Seufzen und Sehnen. Lange kannte man das hauptsächlich im privaten Bereich. Denn als Staat und Gesellschaft, als Kirche und Gemeinde ging es uns unfassbar gut. Aber im Persönlichen gab es viel Kummer, viel unerfüllte Sehnsucht.
Das ist in diesem Jahr anders. Es geht uns nicht gut. Deutschland ist in der Krise. Selbst bei uns steigen die Corona-Zahlen in ungeahnte Höhen. Deutschland ist weltweiter Corona-Hotspot. In den Krankenhäusern füllen sich die Betten, es wird noch richtig eng werden.
Seufzen und Sehnen. Geht es wirklich wieder los? Muss es einen Lockdown geben? Für alle? Für die Ungeimpften? Was wird aus unseren Kindern? Und: Wann hört das endlich wieder auf? Was @akkordeonistin sagt: .
Wir seufzen und sehnen uns. Und es ist nicht die einzige Krise. Die Flüchtlingskrise ist zurück, diesmal an der polnischen Grenze. Wir verstehen die Polen, die sich nicht überrennen lassen wollen, wir leiden mit den Flüchtlingen die gewissenlos instrumentalisiert werden.
Wir spüren Zorn über gewissenlose Machthaber, die diese Menschen an Grenzen verfrachten, um mit ihnen Politik zu machen, auch wenn Dutzende dabei elendig sterben müssen. Und fragen wieder: Wann hört das endlich auf?
Und Klimakrise? Man rechnet schon aus, ob die Konferenz in Glasgow nicht schon jetzt mehr CO2 verbraucht hat, als sie am Ende einsparen könnte. Verpflichtende Formulierungen werden windelweich geprügelt, jeder zeigt auf den anderen und die armen Länder haben längst kapituliert.
Seufzen und Sehnen. Am Vollkstrauertag erinnern wir uns an Krieg und Gewalt, an unfassbare Grauen die von Deutschland ausgingen und ganz Europa an den Rand des Untergangs gebracht haben, und unersetzliche Schäden hinterlassen haben.
Und dann sehen wir, wie hier und auch sonst in Europa wieder diese Geister auferstehen, mit nationaler Kraftmeierei, mit Rassismus und Menschenverachtung und wir fragen wieder und wieder: Wann hört das endlich auf?
Geduld sagt Paulus. Ja, unsere Welt und unser Leben ist eine brüchige Hütte, ist nur ein Zelt, das langsam fadenscheinig wird. Es schützt und kaum noch vor Sonne, Wind und Wetter vor neugierigen Blicken vor Hitze und Kälte. Es geht langsam kaputt.
Auch hier können wir an beides denken: An unseren eigenen Körper und an unsere Welt in der wir leben. Es ist nichts für die Ewigkeit, was wir hier haben. Es ist fadenscheinig geworden, brüchig, unzuverlässig.
Wir seufzen unter den Schmerzen, die uns Brüche und Risse in unserem Leben und in unserer Welt zumuten. Wir sehnen uns nach etwas bleibendem. Was heil ist und schön. Stabil und schützend.
Sehnsucht nach dem Himmel. Sehnsucht nach einem neuen Himmel und einer neuen Erde. Einem neuen, ewigen Leben, das nicht von Schmerz, Verletzung, Schuld und Hilflosigkeit geprägt ist.
Am liebsten jetzt sofort. Aber halt, sagt Paulus. Hier keine Flucht aus der Wirklichkeit, keine Jenseitsvertröstung, keine Apokalypse Now, kein roter Knopf zum Weltuntergang, kein sektenhafter Massenselbstmord als Jenseits-Express.
Diese Sehnsucht soll uns nicht wegziehen von der Erde, sondern Kraft und Hoffnung geben für unser Leben hier. Wir leben im Glauben, nicht im Schauen übersetzt Luther. Und Glaube ist genau das: Kraft und Hoffnung.
