Menschen glauben den Wissenschaftler*Innen ihres Vertrauens. Die Frage ist, worauf das Vertrauen beruht.
(Vorgelesen von mir: traffic.libsyn.com/forcedn/expidf…)
Leute diffamieren mit dem Kampfbegriff „wissenschaftsgläubig“ diejenigen, die ganz gern wichtige Entscheidungen auf Evidenz basieren würden - ich sag nur „kLImAreLiGIon“ – und werfen der Gegenseite damit vor, nicht wissenschaftlich skeptisch zu sein.
„Wissenschaft wird nicht geglaubt, die wird gewusst!“
Ist das so?

Und wähnen sich hier nicht alle auf der Seite der Wissenschaft?
Als Wissenschaftler weiß ich natürlich, dass Erkenntnisse, für die es ganz viel Evidenz aus unabhängigen Quellen gibt, nicht „geglaubt“ werden *müssen*.
Und doch wird ganz viel in der Wissenschaft, mehr oder weniger geglaubt.
(Disclaimer: 1: ich bin kein Philosoph; 2: Ich verwende „Glaube“ umgangssprachlich und unklar definiert; 3: naturwissenschaftlicher Bias)
Prinzipiell solltest du jede Aussage in einem 5kg schweren Lehrbuch in Schriftgröße 9 mit Experimenten nachvollziehen können. Die Quellen mit den Versuchsbeschreibungen sind ja angegeben. Macht aber keiner.
Werdende Wissenschaftler verlassen sich darauf, dass die wissenschaftliche Gemeinschaft eine Studie begutachtet, diskutiert und verifiziert hat, bevor ihr Ergebnis als Fakt im Lehrbuch landet.
Leider passieren diese Dinge nicht immer zeitnah. Schon des Öfteren haben sich angebliche Forschungsergebnisse als gesichert festgesetzt, ohne dass sie wirklich jemals einer harten Überprüfung haben standhalten müssen.
Ich denke da immer an die „Replication Crisis“ der Sozialpsychologie. Viele, auch außerhalb der Wissenschaft berühmte, Erkenntnisse waren nur einmal und nur ganz schlecht demonstriert worden, wurden aber gemein hin einfach als gesichert betrachtet.
Das fiel irgendwann auf, die Versuche wurden verbessert und wiederholt. Viele Ergebnisse stellten sich als falsch heraus.
Hurrah, die Selbstkorrektur der Wissenschaft! Aber in der Zwischenzeit war da schon ganz viel „blindes“ Vertrauen im Spiel gewesen.
Menschen, die keine Experten in einem Gebiet sind, müssen sich natürlich noch mehr auf das verlassen können, was sie in den Medien so finden. Auch als Wissenschaftler ist man außerhalb seines Fachgebiets ein Laie mit mehr oder weniger relevanter Bildung.
Und das ist der Punkt, an dem Wissenschaftsglaube, meiner Meinung nach, tatsächlich existiert: Wenn die Menschen eine wissenschaftliche Behauptung glauben müssen, weil sie sie nicht nachvollziehen können und sich dann vehement hinter diese Behauptung stellen.
Das gilt vor allem, wenn die Behauptungen einem in den Kram passen. Rassistische Ansichten von Wissenschaftlern fielen auf fruchtbaren Boden, in einer Zeit, in der man andere Völker ausbeuten und versklaven wollte. Diese „Ergebnisse“ wurden lange nicht sehr skeptisch betrachtet.
Viele Menschen mögen sich gedacht habe, „ja, wenn die Wissenschaft das sagt, wird es so sein“, als sie widerspruchslos bei Eugenik zugesehen haben. Das sind so Sachen, wo man nicht eingestehen will, dass man falsch lag – auch nicht vor sich selbst. Heute ist das anders, oder?
Vertraut ihr Drosten und Ciesek, ohne wirklich in der Tiefe zu verstehen, was sie in ihrem Podcast so erzählen? Habt ihr deren Qualifikation nachgeprüft? Hört ihr den Podcast überhaupt? Wenn ihr nicht sehr sorgfältig wart, seid ihr nicht allein.
