Gegenfrage: Ist Corona-Berichterstattung Aktivismus?
Waren die Journalist:innen von @zeitonline aktivistisch, als sie zu Beginn der Pandemie eine Erklärung der damals für uns neuen AHA-Regeln auf ihrer Homepage fest eingebettet hatten?
Offensichtlich mit der Absicht, ihre Leser:innen aufzuklären und so im Idealfall auch Verhalten zu beeinflussen und zur Eindämmung des Virus beizutragen?
Sind Journalist:innen, die zu #CumEx und allen möglichen Papers recherchieren, Anti-Steuerhinterziehungs-Aktivist:innen?
Waren die Journalist:innen, die damals Wulff zu Fall gebracht oder allen möglichen Minister:innen Plagiate nachgewiesen haben Anti-Regierungs-Aktivist:innen?
Wohl keine:r von ihnen hat recherchiert, damit danach alles so bleibt, wie zuvor.
Journalist:innen verfolgen (grundsätzlich) das Ziel, die Öffentlichkeit aufzuklären und damit gesellschaftliche Diskurse und informierte Entscheidungen zu ermöglichen.
Warum sollte das bei der Frage, ob wir die Welt für uns lebenswert und bewohnbar erhalten anders sein?
Die These lässt sich auch nur so lange aufrechterhalten, wie Menschen nicht bewusst ist, wie akut diese Krise ist und um was es hier gerade geht. Und das innerhalb eines sehr kleinen Zeitfensters.
Die Trennung von Aktivismus und Journalismus ist dennoch wichtig. Journalist:innen sollten m.E. zu Bewegungen und Gruppen eine gewisse Distanz bewahren und sich so offenhalten, auch kritisch über sie zu berichten. Es geht nicht darum, Werbung für ihre Positionen zu machen.
Aber das ist auch gar nicht nötig. Es geht darum, Fakten korrekt und verständlich zu erklären, Zusammenhänge aufzuzeigen, Interessen zu hinterfragen, Argumente kritisch einzuordnen und an wissenschaftlichen Erkenntnissen abzugleichen.
Und wenn dabei herauskommt, dass Aktivist:innen einen Punkt haben, hier auf wissenschaftlich nachweisbare Probleme Aufmerksam machen und legitime Interessen vertreten, dann sollte - ja, dann muss - man das als Journalist:in auch so einordnen.
Bei (naturwissenschaftlichen) Problemen einfach alle möglichen Positionen gleichberechtigt zu Wort kommen zu lassen, produziert nicht Ausgewogenheit, sondern False Balance. Sichtweisen nur abzubilden, ohne sie einzuordnen, ist nicht objektiv, sondern uninformiert. Oder faul.
Wir unterliegen einer Illusion von journalistischer Neutralität. Allgemein, aber speziell beim Klima: Wir können uns nicht unparteiisch zwischen 2 Positionen stellen.
Was ist die 2. Seite zu effektivem Klimaschutz? Kein Klimaschutz. Also die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen.
Wenn Journalist:innen für Demokratie und Menschenrechte Haltung ergreifen, wird das nicht als Aktivismus wahrgenommen, sondern als Teil unserer journalistischen Aufgabe als 4. Gewalt. (Zumindest wenn es um die Rechte weißer Menschen geht.)
Wie genau wir Demokratie und Menschenrechte in den kommenden Jahren und Jahrzehnten aufrechterhalten sollen, wenn wir unsere Lebensgrundlagen zerstören und Staaten und Gesellschaften destabilisieren, konnte mir bisher noch niemand erklären.
Falls euch das noch nicht überzeugen sollte, gern her mit euren Fragen und Anmerkungen. Ich weiß, dass das Thema viele Kolleg:innen – oder besser: deren Kolleg:innen in den Redaktionen 👀– sehr beschäftigt.
Nachtrag zu mir, denn ich kenne den Busch-Funk:
Ich bin in diesem Sinne vielleicht Aktivistin für eine bessere Klimaberichterstattung. Aber vielleicht bin ich auch einfach eine Kollegin, die ein Problem sieht und es deutlich benennt.
Und ja, ich vertrete die Haltung, dass wirksamer Klimaschutz unbedingt notwendig ist. Einerseits, weil ich den breiten wissenschaftlichen Konsens anerkenne und das auch ethisch die einzig humane Haltung finde.
Andererseits, ja, ich gebe es zu, aus Eigeninteresse. Wir Journalist:innen sind auch Menschen.
Und, naja, ich hatte noch ein paar Pläne für meine Zukunft. Und ich bin nicht bereit, die einfach aufzugeben.
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Late to the party, aber ich habe mir noch mal das Klima-Herbst-Programm des @mdrde angeschaut & muss sagen: Ich bin echt ganz schön beeindruckt.
Ich habe jetzt noch nicht alle Inhalte gesehen, aber hier ein paar Punkte, die ich bemerkenswert finde ... mdr.de/presse/fernseh…
- Mit dem Themenschwerpunkt gehen strukturelle Veränderungen einher.
