfach Bock auf Alkohol, Party und Randale hatten. Für die das kein Aufstand, sondern Stressabbau war. Man erkannte es an der Kleidung und an den Äußerungen.

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Danach hat sich leider alles auf "Linksextremismus" konzentriert. Dabei hätte man auch mal über Gruppendynamiken und über die Wirkung von Alkohol auf ansonsten wohl eher friedliche Menschen reden sollen.

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Was in Connewitz der Fall war, kann ich nicht einschätzen, da ich nicht vor Ort war. Aber alle, die an einer Analyse interessiert sind, sollten zumindest in Betracht ziehen, dass die Ursachen der Gewalt vielfältig sein könnten.

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Abschließend: Eine notwendige Analyse wäre einfacher, wenn alle, die der Wahrheit verpflichtet sind, tatsächlich wahrheitsgemäß berichten würden.

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