Thread by @ad_astra_1

Was macht ein Historiker, der gerade ein Buch zum Papierhandel in der Frühen Neuzeit veröffentlich hat, wenn überall das #Toilettenpapier knapp wird?

Stichwort: #Klopapiergate

Richtig, er schreibt einen Thread zur hygienischen Papiernutzung in der Vergangenheit.

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Bei einem ist sich die Forschung einig: auch das Toilettenpapier ist eine chinesische Erfindung. Die hygienische Nutzung von Papier beginnt natürlich in dem Land, in dem auch als erstes Papier hergestellt worden ist: in China, seit dem frühen 2. Jahrhundert vor Christus.

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Allerdings wird die hygienische Nutzung von Papier nach dem Toilettengang erst im 6.-9. Jahrhundert in China vermutet. Wann genau diese Papiernutzung losging, ist unklar, aber letztendlich auch egal. Das Toilettenpapier ist zumindest geboren.

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Papier als Artefakt, also als menschengemachtes Objekt, wandert von China in den nächsten Jahrhunderten durch die Welt. Im 13. und 14. Jahrhundert kommt es über arabische Händler im Mittelmeerraum als Handelsware an. Danach beginnt auch in Europa die Papierproduktion.

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Man nennt die Zeit seit etwa 1400 n.Chr. auch ein erstes papiernes Zeitalter - in Europa wohlgemerkt.

Wie und welche papiernen Produkte in Europa zu einer Ware werden, kann man - Entschuldigung: Eigenwerbung - gerne hier nachlesen:

halem-verlag.de/vernetzte-papi…

@halemverlag

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Zurück zum #Toilettenpapier. Dieses Papier taucht in Quellen der sogenannten "Frühen Neuzeit", einer historischen Epoche Europas zwischen etwa 1400-1800, prominent auf.

Sie haben es schon bemerkt: das erste papierne Zeitalter Europas ist die gesamte Epoche: #FrüheNeuzeit

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Toilette und Papier also. Hier gilt es zu erinnern, dass Papier in Europa bis dahin vor allem als "Beschreib-" und "Bedruck"-Material wahrgenommen wurde.

Bis zur "Ankunft" von Papier in Europa war die Schriftwelt eine lederne Zeit: die Bücher waren aus Pergament.

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Wer sich jemals mit gespannter Tierhaut, und das ist Pergament, den Hintern gesäubert hat, der wird es nicht zur Nachahmung empfehlen.

Papier ist sanfter als Leder. Deshalb beginnt die Geschichte des Toilettenpapiers in Europa erst in der Frühen Neuzeit.

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Beginnen wir mit einem #Toilettenpapier-Zitat von Giambattista Basile, einem dichtenden Italiener des 17. Jahrhunderts. Dessen Hauptwerk "Il Pentamerone" erschien 1634. (Folgendes Zitat aus der dt. Version)

Dort heisst es in Kapitel 14, 2 Novelle:

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„Es lohnt wahrlich die Mühe, die Wahrheit des Sprichwortes zu erwägen, daß von demselben Holze sowohl Götterstatuen als Galgenbalken, sowohl Königsthrone als Nachtstuhldeckel gemacht werden, so wie auf nicht minder seltsame Weise von einem und demselben Lumpen ...

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... sowohl das Papier, das mit Liebesbriefen beschrieben und von schönen Frauen geküßt wird, als auch Arschwische herkommen; ein Umstand, der den gescheitesten Astrologen um seinen Verstand bringen könnte.“

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Dieses Zitat will erläutert sein.

"Lumpen": Jede Papiervariante in Europa ist vor dem 19. Jh. ein handgeschöpftes Hadernprodukt. Papier wird aus Naturfasern hergestellt: ist also ein textiles Material - ein "Hadernpapier". Lumpen sind zerrissene Kleidung, also Rohstoff.

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Basile erwähnt "Lumpen" als Ausgangsstoff für Papier und weist auf die vielfache Nutzung von Papier hin: als geküsster Liebesbrief und Toilettenpapier.

Jedes Papier wurde seit dem 14. Jh. mehrfach genutzt. Auch Liebesbriefe wurden Toilettenpapier, je nach Beziehungsstatus.
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Generell konnte jedes Papierprodukt zu #Toilettenpapier werden im Europa der Frühen Neuzeit. Gelesene Zeitungen, alte Flugschriften, Kalenderdrucke - ausgelesen wurden sie als Verpackungspapier genutzt oder als "Bum-Fodder", wie Jonathan Swift es im Englischen umschrieb.

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Bekannt in der #Literaturwissenschaft ist der von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen publizierte "Der Abentheurerliche Simplicissimus Teutsch und Continuatio des abentheuerlichen Simplicissimi" (1669).

Der Protagonist, Simplicius, spricht auch mit #Toilettenpapier.

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Während der Romanheld sich erleichtert, spricht das anwesende Toilettenpapier ihn an und es entwickelt sich eine Diskussion.

Das ihn kontaktierende Papier erzählt seine materielle Formungsgeschichte als Leidensweg:

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ein Hanfsamen blüht auf, wird geerntet, zu Textilien versponnen, zu "Hadernbrei" verkocht (in einer Papiermühle), zu Papierbögen geformt und schließlich als papiernes Schreibheft genutzt.

Dann begann das Nachleben des Papiers als ...

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... Verpackungsmaterial und final als #Toilettenpapier. An dieser Stelle trifft das Papier den Toilettengänger im Roman.

Wer Grimmelshausen mal im Original lesen mag, dem sei auch diese Passage des werdenden Papiers und späteren Toilettenpapiers empfohlen.

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Im XI. Kapitel heisst es, der "Hanffsaamen" wächst im "wohlgebauten fruchtbaren Acker" bis er geerntet und verarbeitet wird - für das erzählende Toilettenpapier eine "allergrößte Marter".

Als textile Ware, als "feines Kauffmanns=Gut" geht es dann zur Papiermühle.

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In der Papiermühle beginnt die nächste Leidensetappe:

"allwo wir dann mit einem rechten Jammer=Geschrey unser Ellend einander klagten; damit hats aber drum noch kein End / sondern wir wurden in der Papiermühl gleich einem Kinderbrey zerstossen ...

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... daß man uns wohl vor kein Hanff= oder Flachsgewächs mehr hette erkennen mögen / ja endlich eingebeitzt in Kalch und Alaaun und gar im Wasser zerflöst / also daß man wohl von uns mit Wahrheit hette sagen können / wir seyen ganz vergangen gewesen".

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Die Transformationen vom Hanfsamen zum Flachs zum Papier (zum späteren #Toilettenpapier) erfordern auch Auferstehungsmomente. Aus dem Papiermühlen-Tod wird die Geburt eines "feinen Bogen Schreibpapier". Recycling nennt man es heute.

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Als der menschliche Papierbesitzer allerdings stirbt, so das #Toilettenpapier zum Toilettenbesucher Simplicissimus, beginnt die nächste Objektetappe: vom Packpapier ist der Weg zum Toilettenpapier nicht mehr weit.

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Wie typisch war nun altes Papier auf einer frühneuzeitlichen "Toilette"? Zum Zeitpunkt der Publikation des Schelmenromans (17. Jahrhundert) war papiernes Abwischmaterial in europäischen Toiletten wohl kaum flächendeckend in Anwendung.

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Zwischenthesen angesichts von #KloPapiergate und #toiletpapercrisis im Jahr 2020:

1. Eine der ersten entsorgten Geschichten ist und war die Geschichte des Toilettenpapiers.

2. Historisches Ausstellungsmaterial nicht mehr vorhanden (Museumsexperten sagen: zum Glück).

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