Die einen nennen das Ergebnis der #COP26 "historisch", andere bezeichneten die Verhandlungen von vornherein als BlahBlah.
Wie kann es sein, dass Beobachter:innen & Beteiligte zu so unterschiedlichen Einschätzungen kommen?
Und: Wer hat recht?
Die zunächst paradox anmutende Antwort: Beide.
Es kommt auf die Perspektive an.
(Wohl die allermeisten Expert:innen haben eh einen differenzierten Blick, betonen aber - je nach Strategie oder Weltsicht - eine der beiden Seiten.)
Die Perspektive der einen: Nach Jahrzehnten von Verhandlungen ist es tatsächlich ein Fortschritt, nicht mehr auf 4 Grad Erderhitzung oder mehr zuzusteuern, sondern „nur noch“ auf 2,4 Grad.
So traurig es ist: Es ist daher tatsächlich ein Fortschritt, dass der wissenschaftliche Konsens erstmals breit anerkannt wurde und dass man erstmals festhält, aus der Kohleverstromung aussteigen und Subventionen tw. beenden zu wollen.
Die Haltung dahinter: Ja, es wäre unbedingt nötig, dass alle sich ambitionierte Ziele stecken und vor allem handeln. Aber sie tun es nun mal nicht.
Und auf den Konferenzen robbt man zumindest gemeinsam immer ein Stück voran.
Die Idee hinter den COPs: Sie sollen politischen Druck und Dynamik erzeugen und so zu Ergebnissen in der realen Welt führen. Denn nur gemeinsam werden wir die Klimakatastrophe abwenden können.
Die Perspektive der anderen: Nach 26 COPs & 6 Jahre nach dem Pariser Klimaabkommen steigen die Emissionen weiter, sinken zumindest nicht gesteuert.
Solange die Staaten nicht entschlossen handeln, sondern vor allem verhandeln, ist die Krise nicht eingedämmt und nichts gewonnen.
Seit Jahrzehnten wird gesagt, dass JETZT aber wirklich dringend gehandelt werden müsse – dadurch wird die Aussage nicht falsch. Hätte man damit 1995 begonnen, wäre uns, und vor allem den Menschen im globalen Süden, einiges an vermeidbaren Katastrophen erspart geblieben.
Jedes Jahr des Nicht-Handelns verschärft die Krise und macht die Katastrophe für mehr Menschen real.
Obwohl die Folgen der Klimakrise nun auf allen Kontinenten schmerzlich sichtbar werden, schalten die Regierungen nach all den Feuern und Fluten und Hitzewellen und Hungersnöten, die uns 2021 schon bei 1,2 Grad Erderhitzung heimgesucht haben, noch immer nicht in den Krisenmodus.
Es ist absurd: Noch immer ringen sie sich gegenseitig Zusagen ab, wer bereits ist, was wann (oft widerwillig) aufzugeben, anstatt sich ein reales Wettrennen zu liefern, wer als erstes klimaneutral ist.
Wenn wir die Erderhitzung in der Nähe von 1,5 Grad stoppen wollen, erfordert das große, strukturelle Transformation. Weltweit und sofort.
Die Emissionen müssen JETZT drastisch sinken, aber niemand hat einen ausreichenden Plan dafür. Vom Handeln ganz zu schweigen.
Dabei ist 1,5 Grad nichts Gutes.
Aber es ist das Beste, was wir (langfristig) vielleicht noch erreichen können.
Und die Regierungen versuchen es nicht mal.
Die Folgen werden bei 2,4 Grad nicht einfach doppelt so schlimm wie bei 1,2. Sie werden katastrophal. Denn Auswirkungen wie das Waldsterben werden nicht graduell, sondern schlagartig & großflächig sichtbar - und auf dem Weg zu 2,4 Grad liegen mutmaßlich Kipppunkte.
Es ist wahrscheinlich eine Illusion, dass wir die Erderhitzung wie auf einem Thermostat ansteuern könnten. Selbst wenn uns das nicht automatisch in eine riesige Erhitzungsspirale schicken sollte, werden dabei Ökosysteme irreversibel zerstört und weitere Erwärmung getriggert.
