Kurzer Thread zu #Corona als Kommunikationsaufgabe, inkl. Rückschau und Blick nach vorne.

1. Ich halte es für einen Kardinalfehler, dass die Regierungen in Deutschland vor allem auf Passivität als Strategie gesetzt haben (Bleibt zu Hause, sog. "Lockdowns", die keine waren).

1/
Ich verstehe die Gründe (u.a. Vorbilder in anderen Ländern, wissenschaftlicher Rat etc.), nur, wenn man diesen Weg gehen will, muss man ihn konsequent gehen. Das hat niemand versucht. Vor allem hat niemand versucht, das Vertrauen in diese Strategie breit zu fördern.

2/
2. Damit sind wir bei einem zweiten Fehler: mangelnde Kommunikation. Insbesondere die wissenschaftlich getriebene #NoCovid-Bewegung hat Kommunikation immer nur als Beiwerk gesehen und nicht erkannt, dass a) die Zeiten der Sender-Kommunikation vorbei sind und ...

3/
... b) das Vertrauen in die Absender nicht da ist. Viele Wissenschaftler*innen und andere aus der #NoCovid-Bewegung haben aber dieses Vertrauen vorausgesetzt und waren nicht bereit, diese Einschätzung zu überprüfen.

4/
Warum aber war dieses Vertrauen nicht da? Wir "Deutschen" sind doch so "autoritätsfixiert"? Tja, denkste. Vertrauen ensteht durch Integrität, die sich u.a. in konsistentem und stringentem Verhalten und Reden zeigt (Merkel kann das), aber da war Wahlkampf in Bund und Ländern.

5/
Das bedingt fast zwangsläufig eine Kakophonie. Den letzten Schubs über die Klippe haben der Integrität dann windige Maskendeals, uninformierte Minister*innen und medial hochgejazzte Expert*innen mit Minderheitenmeinungen gegeben.

6/
Ein weitere schwerer Kommunikationsfehler: Die Regierungen haben von Anfang an auf fakten-autoritäre,(deutschsprachige) Elitenkommunikation mit einem lustigen Einsprengsel (Opa erzählt vom Krieg-Spot) gesetzt - und selbst diese nicht mit dem nötigen Werbedruck betrieben.

7/
Wie es anders geht, hat u.a. die AIDS-Kampagne gezeigt: Ausbildung von Multiplikator*innen, Dialog auf Augenhöhe und kanalübergreifende, emotionale Werbung, in deren Folge Fakten transportiert wurden.

8/
Gerade in einer Medienwelt, wie unserer, in der Influencer*innen in sehr spezifischen Communities eine enorme Reichweite und Wirkung haben, hätte die Chance bestanden, Menschen zu aktivieren, die in allen Sprachen der Welt ihr Publikum erreicht hätten.

9/
Ich gehe soweit, dass es wert wäre zu überprüfen, ob und inwiefern der strukturelle Rassismus in Behörden eine der Ursachen war, warum niemand diese Chance gesehen hat und in der Folge vor allem Arme, Alte und "Ausländer" besonders unter der Pandemie gelitten haben.

10/
Zu den Communities zähle ich übrigens auch die der Impfgegner*innen. Auch hier könnte sich ein Blick in die Sozialstruktur lohnen - von den deutschen "Evangelikalen" im Südwesten bis zu den "Wendeverlierer*innen" im Osten. Diese Hotspots sind identifizier- und untersuchbar.

11/
3. Der Blick nach vorne
Ich bin überzeugt, dass all das, was ich geschrieben habe, immer noch machbar ist, ja, gemacht werden muss. Allerdings braucht es jetzt halt mehr Zeit, Geld und Willen - und vermutlich eine Impfpflicht, zumindest für Personal in Pflege und Gesundheit.

12/
Auch darüber hinaus kann die Impfpflicht sinnvoll sein. Diese wird aber nur dann nicht die bestehenden sozialen Verwerfungen verschärfen, wenn sie durch emotionale Kommunikation auf Augenhöhe über glaubwürdige Multiplikator*innen (nicht Uschi Glas und Günther Jauch) erfolgt.

13/
Wird das ein Selbstläufer? Nein, eine uphill battle. Aber wir brauchen sie, wenn nicht für diese Pandemie, dann für die nächste - und für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Und wir werden uns dabei unangenehmen Fragen (u.a. Rassismus, soziale Spaltung) stellen müssen.

END

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More from @BendlerBlogger

28 Oct
Hot-Take für #MilTwitter (und alle anderen auch) zur Zukunft der #Bundeswehr.

Das grundsätzliche Problem: Wir müssen die (in Teilen nicht funktionierende) Bundeswehr der Gegenwart betreiben und gleichzeitig die Bundeswehr der Zukunft aufbauen – mit dem Personal, das wir haben.
Sehr viele Kommentare wirken auf mich so, als ob es reichte, die aktuellen Defizite zu beseitigen, um die Bundeswehr der Zukunft zu schaffen. Darin sehe ich auch eine Ursache für die Fixierung auf die Personalstärke. Das halte ich für einen fundamentalen Fehler.
Eine informierte Diskussion müsste auf plausiblen Projektionen in einem wirklich strategischen Zeitraum aufbauen (mindestens 10 Jahre). Ich sehe derzeit nicht, dass die Bundeswehr oder die deutsche Politik die dafür nötigen intellektuellen Ressourcen aufwendet.
Read 10 tweets
17 Aug
Thread: Hot take zum Einsatz der #Bundeswehr im Rahmen der laufenden Evakuierungsoperation in #Afghanistan aus Kommunikationssicht.

