Pandemiebekämpfung ist strukturell ganz einfach:

Ein Mensch steckt mehrere andere an, das Virus breitet sich aus.

Das Gute: Das Virus hat keinen Stoffwechsel, kann nicht denken, doofe Taktik, nicht existente Strategie.
Das Schlechte: Der Mensch scheinbar auch nicht.
Wenn ein Infizierter mehr als einen anderen ansteckt, dann breitet sich die Pandemie aus. Nicht schwierig.

Dann werden immer mehr Leute krank und sterben. Die Gesellschaft wird unruhig und shoppen will dann auch keiner mehr.
Also sollte jeder Infizierte vielleicht weniger als einen Menschen anstecken, dann werden es immer weniger, die Pandemie läuft sich aus und die Menschen fühlen sich wieder sicher und shoppen wieder.

Flappsig formuliert, aber Gesundheit und Wirtschaft gehen hier Hand-in-Hand.
Wir müssen also dahin kommen, dass ein Infizierter weniger als einen anderen im Schnitt ansteckt. Da gibt es viele Möglichkeiten für.

Wir können auf Immunität setzen. Da gibt es zwei Wege: Die natürliche Immunität durch Erkrankung und die künstliche durch Impfung.
Abgesehen davon, dass das schon bei HIV kein gangbarer Weg ist, ist auch die natürliche Immunität bei COVID kein guter Pfad.

Erstens ist der Deal "Ich werde jetzt krank, damit ich nachher nicht mehr krank werde" kaum zu vermitteln.
Und zweitens hat Südafrika das mal für uns ausprobiert. Die natürliche Immunität ist so schwach, dass sich Menschen mehrfach anstecken können. Die sich dabei durchsetzenden Immunescapevarianten schaffen es sogar ziemlich zuverlässig, eine zweite Infektion zu erzeugen.
Es gibt keine zuverlässige natürliche Immunität. Zumindest nicht bis große Teile der Bevölkerung COVID mehrfach hatten und das KANN NICHT DAS ZIEL sein.
Streichen wir den Durchseuchungsquatsch also von der Liste der möglichen Taktiken.

Er ist nicht nur menschenverachtend. ER WIRKT NOCH NICHTMAL. Die Südafrika-Variante ist der Beweis dafür.
Und weil wir es nicht glauben wollten, hat Indien den Beweis nochmal nachgeführt.

Gute Wissenschaft besteht darin, dass sich die Ergebnisse wiederholen lassen.

Wir können jetzt aufhören damit. Das Ergebnis ist klar.
Ok, also künstliche Immunität. Impfen. 150 Impfstoffkandidaten sind gestartet, eine Handvoll ist in Europa zugelassen, ein Dutzend irgendwo auf der Welt. Mittlerweile gibt es rund 220 Programme.

Erfahrene Riesen wie Sanofi sind an der Impfstoffentwicklung gescheitert.
Das ist keine Häme. Im Gegenteil, das zeigt nur, welches Glück wir haben mit den Impfstoffen, die wir haben.

Ein einziger Impfstoff übrigens, ein einziger, ist an jeder Impf-Erfolgsgeschichte auf dieser Erde beteiligt. Einer.

Das Abendgebet geht heute Abend mal nach Mainz.
Israel, GB, USA, EU keine Erfolgsgeschichte wäre so denkbar gewesen, wenn dieser Impfstoff nicht durchgekommen wäre. Wir haben ein Schweineglück.

Nicht nur wirksam, sondern auch ein Scale-Up auf gigantische Mengen. Zuverlässig. Wow.
Jetzt haben wir diesen Baustein der Pandemiebekämpfung und müssen ihn auch einsetzen. Ja, auch bei U16, liebe Impfzentren und auch schnellstmöglich bei U12. Auf!

Denn was uns bleibt, macht weniger Spaß und kostet mehr. Viel mehr.
Wenn ein Infizierter weniger als einen Menschen anstecken soll, dann kann man auf Immunität setzen. Ok. Haben wir jetzt diskutiert. Und bei nicht-Immunen?