Die 1,5 Grad einhalten zu wollen, wird auf dem Papier mehrfach bekräftigt. Doch das allein ist nicht viel Wert, denn das Zeitfenster, in dem es möglich ist, das vielleicht noch einzuhalten, schließt sich rapide.
Würde man das wirklich wollen - hätten alle wirklich begriffen, warum wir zumindest alles tun sollten, was möglich und nötig ist, um es zu probieren (ich empfehle hier nochmals @Dtl2050) - dann hätte diese Konferenz anders ausgesehen.
Regierungen würden sich überbieten, wer zuerst mit Kohle, Öl & Gas, mit allen fossilen Subventionen & dem Verkauf von Verbrennern aufhört, Autos aus Innenstädten verbannt, Erneuerbare Energien & Öffentl. Verkehrsmittel ausbaut, hier & heute Wälder schützt, nicht erst in 8 Jahren.
Alles, was geht, würde man sofort umsetzen, um so viele Emissionen wie möglich einzusparen: Tempolimit, Inlandsflüge, Fahrradinfrastruktur, Agrarreform, Moorvernässungen ...
Das ist nicht der Fall.
Deswegen sollen die Staaten - auch das ein Verhandlungserfolg, yay - schon im nächsten Jahr Nachbesserungen präsentieren, also Ende 2022.
Klingt soweit logisch, nur leider beißt sich das zunehmend mit der Physik. Nötig sind: Emissionsminderung um mindestens 45 Prozent bis 2030. Das sind pro Jahr etwa so viel wie 2020 durch die weltweiten Einschränkungen durch Corona zufällig (!) erreicht wurden.
Werden 2022, wie 2021 auch, die Emissionen nicht entsprechend gesenkt, sondern sogar wieder gesteigert, müsste in den Folgejahren entsprechend sogar mehr reduziert werden.
Mehr einsparen als durch die Corona-Lockdowns? Jedes Jahr?
Fast erstaunlich, dass mittlerweile, um die Ziele noch zu erreichen, neben Technologien, die CO2 aus der Luft saugen können, nicht auch für Zeitmaschinen geworben wird.
Die Größe der Herausforderung ist nicht verstanden - oder wird sogar als Ausrede benutzt, dass es nicht mehr zu schaffen sei.
Die Zeit läuft ab. Das CO2-Budget wird mit jedem Jahr weiter aufgebraucht. Die Länder können nicht beliebig lang nachbessern.
Entweder wir erkennen das jetzt & überlassen es nicht mehr vor allem Schüler:innen & Betroffenen aus dem globalen Süden, Druck zu machen, auf die Regierungen.
Oder wir lassen das Zeitfenster verstreichen. Bewusst, oder unbewusst. Und leben – oder sterben – mit den Konsequenzen.
Ja, globale Anstrengungen sind notwendig, aber COPs vielleicht nicht der einzige Weg. Wenn nicht nur einzelne Vertreter:innen, sondern ganze Regierungen kapiert hätten, wie die Lage ist, dann könnten sie einfach entsprechend handeln.
Aus Anstand & Verantwortung. Und weil es das Handeln ist, das zählt.
Auch das würde eine Dynamik entfalten. Vielleicht sogar eine größere.
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Gegenfrage: Ist Corona-Berichterstattung Aktivismus?
Waren die Journalist:innen von @zeitonline aktivistisch, als sie zu Beginn der Pandemie eine Erklärung der damals für uns neuen AHA-Regeln auf ihrer Homepage fest eingebettet hatten?
Offensichtlich mit der Absicht, ihre Leser:innen aufzuklären und so im Idealfall auch Verhalten zu beeinflussen und zur Eindämmung des Virus beizutragen?
Late to the party, aber ich habe mir noch mal das Klima-Herbst-Programm des @mdrde angeschaut & muss sagen: Ich bin echt ganz schön beeindruckt.
Ich habe jetzt noch nicht alle Inhalte gesehen, aber hier ein paar Punkte, die ich bemerkenswert finde ... mdr.de/presse/fernseh…
- Mit dem Themenschwerpunkt gehen strukturelle Veränderungen einher.
- Der MDR schafft neue Formate, verstärkt Klima aber auch in bestehenden.
