Thread by @PhiKuro

Ich hol das mal hier in meine Timeline, die Diskussion selber ist beendet durch rhetorische Kapitulation der Gegenseite. Aber das, was in diesem Tweet deutlich wird, nenne ich gerne die #JediFalle. #Thread

https://twitter.com/CKoellmannZH/status/1460885546595758083

Wir haben - und da sind wir Christen (und @EliyahHavemann, gib's zu, auch ihr Juden) nicht ganz unschuldig mit unseren Schriften, ein besonderes Faible für den Underdog. Für die Rebellen. Eine kleine Auswahl:

Abel ist der jüngere Bruder, der Nomade, Kain der ältere, Stärkere, der Bauer mit Haus und sicherer Nahrung. Kein ist böse, Abel das Opfer. Klare Sympathieverteilung.

Jakob und Esau, wieder ist der Kleinere, der Schwächere der Held der Geschichte und wird zum Träger des Segens Gottes. Obwohl er dazu List und Lüge einsetzen musste, das ist total OK.

Joseph und seine Brüder: Joseph ist der jüngste, alle seine Brüder sind älter und stärker als er. Er wird zum Sklaven, zum Gefangenen, aber Gott ist ihm Treu, er wird Vizekönig und zum Retter der ganzen Sippe.

Mose muss schon als Kind vor den mordenden Regierungstruppen gerettet werden, wird zum Mörder an einem Aufseher, zum Nomaden und schließlich Revolutionsführer des Sklavenaufstandes und Flucht aus Ägypten.

Josua kämpft als Führer einer heimatlosen Truppe Desperados gegen die befestigten Städte Kanons. Dass dabei unfassbare Gräuel passieren, ist alles Gottes Wille.

Selbst David beginnt als Widerstandskämpfer, der seine Handschar mit Mafia-Methoden wie Schutzgelderpressung ernährt, und natürlich muss er einen schwer bewaffneten Riesen besiegen mit der Waffe eines Hirten und Nomaden.

Die Propheten setzen die Reihe fort. Diejenigen, die das den König, das System kritisieren, tun dies in Gottes Namen. Elia und Jesaja wettern gegen Diplomatie, Amos gegen Reichtum und Staatsreligion, Jeremia wird politisch verfolgt, usw.

Das Christentum übernimmt dieses Selbstverständnis vollumfänglich. Kritik an der den Hohepriestern, der Tempelreligion, dem Kommerz - das Selbstbild als die Erwählten Gottes, die gegen das System aufbegehren, das im Kern böse ist.

Das zieht sich von Johannes dem Täufer, der aller Zivilisation entsagend in der Wüste lebte bis zu den Visionen der Offenbarung mit den erwählten 144k. Und Jesus, der direkt Bezug nimmt zu den verfolgten Propheten der alten Zeit.

Das hat uns kulturell tief geprägt. Wenn man heute die großen Erzählungen sieht: Herr der Ringe. Star Wars. Harry Potter. Der Kampf gegen die Mächtigen, die dunkle Macht von den Auserwählten, den Underdogs, den Hobbits, den Besenkammerbewohnern, den Jedirittern.

Das ist das große Kino, das sind die großen Emotionen, das sind Charaktere und Stories mit hohem Identifikationspotential. Bei uns in Deutschland nochmal zusätzlich verstärkt durch unsere Geschichte.

Wir HABEN die dunkle Seite der Macht erlebt, wir feiern die weiße Rose, Bonhoeffer, Stauffenberg als Helden. Genauso wie die Montagsgebete, die Umweltbibliotheken und Friedensbewegungen der DDR. Dazu noch ein Hauch Romantik, und das Herz schlägt höher.

Dabei übersehen wir allerdings, dass uns unsere Widerstandsromantik hier und da auch in die Irre geführt hat. Wir hielten Che Guevarra für einen guten Menschen. Das war er nicht. Wir sympathisieren mit Palästinenser-Organisationen, die offen terroristisch sind.

Und jetzt das: Corona-Leugner, Impfskeptiker, Maskenverweigerer als Kämpfer gegen System, gegen Mehrheitsmeinung und Regierungspropaganda. Alle anderen gleichgeschaltete Systemlinge. Das ist unsere Story, nur völlig pervers.

Vielleicht liegt es auch daran, dass sich die biblischen Autoren, ein Leben in Rechtsstaat und Demokratie, mit Menschenrechten und objektiver Wissenschaft nur in ihren kühnsten Träumen ausmalen konnten, aber nie erlebt haben.

"Da ist nicht Jude noch Grieche, nicht Sklave noch Freier, nicht männlich oder weiblich, sondern alle eins" - das ist eine Vision von Paulus, die er sich irgendwie so als Himmel vorstellt.

Dass es ein politisches System geben könnte, in dem Menschen unabhängig von Herkunft, sozialem Status und Geschlecht die gleichen garantierten Rechte haben, und dass das hier auf Erden funktioniert, hätte ihn wohl überfordert.

Diese Überforderung gibt es offenbar noch heute. Als Kirche und Theologie haben wir deshalb die doppelte Aufgabe: Menschen zu erklären, wie christlich unser System schon ist - und gleichzeitig feste daran zu arbeiten, dass es verbessert und seine Versprechen gehalten werden.

Den Widerstandsromantikern in der #JediFalle müssen wir jedoch widersprechen. Das ist Hijacking unserer Erzählungen, das wir nicht widerspruchslos geschehen lassen dürfen.