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Die Ergebnisse sind interessant & werden zu Recht diskutiert. In der Darstellung & darin, wie „die Medien“ einzelne Punkte aufgreifen, stellen sich mir aber Fragen. So z.B. zum Punkt wöchentliche Arbeitszeit der Millionär:innen, die aus Selbstauskünften (!) gewonnen wurde. 2/21
Mensch könnte zB bei Angestellten nach abgeschnittenen Überstunden fragen; & ist Care nicht auch Arbeit. Wer hat den Millionären das Essen gekocht?😉

Aber davon ab: Kritisch sehe ich auch die Empfehlungen, die mir zu kurz greifen, zu unbedacht & politisch zu einseitig sind. 3/21
Vermögenssteuer wird abgelehnt, weil: Reiche könnten ins Ausland flüchten & Teile liegen im Betriebsvermögen, weshalb die Besteuerung negative Anreize setzt, das Vermögen der „produktiven“ Verwendung zu entziehen, was Wohlstand kosten könnte. 4/21
Aber - so mein Einwand - selbst dann, wenn es der „produktiven“ Verwendung zunächst entzogen wäre, weil das Vermögen einfach „konsumiert“ wird (was ab einem bestimmten Betrag sicher schwierig werden könnte), dann sorgt doch auch der Konsum für Nachfrage, Investitionen usw. 5/21
Die Idee, dass hier das Vermögen vielleicht sogar gemeinwohlförderlicher verteilt & wirksam werden könnte (auch als Gemeineigentum), kommt den Autor:innen nicht. Stattdessen Besitzstandswahrung & unterschwellig der marktwirtschaftliche Leistungsmythos. 6/21
Dann der Hinweis auf Riester- & Rürup, der lediglich dazu dient, die private Vorsorge *zu Lasten* einer solidarisch organisierten Rente zu forcieren. Riester & Co haben aber nichts mit Vermögensaufbau zu tun, sondern den Betroffenen geht es um die Existenzsicherung im Alter! 7/21
Schräg auch die Förderung von Immobilienbesitz. Boden ist wohl beliebig vermehrbar?🤨 Eigentlich könnte es doch darum gehen, Lebensqualität zu steigern & Zufriedenheit zu ermöglichen. 8/21
Dazu kann ein durchdachter kommunaler Wohnungsbau, der KiTa, Grün, Verkehrsanbindung & Nahversorgung einbezieht, sicher ungleich mehr beitragen als die staatliche geförderte Reihenhaussiedlung irgendwo draußen vor den Mauern der Stadt. 9/21
Die einzige Maßnahme, die die Autor:innen gut finden, ist die Erbschaftssteuer. Dagegen lässt sich im Grunde auch nichts einwenden. Nur frage ich mich, warum hier nicht ähnliche Punkte negativ ins Gewicht fallen, die die Autor:innen bei der Vermögenssteuer ins Feld führen. 10/21
Denn: Auch Erben können ins Ausland flüchten. Seltsam wird es, wenn die Autor:innen betonen, dass Erben „keine guten UnternehmerInnen“ sein können😮 & eine Erbschaftssteuer dann praktisch Wohlfahrtsverluste mindern kann. 11/21
Bei der Vermögenssteuer war es auf einmal die Angst, dass diese Steuer negative Anreize setzt, das Vermögen nicht „produktiven Aktivitäten“ zuzuführen...🤨🤔 12/21
Insgesamt fällt mir bei dem Thema Ungleichheit sehr oft auf, dass wir ständig mit der Nase auf normative Fragestellungen gedrückt werden (Fairness, Gerechtigkeit usw.), es dann aber an Sensiblität & am angemessen Umgang damit mangelt. Dazu bildet der Bericht keine Ausnahme. 13/21
So ist das Fazit übertitelt mit: „Die Vermögenskonzentration ist zu hoch – zu hoch?“ Eine Orientierung, was denn dieses „zu hoch“ sein soll, sucht mensch vergebens. Das mag spitzfindig klingen, lässt aber den Empfehlungen den Boden unter Füßen wegbrechen. 14/21
Beispiel Vermögenssteuer. Dazu können drei Ziele einfallen: Einnahmen generieren (jaja, #MMTler lachen jetzt 😜), Vermögenskonzentration abbauen oder beides. Für alle diese Punkte ist es wichtig, zu wissen: in welchem Umfang, in welcher Intensität & in welchem Zeitraum. 15/21
Genau dazu findet sich im Bericht: nichts.

Und so können wir faktisch unendlich lange über Maßnahmen fabulieren, über die wir nicht wissen, was sie eigentlich genau sollen… & die am Ende wirkungslos bleiben. 16/21
Das lässt sich gut am Beispiel mit dem staatlich geförderten Vermögensaufbau illustrieren. Die Idee ist, dass Vermögenden nichts weggenommen wird, sondern die Habenichtse Vermögen aufbauen können, so dass sich Vermögensungleichheiten auswachsen. 17/21
Das mag in Situationen, in denen die Vermögensungleichheit nicht sehr hoch ist, ggf ein gangbarer Weg sein. Aber was ist mit Vermögensdifferenzen, die die einzelnen Lebenseinkommen um ein Mehrfaches übersteigen? Über wie viele Generationen soll sich das dann auswachsen?🤨 18/21
Im Grunde läuft der Vorschlag einer staatlichen Förderung von Vermögensaufbau also daraus hinaus, lediglich zu signalisieren, etwas zu tun, aber im Grunde alles so zu belassen, wie es ist. Dazu gehört auch, zentrale normative Fragen & Systemfragen gar nicht zu stellen. 19/21
Und ja, Fragen der Verteilung sind Systemfragen.

Wenn sich Ökonom:innen aber nicht mit solche normativen Fragen – auch großen Fragen – beschäftigen wollen, dann sollten sie bei der empirischen Beschreibung bleiben & gar keine wirtschaftspolitischen Empfehlungen abgeben. 20/21
Und um das am Ende noch einmal klarzustellen: Wenn ich Vermögenskonzentration abbauen will, muss ich erstmal darlegen, warum. Dann brauche ich eine Vorstellung davon, in welchem Umfang, mit welcher Intensität & in welchem Zeitraum die Ungleichheit abgebaut werden soll. 21/21
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