- Sie arbeiten mit etablierten Expert:innen, stärken aber auch die Expertise im Haus.
- Sie versuchen gesellschaftl. Dialog zu fördern.
- Sie brechen das vermeintlich abstrakte, globale Thema auf Entwicklungen vor der Haustür runter & machen sie so greifbar und verständlich.
- Sie zeigen Lösungsansätze aus der Region.
Um genauer zu beurteilen, wie gut das gelingt, müsste ich jetzt noch mehr Beiträge anschauen.
Mein Thread, in dem ich erkläre, warum Angela Merkel meiner Meinung nach das Ausmaß der #Klimakrise nicht komplett verstanden haben kann, war mein bisher meist kritisierter.
Tut mir Leid, kann man anders sehen, aber nach ihrer Rede bei der #COP26 bleibe ich da eindeutig dabei.
Wer verstanden hat, wie tief wir in der Scheiße stecken und welche Auswirkungen das für schon heute lebende Generationen hat – längst nicht "nur" für die Jungen –, wenn wir nicht massiv gegensteuern und Regierungen endlich effektiv handeln.
Und wer sich dann in seiner letzten großen Rede, in der er nichts, aber auch gar nichts mehr zu verlieren hat, hinstellt und völlig ungerührt komplett unzureichende Maßnahmen bewirbt – dafür muss man schon sehr, sehr abgebrüht sein.
Wann ist eigentl. der Zeitpunkt, ab dem mehr Grüne anfangen deutlicher über die #Klimakatastrophe zu sprechen? Vor der Wahl ging nicht wegen Wahl, gerade geht nicht wegen Koalitionsverhandlungen. Danach? Oder geht das nicht, weil man es davor nicht gemacht hat & nun komisch wäre?
Das ist nicht despektierlich gemeint, ich verstehe ja die Logik. Aber ich stelle mir die Frage echt. Denn uns läuft ja die Zeit davon & ich weiß noch immer nicht, wie wir eine Krise lösen sollen, dessen Ausmaß sich die allermeisten Menschen offenbar gar nicht bewusst sind.
Wenn wir letzteres nicht ändern, werden wir keine Mehrheiten von den nötigen Maßnahmen überzeugen können. (Ich weiß, um die Rolle des Journalismus hier, aber in einem Kommunikationsmodell gibt es unterschiedliche Beteiligte.)
Es macht mich ein bisschen wahnsinnig, dass #Klimaangst in Beiträgen oft als was Pathologisches dargestellt wird.
Ich habe auch Angst vor der, vor meiner Zukunft.
Und wie ich mir in Gesprächen mit X Klimawissenschaftler:innen habe bestätigen lassen, ist das komplett rational.
Menschen, die Angst haben, sind weder komisch noch haben sie per se ein Problem. Diese Angst ist eine normale Reaktion, wenn man sich dem stellt, was auf uns zukommt.
Sie wird zum Problem, wenn sie eine:n lähmt & dauerhaft überwältigt. Dann kann & sollte man sich Hilfe suchen.
Ich denke nicht, dass man aktiv Angst erzeugen sollte, um Menschen den Ernst der Situation klar zu machen. Überhaupt nicht, das ist nur kontraproduktiv & führt zu Verdrängung.
Aber man kann nicht verhindern, dass Menschen sich sorgen, wenn sie das Ausmaß der Krise verstehen.
Christian Stöcker und Nikolaus Blome als Kolumnisten anheuern und dabei übersehen, dass der eine jede Woche schmissig den Stand der Forschung zusammenfasst. Und der andere einfach nur eine starke (politische) Meinung hat: spiegel.de/politik/deutsc…
Man kann Fridays for Future gerne für überheblich halten und dass auch Gleichalterige das tun, ist vielleicht sogar wirklich Teil des Problems.
Man kann kritisieren, dass es von der Klimabewegung nicht klug war, die Grünen zu kritisieren statt zu unterstützen.
Ich halte es ebenfalls für eine extrem verallgemeinerte Darstellung, "die Jungen" hätten die Klimakrise verstanden und "die Alten" nicht. Es gibt auch unter jungen Menschen sehr viele, die kein genaues Bild davon haben, wie akut die Klimakatastrophe ihre eigene Zukunft bedroht.