Da bleiben zwei Möglichkeiten: Kontakt mit Schutzmaßnahmen und kein Kontakt also Kontaktvermeidung.
Diese Einteilung kennen alle. Das ist "Maske tragen, Hände waschen, Lüften, nach draußen verlegen, den Plexiglasgott anbeten" gegen "Partyverbot, Konzertverbot, Kontaktbeschränkungen, Fernunterricht"

Ich will auf eine andere Einteilung hinaus, weil ich sie besser für uns finde:
Und zwar geht es mir um die Unterscheidung von Maßnahmen im Umfeld von Infizierten im Vergleich zu Maßnahmen in der allgemeinen Bevölkerung.

Denn die Ansteckungen sind lokal. Es zählen nur die Kontakte in der Nähe Infizierter.

Fehler zwischen Gesunden sind irrelevant.
Eine Inzidenz von 100 pro 100000 und 7 Tage bedeutet, dass einer von 1000 infektiös ist (wenn man 7 Tage infektiös wäre, was lange geschätzt ist)

Einer von Tausend, der andere anstecken kann, die anderen 999 sind epidemisch völlig egal.
Dumme Frage: Was wirkt besser? Maßnahmen bei dem einen oder Maßnahmen bei allen? Gleiche Maßnahmen würden gleich wirken. Aber die gesellschaftlichen Kosten sind ganz anders.

Bisher setzen wir auf Maßnahmen für alle und lassen die Gesundheitsämter mit schlampiger Arbeit durch.
Das ist dumm. Wir müssen nur verhindern, dass ein Infizierter andere ansteckt. Wie sich die anderen verhalten ist völlig egal.

Welche anderen? Bei der aktuellen 10er-Inzidenz sind das die 9999 anderen.
Der Deal ist ganz einfach: Jede Maßnahme, die ich im Umfeld von Infizierten wirksamer mache, erlaubt mir, der Allgemeinheit weniger Auflagen zu machen.
Der ist wichtig, nochmal: Je besser wir im Umfeld von Infizierten die Ansteckungen verhindern. Durch Testen, Nachverfolgen, Isolieren und andere Maßnahmen, auf die ich gleich komme,
desto weniger Auflagen brauchen wir allgemein.
Bei den niedrigen Inzidenzen, die wir haben kann ein fähiges Gesundheitsamt, das vor allem auch handeln darf, die Ansteckungen so eindämmen, dass wir keine oder kaum allgemeine Maßnahmen bräuchten.

Wir könnten jetzt "frei" sein, wenn wir an der Stelle konsequent wären.
Sind wir nicht, also steigen die Zahlen gerade wieder und, wie gerade in den NL, alle jetzt beschlossenen Lockerungen werden wieder zurückgenommen, wenn die Zahlen wieder hoch genug sind.

Nur dann kommen die Gesundheitsämter nicht mehr hinterher. Hohe Inzidenz, hoher Aufwand.
Und wenn die Gesundheitsämter über alle Fälle keinen spürbaren Beitrag mehr leisten, dann trägt wer die Last? Na alle, Lockdown in irgendeiner Form oder Durchseuchung, wenn wir aufgeben.

Unnötig, wir sind in einer guten Ausgangssituation. Auch gegen Delta.
Und erst, wenn das nicht reicht. Die Impfungen und natürliche Immunität, die wir jetzt haben, die Bemühungen im Umfeld von Infizierten, dann brauchen wir mehr allgemeine Einschränkungen zur Pandemiekontrolle.
Und Kontrolle ist da sehr binär: Steigen die Zahlen sind wir außer Kontrolle, sinken die Zahlen, haben wir die Kontrolle.

Ich will die Kontrolle nicht hergeben, wir haben sie aber schon wieder hergegeben und die vierte Welle läuft. Hier ist die entscheidende Auswertung:
Was können wir noch tun, damit die Lage uns nicht entgleitet, damit wir nicht die allgemeinen Regeln wieder anziehen müssen? Durchseuchen ist keine valide Taktik. Menschenverachtend und funktioniert noch nicht einmal.

Also, wie?
Gibt es etwas, was wir im Umfeld der Infizierten machen können?

Bisher denken wir das sehr binär: Quarantäne oder gar nichts. Das sollten wir aufweichen.

