Da jetzt hoffentlich alle Parteien anfangen, ambitioniertere Klimamaßnahmen aufzubieten, möchte ich noch mal daran erinnern, dass selbst die Vorschläge der Grünen nicht für einen 1,5-Grad-Pfad ausreichen. Die restlichen Parteien operieren bisher z.T. massiv mit Magical Thinking.
Magical Thinking ist es auch, darauf zu hoffen, dass Technologien, die heute noch nicht ausgereift & in großem Maßstab einsetzbar sind, die Klimakrise irgendwie abbremsen können (Wasserstoff, CCS, ...).
Klimaschutz bedeutet nicht, die Emissionen zu senken. Es bedeutet, sie zu stoppen. Und das so schnell wir möglich.

Dafür müssen heute verfügbare Lösungen so schnell und großflächig wie möglich ausgebaut werden.
(Und naja, wir werden auch einfach weniger von allem möglichen verbrauchen können (Energie, Ressourcen, Tierische Produkte, Land ... auch wegen der weiteren existentiellen ökologischen Krisen), aber da ist die deutsche Debatte ja leider längst noch nicht.)
Echter Klima- & damit Zukunftsschutz für die Lebensgrundlagen der Bürger:innen erfordert massive Transformationen in allen möglichen Bereichen - umzusetzen (!) in den nächsten 10 Jahren.
Weswegen die kommende Bundesregierung die letzte sein wird, die ausreichende & sozialverträgliche Maßnahmen einleiten kann, um auf einen 1,5-Grad-Pfad zu kommen.

(Das sollte IMHO in jedem Beitrag über die Bundestagswahl genannt & erklärt werden.)
Wer sich fragt, warum u.a. @FridayForFuture & @sciforfuture so ein Aufheben darum machen, sollte noch mal den IPCC-Sonderbericht lesen - und sich bewusst machen, dass die darin beschriebenen Folgen Menschen erleben werden, die heute bereits geboren sind: report.ipcc.ch/sr15/pdf/sr15_…
Und dass bereits heute die Auswirkungen der Klimakrise bei der globalen Erwärmung von 1,2 Grad massiv sind, auch in Deutschland: 3 Jahre Dürren + Ernteausfälle, ungesehenes Waldsterben, austrocknende Seen, Hitzetote, etc. pp. ...
Die Aufweichung der Klimaziele auf eine Begrenzung der globalen Erwärmung auf 2 Grad, ist wie die Behauptung, eine Inzidenz von 100 sei sicher.

Und das gleich im mehrfacher Hinsicht:
1. ist im Pariser Klimaabkommen die Rede von „deutlich unter 2 Grad“ - was IMHO selbst mit 1,9 Grad nicht erfüllt wäre.

(Es macht mich auch völlig wahnsinnig, dass selbst die Klima-Bubble oft von „2-Grad-Ziel“ spricht - es ist ein großes, fettes, für viele tödliches Limit.)
2. gefährden schon „deutlich unter 2 Grad“ die Leben vieler, vieler Millionen Menschen, die Erderhitzung zerstört schon heute Heimaten - vor allem im Globalen Süden.

Das war den Staaten des Globalen Nordens bei den Verhandlungen auch bewusst - es war ihnen nur leider egal.
3. liegen auf dem Weg zu 2 Grad mutmaßlich mehrere Kippelemente, von denen man nicht 100 prozentig bestimmen kann, wann genau sie erreicht werden - was wir aufgrund der Auswirkungen aber besser nicht in der Realität austesten sollten: spiegel.de/wissenschaft/m…
4. sehen Klimaforscher:innen in den vergangenen Jahren immer wieder, dass ihre Prognosen sich bewahrheiten - allerdings schneller als erwartet.

Nicht zumindest zu versuchen, unter der vergleichsweise sicheren Grenze zu bleiben, ist lebensgefährlicher Leichtsinn. Oder Dummheit.
Zumal man 5. überhaupt nicht davon ausgehen kann, dass selbst die ambitioniertesten Anstrengungen überhaupt reichen werden, um unter 1,5 Grad zu bleiben. Die Pfade werden mit unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten berechnet, z.B. 50 Prozent! showyourbudgets.org/de/?country=wh…
Wer würde in ein Flugzeug steigen, dass eine 1:1-Chance hat, abzustürzen?

Wir müssen heute also alles dafür tun, die Emissionen so schnell wie sozialverträglich möglich auf Null zu bringen. Wenn wir damit bei 1,5 Grad landen - super! Wenn wir bei 1,6 laden, auch ... okay.
Die Klimaschutzmaßnahmen, über die wir gerade debattiert, ob wir sie uns leisten können, werden uns allerdings immer noch weit darüber hinaus katapultieren - die Folgen können sich bisher offenbar nur Wenige annähernd vorstellen. Denn die kann sich niemand ernsthaft leisten.

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25 Apr
Warum wird über Klimaschutz-Maßnahmen eigentlich oft berichtet, als wären sie ein Selbstzweck?

