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Post vom #Finanzamt.

Ich soll einen Fragebogen zu meiner #Sexarbeit ausfüllen. Ich habe Fragen dazu und rufe an.

Habe das Aktenzeichen noch nicht zuende aufgesagt, da bricht am anderen Ende der Leitung schallendes Gelächter aus.

Ich: Darf ich fragen, warum Sie lachen?
(1/x)
Herr X aus dem #Finanzamt: (kichert weiter) Ach, nur so.

Ich: Nur so? Was meinen Sie damit?

Herr X: (beruhigt sich langsam) Na, ich erinnere mich noch an den "Fall".

Ich: Achja? Was ist denn der "Fall"?

Herr X: Uns im Finanzamt XY war bislang nicht bekannt, (...)
(2/x)
Herr X: ...dass Sie einem #Prostitutionsgewerbe nachgehen. Das hat uns soeben erst das Finanzamt YZ aus ihrem vorigen Wohnbezirk mitgeteilt.

Im Laufe des Gesprächs stellt sich heraus, dass der offensichtliche Grund für die Belustigung von Herr X die Tatsache ist, (...)
(3/x)
...dass er meinte, mich mit dieser Info "überführt" zu haben. Dass ich eigentlich #Prostituierte bin, und mein Start-Up nur ein Feigenblatt.

Ich erkläre ihm, dass ich sowohl ein Start-up mit drei Mitarbeitern führe, als auch der #Sexarbeit nachgehe.
2 Paar Schuhe also.
(4/x)
So langsam wird es stiller am anderen Ende der Leitung. Herr X wirkt plötzlich eingeschüchtert, und endlich sachlich.

Nachdem das Gespräch beendet ist, rufe ich in der Zentrale des Finanzamts an und lasse mich zum Vorgesetzten von Herrn X durchstellen.
(5/x)
Die Anrufweiterleitung funktioniert wie geschmiert. Nach nur drei Schaltstellen und fünf Minuten habe ich einen Verantwortlichen an der Strippe.

Ich melde den Fall als #Diskriminierung seitens eines Behördenmitarbeiters. Diesmal ist die Stimmung ernst.
(6/x)
Ich führe an, dass es einen #Antidiskriminierungsparagraphen gibt und ich als #Sexarbeiterin einen sachlichen Umgang verdient habe. Es gibt ein #Recht auf #Gleichbehandlung. Es kann nicht sein, dass ich im Telefongespräch von einem #Finanzamt-Mitarbeiter ausgelacht werde.
(7/x)
Herr X' Vorgesetzter gibt mir Recht und gibt zu, dass "so etwas" überhaupt nicht passieren dürfe.

Was er nun tun solle?

Ich sage ihm, mir sei wichtig, dass Herr X das erklärt bekommt, und das #Finanzamt seine Mitarbeiter für den Umgang mit Minderheiten sensibilisiert.
(8/x)
Am nächsten Tag bekomme ich einen Anruf von der Chefin des Finanzamts.

Ihr Mitarbeiter, Herr X sei von selbst zu ihr gekommen, sagt sie. Da sei ein Kundenkontakt nicht optimal gelaufen. Sie lässt sich den Fall noch einmal von mir schildern.

Es wird ein langes Gespräch.
(9/x)
Frau XYZ wirkt ehrlich betroffen. Sie meint, #Prostitution sei doch etwas "total Normales" und sie hätten ganz andere Jobs in den Akten. Lachen am Telefon sei nicht akzeptabel. Sie bittet mich im Namen von Herr X um Entschuldigung und will mit ihm reden.

DAS ist groß!
(10/x)
Am Ende wird es ein über 30-minütiges Gespräch über das grundsätzliche Verhältnis zwischen #Finanzamt und #Bürgern - dem #Souverän. Wir #Steuerzahler seien die eigentlichen #Arbeitgeber des Finanzamts, sage ich. Der #Umgangston des Finanzamts spiegle das unzureichend.
(11/x)
Ich erzähle ihr, dass viele Menschen das #Finanzamt als Bedrohung empfänden. Dass Briefe des Finanzamts, sogar bei Leuten, die nichts verbrochen haben und anständig ihre #Steuern bezahlen, oft #Panik auslösen.

Ob das denn wirklich so sein müsse?
(12/x)
Ob das #Finanzamt sich nicht mal von einer guten PR-Agentur beraten lassen könnte, um die ganzen Schreiben serviceorientiert umzuformulieren?

Gleiche Infos, freundlicherer #Umgangston?

Das würde das Verhältnis der Bürger zum #Steuerzahlen langfristig verbessern.
(13/x)
Wissen Sie, sage ich zur Chefin des #Finanzamts - ich erwarte von Ihnen keinen Kuchen zu Weihnachten.

Aber #Freundlichkeit und mal ein #Dankeschön dafür, dass wir #Bürger mit unseren #Steuerzahlungen das ganze #Gemeinwohl erhalten - das sei wohl nicht zuviel verlangt?
(14/x)
Frau XYZ meint, es stimmt, der Ton des #Finanzamts sei dezidiert sachlich und wirke dadurch oft "rauh" und "abschreckend". Es habe sich schon viel verbessert in den letzten Jahrzehnten. Aber die Mühlen der #Bürokratie mahlten leider in der allseits bekannten Langsamkeit.
(15/x)
Ob das nicht interessante #Reform-Vorschläge wären, die man mal auf politischer Ebene einbringen könne? Sie persönlich würde das begrüßen.

Wir verabschieden uns freundlich.

Was lerne ich nun aus dieser kleinen Episode, mit #happyend?
(16/x)
1. Falls wir, wie immer behauptet, in einem #Überwachungsstaat leben, dann muss es schon ein verdammt schlechter Überwachungsstaat sein - wenn erst 4 Jahre nach meinem Umzug relevante Infos von einem zum anderen #Finanzamt weitergeleitet werden.
(17/x)
2. Wir marginalisierten Gruppen dieser Gesellschaft haben ein Recht auf #Gleichbehandlung. Wenn wir beim Umgang mit Behörden #Diskriminierung erfahren, so können wir direkt in diesen Institutionen Zustände anprangern und Gleichbehandlung einfordern.
(18/x)
Ob wir #Sexarbeiter*innen sind, #queer, #POC - egal, welcher Minderheit wir angehören - niemand, schon gar keine staatliche Behörde, hat das Recht, uns stigmatisierend zu behandeln.

Das Recht auf #Gleichbehandlung können wir einfordern. Es steht uns zu. Immer. Überall.
(19/x)
3. Das Verhältnis zwischen #Bürgern und staatlichen #Institutionen ist von Anspannung und Misstrauen geprägt.

Das, liebe Leute, muss doch nicht sein!!

#Behörden sollten damit aufhören, uns #Bürger wie #Verdächtige zu behandeln! Wir sind die Träger der #Gesellschaft!!!
(20/x)
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