Erstmal bin ich für viel mehr Quarantäne. Bei einem Fall in einer Schulklasse, muss die Klasse in Q. Gleiches im Büro.
Wenn jemand infektiös ist, dann müssen alle, die sich mit ihm in einem geschlossenen Raum aufgehalten haben in Q. Ohne Rücksicht auf Maske, Abstand, bla, bla, bla.

Nochmal: Jede Infektion, die uns hier durch die Lappen geht baden wir alle mit schärferen Maßnahmen aus.
Und wenn auch dann jemand nicht in Q soll, gäbe es ja noch weitere Maßnahmen, Infektionsketten zu brechen.

Wie wäre ein spezifisches Kontaktverbot? Wer gerade der Q entwischt ist, geht 14 Tage nicht zur Arbeit, kein ÖPNV, Einkaufen, Schule, aber darf raus, spazieren, spielen.
Oder Testpflicht. Schnelltest jeden Tag, Foto digital eingeschickt. 14 Tage lang. Kostet einen Witz und ist sehr wirksam.
Wir sollten unser Repertoire an Maßnahmen im Umfeld von Infizierten stark erweitern und aggressiv einsetzen. Jede vermiedene Ansteckung hier erspart Maßnahmen für alle. Eine bessere Kosten-Nutzen-Abwägung bekommen wir nirgends.
Und zuletzt, ich nenne es etwas spöttisch Bombenräumung, wir sollten in Hotspots aggressiv Massentests machen. Von Tür zu Tür gehen, Testen und Testen und Testen. Jede gefundene Infektion dann wieder aggressiv angehen.

Unser Katastrophenschutz ist riesig. Lasst sie mal machen!
Lieb zu den Menschen (Care-Pakete, Hilfestellungen jeder Art) aggressiv zu dem Virus (jede weitere Ausbreitung im Keim (haha) unterbinden).

Aktuell lassen wir Polizei die Feiernden im Park räumen, das ist das Gegenteil und dumm.
Und erst, wenn das nicht reicht, dann machen wir allgemeine Maßnahmen. Aber intelligent bitte. Nicht ein paar politische Alphatiere überlegen sich nachts um drei, wie es weitergeht, sondern mit Feedback und Sinn und Verstand und den Parlamenten. Hier ist der Vorschlag dazu:
Nehmt das mal zur Kenntnis. Ein besserer Weg ist möglich.
Nochmal in aller Dichte:

-Wir sind ein einer guten Ausgangslage.
-Kein so schlechter Impfstand, gutes Tempo. Mehr geht immer.
-Fähige Gesundheitsämter, brauchen nur die klare Vorgabe: Nett zu den Menschen, erbarmungslos zum Virus. Im Umfeld der Infizierten. Mit allen Ideen.
- und zuletzt erst allgemeine Maßnahmen. So wenig wie möglich, ohne die Kontrolle zu verlieren, so viel wie nötig. Nach Feedback, ohne Berufspolitiker. Wir fragen auch nicht erst den Bürgermeister, ob die Feuerwehr löschen darf, die macht das. Dafür gibt es Regeln.
Dann wären wir schon fast durch. In der Erwachsenenwelt reicht das schon.

Mein Sorgenkind sind die Kinder in den Schulen mit den Bildungspolitikern, die nicht wahrhaben wollen, was doch so klar ist.

Wer den Kopf in den Sand steckt, knirscht am nächsten Tag mit den Zähnen.
Aber zu Schule kommt noch ein eigener Thread. Das bleibt Thema und verlaufsbestimmend.

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12 Jul
Die Hospitalisierungsrate ist als Größe für das Pandemiemanagement kriminell dumm.

Dabei meine ich noch nicht mal den Effekt, dass es doof ist, so viele Kranke zu produzieren, wie nur in die Krankenhäuser passen. Das auch.