Man wolle "grüner werden", nur leider sei das ja sehr teuer und mal schauen, ob man es Menschen schmackhaften machen kann, Bahn zu fahren ...

zeit.de/politik/auslan…
Klar, ohne Menschen "mitzunehmen" - also ihnen zu erklären, warum Maßnahmen wichtig & sinnvoll sind - wird die nötige Transformation nicht durchsetzbar sein.

Aber genau das müssen Politiker:innen & Journalist:innen auch erklären. Klimaschutz ist alles andere als Selbstzweck.
Es geht darum, unsere Lebensbedingungen zu erhalten & Menschenleben zu schützen.

Was ist die Alternative zu Bahnfahren, Fahrrädern & Elektroautos, weniger Fleisch essen, Erneuerbaren Energien, gedämmten Häusern, nachhaltigem Wirtschaften & Konsum ... ?
Read 10 tweets
21 Apr
Warum wird progressive & effektive Klimaschutzpolitik wie beim #EUClimateLaw immer wieder verhindert?

Drei grundlegende Missverständnisse zur #Klimakrise, die das (neben Lobbyinteressen) erklären.

Thread 🧵
1. Weil weder in der Politik, noch in vielen Medien & im öffentl. Diskurs klar verstanden wurde, dass 1,5 Grad nichts Gutes ist. Schon bei 1,2 Grad globaler Erwärmung sehen wir heute dramatische Auswirkungen, auch in Deutschland:
Die Erderhitzung auf 1,5 Grad zu begrenzen, ist bereits ein Kompromiss. Es soll massiven irreversiblen Schaden abwenden. Etwa das Erreichen des Kipppunktes des Grönländischen Eisschilds, dessen Abschmelzen zu 7 Meter Meeresspiegelanstieg führen wird: spiegel.de/wissenschaft/m…
Read 10 tweets
10 Apr
Mir war klar, dass Narrative sehr mächtig sind, dass sie Weltkriege auslösen können, aber auch Gesellschaften zusammenhalten.

Was ich nur selten hinterfragt habe, ist, welchen großen gesellschaftlichen Narrativen ich eigentlich anhänge.
(Ist aber wahrscheinlich auch die Natur von Narrativen, dass man sie für Wahrheiten hält, solange man sie glaubt.)
Narrativ 1: Nicht nur in der Schule habe ich gelernt, dass wir uns seit der Aufklärung an der Wissenschaft orientieren & im Großen & Ganzen rational handelnde Wesen sind.
Read 17 tweets
7 Apr
Unvollständige Liste von Climate-Bubble-Common-Sense, den man von außen nicht ahnt:

1. Die massive Apokalypse-Blindheit

2. Hoffen auf technische Erfindungen zur Lösung der Klimakrise = Magic Thinking

3. ‘It’s easier to imagine the end of the world then the end of capitalism.’
4. Die #Klimaschmutzlobby ist real & hat mit ihren Taktiken, Studien zu kaufen & Zweifel zu streuen, massiven Einfluss. Auf die öffentl. Debatte & Politik.

5. Die Lösungen für die Klimakrise sind weitgehend bekannt, sie werden nur politisch nicht umgesetzt, oft sogar blockiert.
6. Halbierung der Emissionen bis 2030 heißt: Ein Großteil der Transformation muss in 10 Jahren umgesetzt sein. Die politischen Erzählungen von Klimazielen 2040, 2050 sind Bullshit.

7. Um die Klimakatastrophe abzuwenden, braucht es sehr viel mehr als Dekarbonisierung.
Read 4 tweets
30 Mar
Ich lese gerade die unterschiedlichsten Expert:innen zur #Klimakrise - und fast alle erwähnen früher oder später, mehr oder weniger deutlich, dass die Globale Erwärmung irgendwann unsere Zivilisation gefährden wird.
Einige sagen: Wenn wir so weitermachen wie jetzt, vielleicht noch in diesem Jahrhundert. Kinder, die heute geboren werden, würden das also ggf. erleben.
Niemand kann sagen, wann genau das passieren würde. Aber dass die Gefahr öffentlich überhaupt nicht diskutiert wird, ist schon schräg. Schließlich könnte man sich die unterschiedl. Argumentationen zumindest genau anschauen & ggf. Vorkehrungen treffen, um die Gefahr einzudämmen.
Read 11 tweets
29 Mar
In der #Klimakrise leben wir in Parallelwelten: In der einen kämpfen Menschen mit aller Kraft darum, eine lebenswerte Zukunft für möglichst viele Menschen zu erhalten. In der anderen scheinen viele davon auszugehen, dass das noch Zeit hat & sich andere schon darum kümmern werden.
FFF etwa, oder ja, auch, Regierungen.

Mir war klar, dass die Politik zu langsam ist, dass das alles ganz schön knapp wird. Aber mir war nicht klar, wie ernst die Gefahr ist, dass wir es verkacken & das Klimaabkommen nicht einhalten. Und mir war auch nicht klar, was das bedeutet.
Dafür brauchte ich persönlich eine etwas klarere & emotionalere Ansprache. Allein die Fakten & Zahlen zu lesen, half mir nicht, die Bedeutung zu verstehen.

Auf Twitter folge ich schon länger @EricHolthaus & @ClimateHuman, die beide sehr emotional zur Klimakrise kommunizieren.
Read 13 tweets

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