Aber, solange ihr den Wissenschaftler*Innen vertraut, die meistens recht haben, ist ja gut 😉 – ich denke auch, dass die beiden vertrauenswürdig sind.
Allermindestens vertrauenswürdiger als ein Ökoschwurbler aus Österreich, der zwar mal Bio studiert hat, aber zurzeit sein Geld mit Büchern für Impfgegner verdient.
Es liegt in unserer Natur den Quellen zu vertrauen, denen Bekannte, Freunde oder Lieblingspromis usw. vertrauen. Oder wir vertrauen Institutionen wie dem NDR oder der Charité.
Auch Attraktivität und Charisma beeinflussen ob wir jemandem vertrauen, sagt die Sozialpsychologie, glaub ich.
Natürlich wäre es toll, wenn immer, wenn jemand ankommt und sagt „die Wissenschaft sagt“, man nicht erst fragen würde, was dieser gerade im Schilde führt, sondern sich einen Überblick verschafft. Aber das Gegenüber in irgendein Lager einteilen, das macht man ganz automatisch.
Gleiches Lager = Zustimmung; anderes Lager = Ablehnung. Also zumindest ist das der erste Impuls und die Tendenz.
Seit dem Studium habe ich über 20 Jahre Erfahrung mit Biologie; das erlaubt mir Impf-Schwurbler von weltweit führenden Epidemiologen anhand ihrer Inhalte unterscheiden zu können; aber dem Heizungsbauer, der unsere kaputte Erdwärmeanlage reparieren soll, dem muss ich vertrauen.
Und dann verlasse ich mich ganz automatisch auf weniger klare Hinweise. Menschenkenntnis und so. Das bedeutet für das Wissenschaftskommunikaty, das Laien ansprechen will: Vertrauenswürdigkeit ist das A und O; sonst bringen die tollsten Inhalte vielleicht nichts.
Nicht ohne Grund gelten großangelegte Attacken auf die Vertrauenswürdigkeit von unabhängigen Medien und Experten übrigens als Vorboten des Faschismus.
In einer Demokratie müssen die Menschen die Möglichkeit haben, evidenzbasierte Entscheidung zu treffen. Sie sollen skeptisch sein, aber der richtigen Wisskomm glauben. Gleichzeitig haben viele weder Zeit noch Muße noch Interesse, all die komplexen Themen zu durchdringen.
Populisten und Scharlatane bestätigen die Sorgen und Ängste der Menschen und verstärken sie damit – egal wie hart ihre kruden Thesen an der Realität vorbei gehen. Die Menschen fühlen sich verstanden und bestätigt, und begehren gemeinsam auf, gegen die „Wissenschaftsdiktatur“.
Ehrliche Wissenschaftskommunikation baut auf persönliche Nahbarkeit, Offenheit und Transparenz. Man erklärt, welche Fragen geklärt und ungeklärt sind; man erklärt wie Wissenschaftler denken; und man arbeitet dabei mit dem Publikum zusammen, statt sie (nur) zu belehren.
Wem vertraust Du? Und warum?

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(Thread von mir gelesen: traffic.libsyn.com/forcedn/expidf…)
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1 Nov
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(Thread von mir gelesen: traffic.libsyn.com/forcedn/expidf…)
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30 Oct
Heute geht es hier darum, wie die heutigen intellektuellen Vordenker der Politischen und Religiösen Rechten in den USA den Weg bereiten für autoritäres, (proto)-faschistisches Denken und so zu seiner schleichenden Normalisierung beitragen.
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Abgesehen davon, dass Elmers in einem Nebensatz behauptet, „Millionen von illegalen Einwanderern“ würden sich nie kulturell einleben und seien „rechtlich wie auch politisch Fremde“ (a lot to unpack even here), formuliert er den Kern des Christlichen Nationalismus ganz deutlich:
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