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19 Mar, 35 tweets, 11 min read
1/33 Bei den R-Werten der Landkreise erkennt man sofort das Wesentliche:

Man erkennt nichts.

Das bedeutet etwas. Thread über Tracing, Testen und Tanten.
2/33 Das liegt daran, dass selbst die Landkreise, die Quarantäne professionell erheben vollkommen unterschiedliche aufgestellt sind - und sich fast alle mehr oder weniger gleich entwickeln.
3/33 Wenn sich morgen 500 Erlanger zusammen täten und ein paar Grundsätze befolgen, könnte Erlangen vermutlich als erstes die #Notbremse lockern.

Sie dürfen nur nicht versuchen, etwas schlaues zu machen. Impact of delays on effectiveness of contact tracing strateg
4/33 Covid ist aus einem besonderen Grund gefährlich: Wer infiziert ist, steckt andere an, bevor Symptome erscheinen.

Wenn Lisa heute Symptome hat, hat sie vielleicht vor drei Tagen Lars angesteckt. Und der wird morgen selbst ansteckend. https://www.thelancet.com/cms/10.1016/S2468-2667(20)30157-2/
5/33 Viele Kontakte, wenig Erinnerung. Deshalb muss das Tracing schnell geschehen. Und die Kontaktpersonen schnell getestet werden, damit wieder einen Schritt früher unterbrochen werden kann. https://science.sciencemag.org/content/368/6491/eabb6936
6/33 Der Aufwand ist groß: Ohne Kontaktbeschränkungen hatte eine Person 59 "enge" Kontakte, und davon konnten beispielsweise in Großbritannien 36 (61%) getraced werden.
ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/P…
7/33 Und wer es gut machen will, braucht Zeit: Eine Stunde für das Gespräch mit dem Kontakt, und dann 3 bis 20 Minuten pro Telefonkontakt. 200 Minuten pro Fall. Im Lockdown hatte Infizierte wohl 2 -3 Kontakte, derzeit dürften es bei uns 4 bis 5 sein.
8/33 Das schlägt sich im Personal nieder. Die frühe Pandmie kannte daher entweder das Modell "App" oder das Modell "viele".

- in Wuhan waren es 1 Tracer pro 1200 Bürger, um wieder zu öffnen
- Die USA schätzten 100.000 pro 328 Mio, um wieder öffnen zu können.
9/33 80 pro 100.000 (Wuhan) oder 30 pro 100.000 (USA)

npr.org/sections/healt…

Wir planten mit 25 pro 100.000 als Zielzahl. Die war schon ein optimistischer Kompromiss. In Dresden bspw. gab es am 05. November 40, nötig wären 140 gewesen. Zeitverzug das Ergebnis.
10/33 Wohlbemerkt: Nötig, um bei einer Inzidenz von 50 arbeitsfähig zu sein wären 25. Wir hatten weniger, und unsere Inzidenz war höher. Wir wurden der linke Kasten unten. Aber dann - dann gab es die Königslösung: Grenzwerte ändern. Dann gabs weniger K1 und K2.
11/33 Dann rettete uns SORMAS. Das läuft seit Januar 2021 in 90% aller Gesundheitsämter.

War der Plan, in der Realität sieht das anders aus. Das ist bestimmt ein klasse Programm - aber in einer Krise auf neue Technologie umzusteigen ist selten klug.
kommunal.de/sormas-Erwin-R…
12/33 Forschungsarbeiten wie diese säten Zweifel an Menschen und weckten Hoffnung: Technologie! Digital! Einfach!

Ja, fast mühelos sollte es sein. Soll sich die App doch das alles merken. https://www.thelancet.com/cms/10.1016/S2468-2667(20)30157-2/
13/33 Aber, wie *jede* Technologische Lösung ging es auch der Corona-Warn-App: Was uns nicht im Alltag nutzt, wird auch im Alltag nicht benutzt.

Stattdessen haben wir ein veritables Testing und Tracing Delay aufgebaut. Mit Folgen, die hier modelliert wurden. https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2020.06.10.20125013v
14/33 Wir sind in der ganz linken Grafik gelandet. Wir würden Stand jetzt nicht einmal bei einer Inzidenz von 25 öffnen können. https://science.sciencemag.org/content/368/6491/eabb6936
15/33 Inzidenz hin oder her: Um zu Öffnen, müssen wir beweisen,
1. dass wir alle *derzeitigen* Kontakte nachverfolgen.
2. dass wir alle Kontakte nachverfolgen können, die durch die Öffnung erst noch entstehen.

Da waren wir *noch nie*
16/33 Wir haben die "Arbeitsfähigkeit" der Gesundheitssämter durch erreicht durch

1. Umdefinieren von "Kontaktpersonen"
2. künstliches Senken der Inzidenzwerte

17/33 Das bedeutet, egal wie die Zahlen sind:

Wenn wir nicht alle entstehenden Kontakte tracen können, wird es eine exponentielle Entwicklung geben, die irgendwann die Kliniken füllt. Auch mit Kindern.

