Die Hospitalisierungsrate ist als Größe für das Pandemiemanagement kriminell dumm.

Dabei meine ich noch nicht mal den Effekt, dass es doof ist, so viele Kranke zu produzieren, wie nur in die Krankenhäuser passen. Das auch.

Ich meine ein viel wichtigeres Problem:
Wer ein dynamisches Geschehen unter Kontrolle haben will, braucht einen frühen Blick auf das Geschehen. Die Daten dürfen gerne unperfekt sein, wenn man nur gefährliche Dynamiken rechtzeitig mitbekommt.
Autofahrer kennen das: Je schneller, desto weiter schaue ich nach vorne. Damit ich noch innerhalb des beobachteten Bereichs bremsen kann.
Die Hospitalisierung hängt aber den Inzidenzen nach. Und die berichteten Inzidenzen hängen wieder dem Infektionsgeschehen nach. In Summe kommen wir auf grob 2 Wochen.

Die Hospitalisierungsrate zeigt also Probleme erst zwei Wochen später an.
Zwei Wochen, das ist doch nichts. Oder?

Zwei Wochen haben den Niederlanden ausgereicht, um wieder fast auf die Höhe des Winterpeaks zu kommen. 14 Tage.
Das sind genau die 14 Tage, in denen die Hospitalisierungsrate blind ist, weil die Zahlen erst mit Verzögerung steigen.
Es ist Wahnsinn, nacheilende Indikatoren zu nehmen, wenn ich eine dynamische Situation kontrollieren will.

Niemand fährt auf der Autobahn mit Blick durch die Heckscheibe. Niemand. Die, die es versucht haben sind alle tot. Nach vorne schauen ist sicher. Frühe Indikatoren!
In der Technik ist das Problem gelöst. Heißt Kaskadenregler. Ein schneller Regler, der Ruhe in das System bringt und ein Regler, der einen größeren Zeithorizont berücksichtigt und den ersten mit angepassten Sollwerten füttert.

Das macht man, wenn der schnelle Regler ungenau ist
So ein Konstrukt würde ich bauen, wenn meine Buddies die Krankenhäuser betreiben und Kunden brauchen würden. Dann kann man mit einem Kaskadenregler fein einstellen, dass immer die Hälfte der Intensivbetten voller COVID-Patienten ist.

Nur wer ist so zynisch?
Die richtige Antwort ist: Ansteckungen runter, Erkrankungen runter, Todesfälle runter.

Die wenigen verbleibenden Fälle werden mit konsequentem Test-Trace-Isolate daran gehindert, andere anzustecken.

Das ist das Rezept, allgemeine Einschränkungen zu reduzieren.
Die einzige Wirkung von der Hospitalisierungsrate ist, dass wir jetzt einen offiziellen Indikator bekommen, der es den Durchseuchern leicht macht, die Hände in den Schoß zu legen, weil: "Ist ja noch nicht schlimm"
Diese Kennzahl wird uns noch bitter beißen. Ich habe keine Ahnung, wie das @rki_de noch jemand unironisch Seuchenbekämpfungsbehörde nennen kann.

Was ein Scheiß!
Gibt es irgendwo einen Wetttopf, mit Wetten nach wie vielen Wellen die Deutschen endlich aufmucken?

Das ist doch schon alles nicht mehr zu erklären.
Hier ist ein Pandemiemanagement mit Ahnung von Regeltechnik. Ist nicht so schwer.

Wenn wir das machen würden, dann ließen wir die Impfungen jetzt wirken und würden jetzt die Pandemie nur aus Test-Trace-Isolate kontrollieren können.

Aber gutes Handwerk ist nicht so sexy wie es scheint.
Wisst Ihr eigentlich, wie froh ich bin, im allerersten Lockdown Meditieren und Bananenbrotbacken gelernt zu haben?

Jetzt regt mich das gar nicht mehr auf und ich kann ganz ruhig bleiben.

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12 Jul
Pandemiebekämpfung ist strukturell ganz einfach:

Ein Mensch steckt mehrere andere an, das Virus breitet sich aus.

Das Gute: Das Virus hat keinen Stoffwechsel, kann nicht denken, doofe Taktik, nicht existente Strategie.
Das Schlechte: Der Mensch scheinbar auch nicht.
Wenn ein Infizierter mehr als einen anderen ansteckt, dann breitet sich die Pandemie aus. Nicht schwierig.