Wenn unsere Zeit hier eh begrenzt ist, wenn uns versprochen ist, dass wir einmal eine Heimat bekommen, die heil ist und heilig, ewig und unkaputtbar, dann lasst uns die Zeit hier doch nutzen, Gutes zu tun.
Denn es wird ohnehin offenbar werden, was wir hier sind, was wir hier tun und lassen. Das Zelt fällt um, und wir stehen da, nackig vor Gottes Thron. Gut so, denn dann wird alles klar, und nichts mehr vertuscht und versteckt.
Alle gelöschten Emails sind wieder da, alle geschredderten Akten, alle verscharrten Leichen. Gott liebt die Opfer unserer Bosheit so sehr, dass er wirklich alles auf den Tisch packt, was ihnen angetan wurde. Endlich!
Alle verworrene Schuld, alle verstrickten Fehler, alle diffuse Verantwortung wird entwirrt und sauber und ordentlich auf den Tisch gelegt. Keiner redet sich mehr raus, keiner zeigt auf den Anderen, Gott macht alles klar und schier. So kann Friede werden.
Wir müssen da auch durch, machen wir uns nichts vor. Wir dürfen uns darauf verlassen, dass Gott bereit ist, uns unsere Schuld zu vergeben. Aber nicht mit einem simplen Schwamm-Drüber, ohne genau hinzusehen, was da eigentlich alles auf dem Tisch liegt.
Und das gehört eben auch dazu. Da kann auch was Schönes auf dem Tisch liegen. Etwas, was Gott in die Hand nimmt und sich dran freut. Etwas, worauf wir ein klein bisschen stolz sein dürfen. Etwas was funkelt und strahlt.
Weil wir unsere Zeit hier eben nicht mit Raffen und Rauben, mit Fressen und Saufen, mit Bösem und Gemeinheit durchgebracht haben. Sondern Gutes getan haben. Lichtspuren im Leben anderer Menschen hinterlassen haben. Den Unterschied gemacht haben.
Können wir das? Paulus erinnert uns: Ihr habt da was! Gottes Geist. Der kommt von da oben, wo ihr einmal hinwollt. Und der kann das: Wunden heilen. Schuld vergeben. Kraft und Hoffnung schenken.
Wenn ich dieser Tage seufze und sehne, dann vor allem nach ihm: Dem Geist Gottes. Ich wünsche ihn mir für unsere Welt, für unser Land, für unsere Kirche, für diese Gemeinde, für mich selbst und meinen Dienst.
Paulus sagt: Ihr HABT ihn. Vielleicht müssen wir ihn nur ergreifen, ihm mehr Raum geben, ihm mehr zutrauen. Dann hat unsere Zeit im Zelt hier einen Sinn.
Amen.
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13 Nov
Kleiner Thread zum #CoronaDilemma in diesem Herbst. Unsere Regierung ist blockiert, und das hat mehrere Ursachen.
Man hat die vierte Welle unterschätzt. Sie zeigte nach den Sommerferien einen Wendepunkt und man redete sich ein: Die Impfmauer hält, die Inzidenz prallt ab, die Infizierten werden nicht ernsthaft krank. Ein verheerender Irrtum.
Der saisonale Effekt, die Infektiosität und krankmachende Wirkung auch Jüngerer von Delta wurde unterschätzt, die Impfwirkung überschätzt, die Durchimpfung der Jahrgänge 60+ war zu niedrig. So haben wir ungeahnte Inzidenzen UND Hospitalisierungen/ITS-Belegung/Todesfälle. Scheiße.
Read 14 tweets
10 Jun
Also, #PredMed_1Kor14, ich mache mal einen #Thread mit dem, was mir so durch den Kopf geht, Danke für alle Ideengeber. Und natürlich Dank an @elisalocuta für den Hashtag. Es geht also um Zungenrede und Prophetischer Rede.