Außer Corona ist zu Ende. https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2020.06.10.20125013v
18/33 Das bedeutet aber auch: Egal wie die Zahlen sind -

wenn wir alle entstehenden Kontakte tracen können, wird es *keine* exponentielle Entwicklung geben.

Wie können wir das Schaffen? Einige Grundregeln.
19/33 Landkreise, die mehr als 7 mal die Infektionen der letzten 14 Tage tracen, steigen nicht stärker als der Durchschnitt. Also 7 pro Fall bei harten Maßnahmen.

Das entspricht etwa 20 pro 100.000. Zu wenig. Nehmen wir die Chinesische Messlatte: 70.
20/33 In Köln müssten also 700 Tracer Vollzeit arbeiten bei einer Inzidenz von 100. Die ist wegen der Mutation allerdings mit mehr Kontakten verbunden. Und sie steigt. Und sie ist real über 200.

21/33 Und es gibt langfristige Risiken, die wir noch gar nicht überblicken.
22/33 Ich glaube, in Köln müssen wir die 700 wegen Dunkelziffer, der Mutationen und steigender Inzidenzen mal 7 nehmen. Sagen wir:

5.000 Tracer in Köln.
1.500 Tracer in Karlsruhe.
1.000 Tracer in Kassel.
500 Tracer in Kaiserslautern.
250 Tracer in Kleve.
23/33 Außerdem finde ich:

- Wir sollten ausschließlich Technologie nutzen, die wir auch im Alltag nutzen.
- Wir sollten das Tracing nicht outsourcen und uns dann darüber aufregen. Sondern die Ämter unterstützen.

24/33 Die wirksamten menschlichen Technologien waren am Ende immer soziale Technologien. Wenn es der größte Slum Asians, Dharavi, schafft, dann schafft es Detmold vielleicht auch (Mit 375 Tracern).

latimes.com/world-nation/s…

Was müsste geschehen?
25/33 1. Jede Infektion, die erkannt wird, muss im und durch den Freundes- und Tantenkreis sofort zu Tracing führen.
2. In Whatsapp-Gruppen sollen sich alle K1 und K2 organisieren.
3. Alle K1 und K2 bekommen Schnelltests organisiert - 10 Stück pro Person, jeden Tag ein Test.
26/33 4. Covid-Chaser machen eine Vorverfolgung: Suchen den Spreader, der die Ursprungsperson angesteckt hat, und von dort aus weiter nach Kontakten. Vielleicht im Wettstreit? Trace to the top.

Wie würde das inhaltlich funktionieren?
27/33 Hier gibt es Handreichen, sowohl für Tracer, als auch fpr Koordinatoren,.cdc.gov/coronavirus/20…
28/33 Es gibt Präsentationen

resources.jhpiego.org/system/files/r…
29/33 Es gibt Schulungsmaterialien

resources.jhpiego.org/system/files/r…
30/33 Es gibt Schnelltests. Und all das kann gemeinsam dazu führen, dass wir nicht mehr im orangenen Kreis mit 2 Tagen Tracing und 2 Tagen Testergebnis sind, sondern bei der Hälfte - und dann bei 75% statt 40% Wirksamkeit.
31/33 Es gibt den Grundsatz: Tracing 1.0

Nichts smartes, keine Software, keine Nebenziele.

Nur Menschen, die in ihrem eigenen Umfeld Leben retten und ihre Kommune am schnellsten wieder in die Öffnung bringen.
32/33 So ein Schwarm bildet sich nicht von selbst, und vielleicht bin ich Nostalgiker. Dann ist dies ist nur einer der zahlreichen Gedanken, die schön gewesen wären. Aber:
33/33 Wenn Du Lust hast, bei einem kommunalen Tracing mitzumachen: Kommentiere hier, fixe andere an. Wenn es genug sind, werden es alle schon merken. Trace to the top.

Happy #Notbremse-Tag :)
34/33 Es liegt an uns, die Feuer ohne Rauch zu finden und zu löschen.

35/33 Beispiele für die vielschichtigen Aufgaben:

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21 Mar
Bayern sagte im Dez. 2.000 neue Nachverfolger zu, 15 pro 100k Einwohner. Als Zielzahl des Bundes gelten 25/100k. Die Fluktuation war wohl zu groß.

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(1/4) die deutsche Sterbsamkeit

Wir haben laufend 7× so viele Tote wie Dänemark. Schweden 6×.

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20 Mar
Der Staat steckt in einer Krise. Glaubwürdigkeit und Vertrauen schmelzen dahin. Unsere Demokratie ist repräsentativ, und als solche hat sie eine Output-Legitimation. Abgewählt werden die, bei denen der Output nicht mehr stimmt.
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en.m.wikipedia.org/wiki/Metamoder…
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20 Mar
1/8 Die #MPK könnte am 22. handeln. Könnte.

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18 Mar
Wir müssen jetzt diese Kennzahlen beobachten (1/9)

1. #Kita-Hospitalisierung. Die Tätigen/Klinisch-Quote:

1,43% am 17.03.

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