Die Diskussion unter #IchbinHanna dreht sich zu oft um den falschen Gegensatz 1) ‚befristet gemäß WissZeitVG‘ und 2) ‚unbedingt unbefristet‘. Dadurch geraten wichtige Parameter aus dem Blick, etwa die problematische Dimension der Konkurrenz gemessen an Doktorandenzahlen. /1
Das ganze System hat Schlagseite. Die Befristungspraxis und damit der ‚flexible‘ Durchsatz von Wissenschaftler:innen hat ein System ermöglicht, in dem diese zu Token einer Prestige-Messung werden. Im Klartext: Professor:innen werden für Produktionszahlen belohnt. /2
Wenn man also möglichst viele Doktorand:innen möglichst schnell durchbringen muss und dabei möglichst viele Paper produzieren soll, die von möglichst jungen Post-Docs verfasst werden, dann entsteht eine Eigendynamik, die Steuerungsfunktionen beeinträchtigt. /3
Das bringt sich eigentlich im Narrativ der ‚Verstopfung‘ zum Ausdruck, durch das #IchbinHanna angestoßen wurde: Der Durchfluss selbst ermöglicht regionale Akkumulationen oder Anhäufungen, die miteinander in Konkurrenz stehen, das jeweils Meiste in kürzerer Zeit anzuhäufen. /4
Weil die „Qualifikationsphase“ die – wesentliche – Unterscheidung von Promotionsphase und Habilitationsphsse verwischt, wird so alles, von der Doktorandin bis zum Post-Doc als Habilitationskandidatin, zur Ressource für dieses Meta-System. Nicht wiss. Leistung bestimmt also /5
dieses System, sondern es wird bestimmt durch Abschlussquoten, strukturiert durch die Befristungslinien. – Für Professor:innen, Lehrstühle, Fächer, ganze Fakultäten geht es dabei um nicht weniger als ums Überleben: Wer nicht ausreichend produziert, wird gecancelt. /6
Das übt wiederum unterschiedlichen Druck auf die jeweiligen Fächer aus: Während in den MINT-Fächern die technologische usw. Verwertbarkeit in dieser allgemeinen Produktionslogik deren Wert erhöht, wird ihr Durchsatz klassisch durch Leistung bestimmt: Wer gut ist und sich /7
anpasst, kommt durch, auch wenn es weiter prekär bleibt. In den nicht technologisch verwertbaren Wissenschaften ist es, auch wegen ihres Methodenpluralismus, tendenziell leichter, Abschlüsse zu produzieren. Zugleich besteht darin dann aber auch ihr ganzer Wert, eben weil sie /8
nicht technologisch (unmittelbar einleuchtend) verwertbar sind. Das Ergebnis ist erstens ein wesentlich höherer Durchsatz, damit aber zweitens auch eine wesentlich schärfere Konkurrenzsituation. Das zeigt sich dann auch in den Testimonials. /9
Die Befristung liegt also als notwendige Bedingung einem Meta-System zugrunde, auf das sich sämtliche Messparameter in der Kommunikation zwischen Unis, Ländern und Bund beziehen. – Wenn jetzt im „Zukunftsvertrag“ unbefristete Stellen angedacht sind, handelt es sich nicht /10
etwa um eine Rücknahme oder Erleichterung dieser Systemlogik. Nein: Der Zukunftsvertrag will „Studium und Lehre stärken“, also den Durchsatz effizienter gestalten. Dazu muss man wissen, dass man den Unis nicht nur die Finanzierung, sondern auch die Verwaltung für das /11
Evaluationssystem, mit dem das Konkurrenzsystem ‚gemessen‘ wird, aufgehalst hat. Das ist klassische Privatisierung: Wie aus einem Arbeitnehmer eine selbstständige Ich-AG wird, wird aus der Uni quasi ein Managementzentrum für Produktionsmittel. Und da liegt der Hase im Pfeffer./12
Man benötigt sozusagen ‚Facility Manager‘, die die Reibung zwischen klassischer Verwaltung und Fakultäten bzw. Seminaren verringern. Sie organisieren die Einmessung der Studierenden, die Sicherstellung ihrer Grundausbildung (um Abschlüsse zu erhöhen) und die Kommunikation /13
zwischen Studienverwaltung und Studienvollzug. Im Grunde ist es eine Qualitätssicherungsaufgabe, die Fakultäten und Verwaltungen entlastet – ausgeschrieben als Stellen für „Studium und Lehre“. Mit beidem ist man ja befasst, lehren kann man auch, wenn man will bzw. Zeit /14
dafür findet. Aber hier – nicht etwa in der Lehre selbst – besteht die Nachfrage im System. Schließlich steht die Schaffung von unbefristeten Lehrstellen diametral dem Narrativ ‚Flexibilität = Innovation‘ entgegen. Wer entfristet wird, darf sich also auf Hybridstellen freuen, /15
die Verwaltung und Professuren entlasten, die aber zugleich als ‚entfristete Stelle‘ in der direkten, durch Quoten ausgedrückten Gegenüberstellung von ‚befristet / entfristet‘ gezählt wird. Und damit als politisches Argument gegen die gilt, die Befristung beklagen. /16

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11 Jun
Die Beiträge unter #IchbinHanna zeigen deutlich das Ergebnis einer Entwicklung, die in den 1960ern begann: Der Umbau der Universität.