- Der MDR schafft neue Formate, verstärkt Klima aber auch in bestehenden.
- Sie arbeiten mit etablierten Expert:innen, stärken aber auch die Expertise im Haus.
- Sie versuchen gesellschaftl. Dialog zu fördern.
- Sie brechen das vermeintlich abstrakte, globale Thema auf Entwicklungen vor der Haustür runter & machen sie so greifbar und verständlich.
- Sie zeigen Lösungsansätze aus der Region.
Um genauer zu beurteilen, wie gut das gelingt, müsste ich jetzt noch mehr Beiträge anschauen.
Mein Thread, in dem ich erkläre, warum Angela Merkel meiner Meinung nach das Ausmaß der #Klimakrise nicht komplett verstanden haben kann, war mein bisher meist kritisierter.
Tut mir Leid, kann man anders sehen, aber nach ihrer Rede bei der #COP26 bleibe ich da eindeutig dabei.
Wer verstanden hat, wie tief wir in der Scheiße stecken und welche Auswirkungen das für schon heute lebende Generationen hat – längst nicht "nur" für die Jungen –, wenn wir nicht massiv gegensteuern und Regierungen endlich effektiv handeln.
Und wer sich dann in seiner letzten großen Rede, in der er nichts, aber auch gar nichts mehr zu verlieren hat, hinstellt und völlig ungerührt komplett unzureichende Maßnahmen bewirbt – dafür muss man schon sehr, sehr abgebrüht sein.
Wann ist eigentl. der Zeitpunkt, ab dem mehr Grüne anfangen deutlicher über die #Klimakatastrophe zu sprechen? Vor der Wahl ging nicht wegen Wahl, gerade geht nicht wegen Koalitionsverhandlungen. Danach? Oder geht das nicht, weil man es davor nicht gemacht hat & nun komisch wäre?
Das ist nicht despektierlich gemeint, ich verstehe ja die Logik. Aber ich stelle mir die Frage echt. Denn uns läuft ja die Zeit davon & ich weiß noch immer nicht, wie wir eine Krise lösen sollen, dessen Ausmaß sich die allermeisten Menschen offenbar gar nicht bewusst sind.
Wenn wir letzteres nicht ändern, werden wir keine Mehrheiten von den nötigen Maßnahmen überzeugen können. (Ich weiß, um die Rolle des Journalismus hier, aber in einem Kommunikationsmodell gibt es unterschiedliche Beteiligte.)
Es macht mich ein bisschen wahnsinnig, dass #Klimaangst in Beiträgen oft als was Pathologisches dargestellt wird.
Ich habe auch Angst vor der, vor meiner Zukunft.
Und wie ich mir in Gesprächen mit X Klimawissenschaftler:innen habe bestätigen lassen, ist das komplett rational.
Menschen, die Angst haben, sind weder komisch noch haben sie per se ein Problem. Diese Angst ist eine normale Reaktion, wenn man sich dem stellt, was auf uns zukommt.
Sie wird zum Problem, wenn sie eine:n lähmt & dauerhaft überwältigt. Dann kann & sollte man sich Hilfe suchen.
Ich denke nicht, dass man aktiv Angst erzeugen sollte, um Menschen den Ernst der Situation klar zu machen. Überhaupt nicht, das ist nur kontraproduktiv & führt zu Verdrängung.
Aber man kann nicht verhindern, dass Menschen sich sorgen, wenn sie das Ausmaß der Krise verstehen.
Christian Stöcker und Nikolaus Blome als Kolumnisten anheuern und dabei übersehen, dass der eine jede Woche schmissig den Stand der Forschung zusammenfasst. Und der andere einfach nur eine starke (politische) Meinung hat: spiegel.de/politik/deutsc…
Man kann Fridays for Future gerne für überheblich halten und dass auch Gleichalterige das tun, ist vielleicht sogar wirklich Teil des Problems.
Man kann kritisieren, dass es von der Klimabewegung nicht klug war, die Grünen zu kritisieren statt zu unterstützen.
Ich halte es ebenfalls für eine extrem verallgemeinerte Darstellung, "die Jungen" hätten die Klimakrise verstanden und "die Alten" nicht. Es gibt auch unter jungen Menschen sehr viele, die kein genaues Bild davon haben, wie akut die Klimakatastrophe ihre eigene Zukunft bedroht.
Nächste Woche wird gewählt & es ist medial weder gelungen, einer Mehrheit die Bedeutung der #btw21 bewusst zu machen. Noch aufzuklären, welche Parteien versuchen, unsere Lebensgrundlagen zu schützen.
Daher: Bitte, sprecht mit euren Eltern & Großeltern.
Einige hilfreiche Links 🧵
@teresabuecker hat dazu schon vor Wochen einen wirklich großartigen & persönlichen Text geschrieben.
Diese sehr klare Analyse der aktuellen Situation von @rahmstorf ist eine super Argumentationshilfe, die die Fakten & den Ernst der Lage kurz & verständlich zusammenfasst: spiegel.de/wissenschaft/m…