Problem ist, dass wir in der Landeskirche so etwas kaum kennen und schon gar nicht kultivieren, das heißt: Die Gemeinde macht bei der Lektüre des Textes erstmal eine ultimative Fremdheitserfahrung: Sie hat keine Ahnung, wovon die Rede ist. #PredMed_1Kor14
Auch in der Wissenschaft (Theologie, namentlich neutestamentliche Exegese) ist es umstritten: Was genau war Zungenrede? Sind Phänomene der Glossolalie bei Quäkern, Pfingstlern und Charismatikern überhaupt identisch mit dem, was Paulus vor Augen hat? #PredMed_1Kor14
Read 26 tweets
7 Jan
Jetzt mal ernsthaft, @drumheadberlin: Das ist doch Bullshit.
"Bislang ist wenig zu erkennen..." Was soll das? Was sollen die Demokraten denn NOCH tun? Sie haben einen arrivierten weißen Mann aufgestellt, der bereits Vizepräsident war, ohne Sozialismus einzuführen.
Er hat eine Vizepräsidentin nominiert, die als Staatsanwältin eine klare Law-and-Order Linie gefahren ist, und politisch Einwanderungsgesetze unterstützt hat, die man hier auch der AfD unterschieben könnte.
Biden hat in seiner Rede nicht die eigene Anhängerschaft aufgerufen auf die Straße zu gehen, und das Kapitol zu befreien. Er vermittelt und deeskaliert wo er nur kann und versucht die Spaltung nicht zu vertiefen.
Read 5 tweets
7 Jan
Ich verrenne mich gerade in Antifa-Diskussionen mit meinen wirklich geschätzten konservativen Followern, und ich muss wohl was erklären. Ein Versuch in einem Thread.
Ganz prinzipiell und grundsätzlich bin ich gegen politische Gewalt. Ohne Wenn, ohne Aber. Leider gibt es sie doch. Ihr wehrhaft zu begegnen ist Aufgabe des demokratischen Rechtsstaates.
Ich bejahe grundsätzlich deshalb auch staatliche Gewalt auch gegen linke Chaoten. Die Räumung des Hambacher Waldes war rechtstaatlich. Die Bekämpfung der Krawalle beim G20 Gipfel in Hamburg war legal und legitim.
Read 20 tweets
5 Jan
Große Aufregung um #Bewegungsradius. Fakt ist: Sowohl #Sachsen (rechte CDU Regierung) wie auch #Thüringen (LINKE) haben bereits solche Regelungen. Es soll also nur abgesegnet werden, was bereits existiert und nachvollziehbarer werden (ab Inzidenz 200).
Es bleibt eine regionale Maßnahme in der Verantwortung der Bundesländer. Dass das jetzt als "Idee Merkels" kolportiert wird, "die Bürger an die Leine" zu nehmen, zeigt nur einmal mehr, wie verkommen der politische Diskurs in diesem Land bereits ist.
Persönlich finde ich die Idee genauso doof wie alle anderen Pandemie-Bekämpfungsmaßnahmen auch. Schulschließungen sind doof, Lädenschließungen sind doof, Restaurantschließungen sind doof, Hotelschließungen sind doof. Denn: Corona ist doof.
Read 6 tweets
23 Oct 20
Man kann versuchen, sich Trump ein wenig schön zu reden, aber trotz der drei sehr begrüßenswerten Normalisierungsabkommen zwischen Israel und muslimisch geprägten Staaten, ist die außenpolitische Bilanz wenig überzeugend.
Das sage ich übrigens nicht, weil ich Trump doof finde. Im Gegenteil: Ich hatte zu Beginn seiner Amtszeit mit außenpolitischen Erfolgen gerechnet. Trotz der drei Last-Minute-Erfolge sehe ich mich enttäuscht.
Die Bilanz ist sehr ernüchternd.
Ja, drei Friedensverträge (naja, so in der Art) gemakelt, keinen Krieg geführt, da kann man nicht meckern, will man sagen, aber dann hat man die Latte auch schon fast eingebuddelt, so tief liegt sie dann. Denn das Gesamtbild ist trist.
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