Dann werden immer mehr Leute krank und sterben. Die Gesellschaft wird unruhig und shoppen will dann auch keiner mehr.
Also sollte jeder Infizierte vielleicht weniger als einen Menschen anstecken, dann werden es immer weniger, die Pandemie läuft sich aus und die Menschen fühlen sich wieder sicher und shoppen wieder.

Flappsig formuliert, aber Gesundheit und Wirtschaft gehen hier Hand-in-Hand.
Read 41 tweets
25 Apr
Ich wollte Euch mal einladen, die Pandemie unter einem anderen Blickwinkel zu sehen. Nicht so sehr als wir gegen das Virus. Folgt mal den Gedanken, wenn Ihr Lust habt.
Ein Virus hat keinen eigenen Stoffwechsel, es kann nicht denken. Biologisch gilt es nicht wirklich als lebendig. Es verhält sich nach klaren Regeln (auch wenn wir die Regeln anfänglich erstmal erkennen mussten), es verhält sich vorhersehbar, wie unzählige Vorhersagen zeigen.
Ein Kampf, wir gegen das Virus, ist völlig unfair. Das ist kein strategischer Gegener. Kein taktischer Gegner. Überhaupt kein ernst zu nehmender Gegner.

Wenn wir wollen ist das Ding platt. Die Regeln sind klar, wie es geht ist klar, wehren kann es sich nicht.
Read 14 tweets
24 Apr
Was mir nicht aus dem Kopf will ist, dass die Politik glaubt, zur Bundestagswahl ist die Pandemie vorbei. Das wird sie nicht sein.

Keine der im BT vertretenen Parteien hat eine Position zu Corona im Wahlprogramm. Das ist kurzsichtig.
Und ja, natürlich soll uns die Pandemie nicht die ganze Legislaturperiode beschäftigen, aber diese Strategie, den Kopf bei Corona in den Sand zu stecken wird nicht aufgehen.
1) Die #Bundesnotbremse mit ihrem Bezug auf Inzidenzen in der Gesamtbevölkerung wird wie ein Thermostat die Inzidenzen bei 100 oder 165 halten.

Je mehr Erwachsene geimpft sind, desto mehr verlagert sich das Geschehen in die Kinder. Spitze der Welle kurz vor der Wahl.
Read 7 tweets
23 Apr
Noch mal was versöhnliches zum Abend. Wir sind uns an ganz vielen Stellen einig liebe #Allesdichtmachen . Nicht im Ton, aber in der Sache.

Die Einschränkungen nerven, die Masken nerven, die Kontakte fehlen, wirtschaftlich nervt es ganz viele.

Und: ich will auch keine Angst.
Und die Gemeinsamkeiten gehen weiter: Die Regierungen könnten besser kommunizieren. Wir könnten mal einen Plan haben, ein Ziel, ein Ende. Nicht nur impfen irgendwann. Nein, HIER, JETZT, ICH.
Und noch mehr: Ich will nicht Nachrichten und Podcasts hören und denken: Oh, mein Gott. Noch eine Variante, noch eine Hiobsbotschaft, noch mehr Angst. Ich will nicht mehr.
Read 15 tweets
23 Apr
Das sind auch so Gedanken, die mir kommen. Lest es Euch mal durch. Es lohnt sich.
Die Pandemiebekämpfung hat etwas offenbart, was ich bisher so nur in anderen Ländern verortet hatte:

"Mir doch egal, wer unter mir Kanzler ist und regiert" sagte der Lobbyist.
Ich komme an den Punkt, dass die Demokratie in ihrer bisherigen Form dem Bürger nicht mehr dient und der Bürger auch weit weniger Einfluss hat, als das sein Stimmengewicht von 1:84 Mio denken ließe.
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22 Apr
Die #Bundesnotbremse ist an Zynismus nicht zu überbieten. Sie erreicht das Gegenteil von dem, was sie erreichen soll.

Der Reihe nach.
Die #Bundesnotbremse soll die Zahlen senken. Das wird sie nicht, weil die beschlossenen Maßnahmen für eine Inzidenz über 100 nicht ausreichen, #B117 einzudämmen. Warum man das mit Sicherheit sagen kann? Weil das im Januar und Februar ausprobiert wurde.
Aber Jan-Feb sind doch die Zahlen gefallen!

Ja, die vom damaligen Wildtyp. #B117 ist unter den Bedingungen auf das Problem gewachsen, das wir jetzt haben. Das wird es auch weiter tun.

Mittlerweile macht #B117 90% aus.
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