Vorweg: Ich habe keinen Zweifel daran, dass alle eingesetzten Soldat*innen alles in ihren Kräften stehende tun, um Menschen zu retten.
1/x
Was ich bewerte, ist das Kommunikationsverhalten der verantwortlichen Politiker*innen sowie der Organisation Bundeswehr.

Das prägende Muster: Quasi alle kommunizieren zu spät, zu wenig und ohne sich auf den Kontext zu beziehen.

2/x
Das zeigt sich unter anderem daran, dass Erklärungen für bestimmte Entwicklungen immer nur nachgeschoben werden. Entscheidend wäre in dieser Situation, auch kommunikativ "vor die Lage" zu kommen. Das ist schwer, wenn man operativ hinterherhinkt. Möglich ist es aber dennoch.

3/x
Read 17 tweets
20 Jun
Gestern Morgen, kurz nach Sieben. Wir rollen auf den Rädern nebeneinander durch die leere Stadt. Ein Kleinwagen überholt uns – und hupt. Die Ampel kurz danach ist rot. Das Auto steht auf der für Räder vorgesehenen Fläche. Wir halten neben dem Wagen.
Die Fahrerin ist eine ältere Frau, neben ihr sitzt eine Jüngere. Ich frage: „Sie wissen schon, dass Sie auf der für Fahrräder vorgesehenen Fläche stehen?“ Keine Reaktion. Beide starren geradeaus. Das Hupen war wohl doch kein Kommunikationsangebot. Ich frage dennoch nach.
Bin ein bisschen belehrend: „Übrigens, beim Überholen müssen Sie 1,50 Meter Abstand halten.“ Der Vorsatz, nicht zu kommunizieren, scheitert. Watzlawick regelt. Die Ältere reagiert, reckt ihre Hand, die Altersflecken deutlich sichtbar, und fährt den Mittelfinger aus.
Read 5 tweets
19 Jun
@rezomusik und @TiloJung liefern selbst den eigentlichen Grund, warum die Absage von @ArminLaschet richtig war. Auch professionelle Gespräche brauchen Vertrauen und Verbindlichkeit. Dazu gehört auch, mit einer Absage klarzukommen und sie nicht zum Teil der Inszenierung zu machen.
Die Abwertung durch @georgstreiter wiederum ist ebenso unangemessen. Jede*r darf sich Journalist*in nennen (PR-Berater*in übrigens auch). Und den Begriff „Zerstörung“ will er absichtlich immer noch nicht verstehen. Das ist Teil seiner Inszenierung.
Alle Beteiligten an #LaschetKneift sind damit Brüder und Schwestern im Geiste, Darsteller*innen, denn die Welt ist eine Bühne. Sie spielen halt nur jede*r für ihr eigenes Publikum. Das ist der Weg in die weitere Spaltung. Die lässt sich wiederum hervorragend monetarisieren.
Read 4 tweets
13 Mar
Ich habe mal mit mir selbst geredet und die Frage diskutiert, warum ich Institutionen, Behörden und deren Vertreter:innen so scharf kritisiere. Meine vorläufige Antwort: weil ich mich damit auch immer selbst kritisiere.
Konkret wird das bei mir derzeit in der Auseinandersetzung darum, ein Kind vom Präsenzunterricht zu befreien. Hier steht meine Risikobewertung im fundamentalen Gegensatz zu dem der @RegHessen. Es ist nicht so, dass ich die grundsätzliche Entscheidung, die Schulen zu öffnen, ...
... nicht verstehe. Für viele Eltern und Kinder ist es genau das, was sie brauchen und sie sind bereit, das damit verbundene Risiko einzugehen. Wir nicht. Von kluger Politik erwarte ich deshalb in einer Ausnahmesituation, dass sie Entscheidungsfreiheit ermöglicht.
Read 14 tweets
11 Mar
So, zum Abend ein kleiner Thread für alle #Corona-Logik-Freund:innen. Wir setzen uns ja gerade mit der Schule auseinander, unter welchen Bedingungen ein Kind vom Präsenzunterricht befreit werden kann. Auf unsere erste Erklärung, dass uns das Risiko zu hoch ist, weil ...
... in einer Pandemie mit steigendem Infektionsgeschehen und Virusmutationen, nicht ausreichend verfügbare Schutzmöglichkeiten genutzt werden, konkret:
- verpflichtende medizinische Masken
- Lüftungsanlagen
- Schnelltests
Auf diese Argumente reagierte die Schule autoritär unter Verweis auf das Schulamt und informierte uns, dass die Abwesenheit als unentschuldigte Fehlstunden eingetragend werden müssten. Dahinter steckt eine Eskalationslogik, die bis zu Bußgeldern und Strafverfahren führen kann.
Read 10 tweets

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