Die geburtenstarken Jahrgänge begründeten Reformen, in denen die Universität zu einer Ausbildungsstätte für Fachkräfte umgebaut wurde. /1
Kaschiert als Modernisierungsmaßnahme wurde das Studium eng mit ökonomisch bestimmten Vorstellungen von einer Vielzahl von Fachkräften verknüpft, die den Aufschwung der letzten Jahrzehnte ausbauen sollten. Schon damals kombinierte man vollmundige Versprechen und rigide /2
Kontrollmaßnahmen, was u. a. zu den Studentenprotesten von Nanterre und bald in ganz Paris führte. Im Krisenjahrzehnt der 1970er endete die Hoffnung auf Aufschwung – und es begann die Regulierung der vielen „faulen Studenten“, die zu lange an der Universität zubrachten. /3
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9 Jun
Noch ein kleiner Nachtrag zur Genese der von Rosefeldt gestern referierten Einteilung der ‚Metaphysik‘ in der Neuzeit (Quelle: HWPhil 5)

13. Jh. Johannes Duns Scotus: Abgrenzung der Metaphysik als Wissenschaft vom Seienden an sich von der Theologie, Nebenordnung von /1
Metaphysik (ens naturae: unabhängig vom Denken) und Logik (ens rationale: als Gedachtes)

14. Jh. William von Ockham: Vorordnung der (einheitlichen) Logik vor die (vielgestaltige) Metaphysik

16./17. Jh. Suárez: Einflussreiche Einteilung der Metaphysik in allgemeine /2
Seinswissenschaft und Wissenschaft von den Intelligenzen (Disputationes Metaphysicae 1597)

17. Jh. Deutsche Schulphilosophie: Stark beeinflusst durch Suárez – Christoph Scheibler: Metaphysik als Lehre vom Seienden als solchen – Lehre von Gott, den Engeln und den Seelen /3
Read 5 tweets
8 Jun
1) Dass Rosefeldt glaubt, „wir“ müssten beim Erkennen „leisten, was Kant eine transzendentale Deduktion nennt“, lässt mich ernsthaft daran zweifeln, dass er sich mit Kants Philosophie beschäftigt...
2) Dass die ‚Easy Ontology‘ nach Eigenschaften von Begriffen wie „Ding“ und „Eigenschaft“ fragt, ohne auch nur einmal kurz selbstkritisch aufzublicken, ist tragisch.
Read 17 tweets
8 Jun
Die allermeisten sogenannten „ontologischen“ Fragen der Philosophie betreffen eigentlich Grund- und Grenzfragen, also Fragen der (Letzt-)Begründung, dem Ursprung, Prinzip usw. – Der Begriff „Ontologie“, der eigentlich aus der Neuzeit stammt, hat sich dabei zu einem Metonym für /1
alle Grund- und Grenzfragen entwickelt, auch als (säkulare) Alternative zur Frage nach dem – theologisch überdeterminierten – ‚Absoluten‘, um das sich die europäische philosophische Diskussion ca. 1650-1800 dreht. – Entsprechend herrscht in der Philosophie heute immer noch ein /2
großes Durcheinander, wenn von ‚Ontologie‘, ‚Metaphysik‘ oder ‚Transzendentalphilosophie‘ die Rede ist. Um dieses Durcheinander zu ordnen, versucht man oft, nach einem anderen neuzeitlichen Schema, dem von ‚Subjekt-Objekt‘ Unterscheidungen einzuführen: /3
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24 May
@MichaelEsders @0kommanichts Foucaults Bruch mit einer marxistisch orientierten Analyse fällt zeitlich ans Ende der 1950er. Das hat weniger mit ‚Ökonomie‘ als mit der Gemengelage des franz. Marxismus zu tun, der – wie bei Garaudy oder auch bei Sartre – Marxismus, Humanismus und Existenzphilosophie kreuzt.
@MichaelEsders @0kommanichts Das von Ihnen genannte Gespräch ist außerdem vom 4. März 1972, nicht von 1968 (Schriften 2, #106). Die Kritik, die beide dort ausformulieren, betrifft die Dialektik von Theorie und Praxis, die von vulgärmarxistischen Positionen stets vereinseitigt und „totalisiert“ wird.
@MichaelEsders @0kommanichts Deleuze wiederum war zwar immer links, aber nie Marxist wie z. B. Lyotard einer war. Ihn interessiert das Verlassen der geschichtsphilosophisch aufgeladenen Letztbegründungsfragen (vgl. seine Hegelkritik in DW) hin zu einer dezidiert konkreten, partikulären Analyse
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16 May
@JochenVenus @WolfgangEssbach Es geht um „Behavior“ im Kontext von Psychologie. Das, was dabei also fraglich ist, kann gerade nicht beobachtet werden. Und nein: Voraussetzungsvolle Gattungsbegriffe sind nicht „die Standardsituation“ und widersprechen auch „ungeklärt“. Im Gegenteil:
@JochenVenus @WolfgangEssbach Ontologische Voraussetzungen in Gattungsbegriffen, die zu empirischen Problemstellungen gehören, sind verantwortlich für das Verfehlen des empirischen Sachverhalts. Weswegen man sie in den real-empirischen Wissenschaften auch einklammert.
@JochenVenus @WolfgangEssbach Die Psychologie hat schließlich nur den Begriff, gar keinen Gegenstand, der sich aus einer logischen Operation ergibt, nicht nur aus einer voraussetzungsvollen Auslegung eines beobachtbaren Sachverhalts. Ihr Gegenstand *ist* dieser Begriff.
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