Ich meine ein viel wichtigeres Problem:
Wer ein dynamisches Geschehen unter Kontrolle haben will, braucht einen frühen Blick auf das Geschehen. Die Daten dürfen gerne unperfekt sein, wenn man nur gefährliche Dynamiken rechtzeitig mitbekommt.
Autofahrer kennen das: Je schneller, desto weiter schaue ich nach vorne. Damit ich noch innerhalb des beobachteten Bereichs bremsen kann.
Read 16 tweets
25 Apr
Ich wollte Euch mal einladen, die Pandemie unter einem anderen Blickwinkel zu sehen. Nicht so sehr als wir gegen das Virus. Folgt mal den Gedanken, wenn Ihr Lust habt.
Ein Virus hat keinen eigenen Stoffwechsel, es kann nicht denken. Biologisch gilt es nicht wirklich als lebendig. Es verhält sich nach klaren Regeln (auch wenn wir die Regeln anfänglich erstmal erkennen mussten), es verhält sich vorhersehbar, wie unzählige Vorhersagen zeigen.
Ein Kampf, wir gegen das Virus, ist völlig unfair. Das ist kein strategischer Gegener. Kein taktischer Gegner. Überhaupt kein ernst zu nehmender Gegner.

Wenn wir wollen ist das Ding platt. Die Regeln sind klar, wie es geht ist klar, wehren kann es sich nicht.
Read 14 tweets
24 Apr
Was mir nicht aus dem Kopf will ist, dass die Politik glaubt, zur Bundestagswahl ist die Pandemie vorbei. Das wird sie nicht sein.

Keine der im BT vertretenen Parteien hat eine Position zu Corona im Wahlprogramm. Das ist kurzsichtig.
Und ja, natürlich soll uns die Pandemie nicht die ganze Legislaturperiode beschäftigen, aber diese Strategie, den Kopf bei Corona in den Sand zu stecken wird nicht aufgehen.
1) Die #Bundesnotbremse mit ihrem Bezug auf Inzidenzen in der Gesamtbevölkerung wird wie ein Thermostat die Inzidenzen bei 100 oder 165 halten.

Je mehr Erwachsene geimpft sind, desto mehr verlagert sich das Geschehen in die Kinder. Spitze der Welle kurz vor der Wahl.
Read 7 tweets
23 Apr
Noch mal was versöhnliches zum Abend. Wir sind uns an ganz vielen Stellen einig liebe #Allesdichtmachen . Nicht im Ton, aber in der Sache.

Die Einschränkungen nerven, die Masken nerven, die Kontakte fehlen, wirtschaftlich nervt es ganz viele.

Und: ich will auch keine Angst.
Und die Gemeinsamkeiten gehen weiter: Die Regierungen könnten besser kommunizieren. Wir könnten mal einen Plan haben, ein Ziel, ein Ende. Nicht nur impfen irgendwann. Nein, HIER, JETZT, ICH.
Und noch mehr: Ich will nicht Nachrichten und Podcasts hören und denken: Oh, mein Gott. Noch eine Variante, noch eine Hiobsbotschaft, noch mehr Angst. Ich will nicht mehr.
Read 15 tweets
23 Apr
Das sind auch so Gedanken, die mir kommen. Lest es Euch mal durch. Es lohnt sich.
Die Pandemiebekämpfung hat etwas offenbart, was ich bisher so nur in anderen Ländern verortet hatte:

"Mir doch egal, wer unter mir Kanzler ist und regiert" sagte der Lobbyist.
Ich komme an den Punkt, dass die Demokratie in ihrer bisherigen Form dem Bürger nicht mehr dient und der Bürger auch weit weniger Einfluss hat, als das sein Stimmengewicht von 1:84 Mio denken ließe.
Read 10 tweets
22 Apr
Die #Bundesnotbremse ist an Zynismus nicht zu überbieten. Sie erreicht das Gegenteil von dem, was sie erreichen soll.

Der Reihe nach.
Die #Bundesnotbremse soll die Zahlen senken. Das wird sie nicht, weil die beschlossenen Maßnahmen für eine Inzidenz über 100 nicht ausreichen, #B117 einzudämmen. Warum man das mit Sicherheit sagen kann? Weil das im Januar und Februar ausprobiert wurde.
Aber Jan-Feb sind doch die Zahlen gefallen!

Ja, die vom damaligen Wildtyp. #B117 ist unter den Bedingungen auf das Problem gewachsen, das wir jetzt haben. Das wird es auch weiter tun.

Mittlerweile macht #B117 90% aus.
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