Die Beiträge unter #IchbinHanna zeigen deutlich das Ergebnis einer Entwicklung, die in den 1960ern begann: Der Umbau der Universität.

Die geburtenstarken Jahrgänge begründeten Reformen, in denen die Universität zu einer Ausbildungsstätte für Fachkräfte umgebaut wurde. /1
Kaschiert als Modernisierungsmaßnahme wurde das Studium eng mit ökonomisch bestimmten Vorstellungen von einer Vielzahl von Fachkräften verknüpft, die den Aufschwung der letzten Jahrzehnte ausbauen sollten. Schon damals kombinierte man vollmundige Versprechen und rigide /2
Kontrollmaßnahmen, was u. a. zu den Studentenprotesten von Nanterre und bald in ganz Paris führte. Im Krisenjahrzehnt der 1970er endete die Hoffnung auf Aufschwung – und es begann die Regulierung der vielen „faulen Studenten“, die zu lange an der Universität zubrachten. /3
Das Studium wurde rationalisiert und bald wurde gefragt, was eigentlich die einzelnen Fächer und ihre Inhalte zur Effizienz von Studium und Ausbildung beizutragen hatten. In den 1980ern eroberte die „Wettbewerbsfähigkeit“ als Kriterium die Universität. /4
Ab 1988, als mit der Magna Charta Universitatum der Bologna-Prozess ins Rollen kam, wurde diese um das Kriterium der „Internationalisierung“ ergänzt. Mit diesen beiden Kriterien hebelten politische und wirtschaftliche Interessengruppen die Universität als rein /5
wissenschaftliche Institution endgültig aus. Vorbild wurden die – in GB bereits in den 1930ern, in den USA spätestens in den 1950ern – auf Linie gebrachten, d. h. auf Wettbewerb ausgerichteten angelsächsischen Universitäten. Seitdem hat der ökonomische Zugriff die gesamte /6
Universität erobert: in den Systemlogiken des #WissZeitVG und der Einführung der Zeit- und Punkteordnung, die Studium, Lehre und Forschung nach ökonomisch auswertbaren Maßstäben standardisieren; in den Finanzierungsmodellen von Journals und Verlagen; in den Gremien der /7
Universitäten; in der pseudo-pragmatischen Wettbewerbslogik unter Wissenschaftlern, die durch Existenzangst und strukturelle Grausamkeit Innovation und Qualität sichern soll, aber vor allem sophistisches Durchwursteln, Opportunismus und Innovationsvermeidung fördert; /8
mit einem Wort: in der allseitigen Einbindung der Wissenschaft in unwissenschaftliche Prozesse, Kriterien und Politiken, genährt durch eine populistisch erzeugte Verdachtshermeneutik gegen Wissenschaftler:innen im öffentlichen Diskurs. – Wissenschaft wird seit Jahrzehnten /9
nach Maßgaben beschnitten, die der gleichen Logik folgen wie diejenigen politischen und ökonomischen Entscheidungen, die unsere Lebensgrundlagen bedrohen: Was nicht für einen unmittelbaren Zweck als nützlich erscheint, kann weg oder muss angepasst werden. /10
Wie immer bei populistischen Narrativen besitzt auch die Vorstellung, die Universität sei ideologisch gesteuert, einen wahren Kern – nur ist diese Steuerung weitaus effektiver als es sich dieses Narrativ vorstellt und betrifft eine Ideologie, die für die Öffentlichkeit /11
so selbstverständlich geworden ist, dass sie es nicht mehr als Ideologie erkennt: die Ideologie einer Wirtschaft, die nach dem Vorbild des totalen Marktes jeden Lebensbereich effizient organisiert und kontrolliert. Und wir haben jeden Hebel gegen diese Ideologie verloren. /12

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9 Jun
Noch ein kleiner Nachtrag zur Genese der von Rosefeldt gestern referierten Einteilung der ‚Metaphysik‘ in der Neuzeit (Quelle: HWPhil 5)

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