Im Vorwort ("Präambel") taucht die Klimakrise nach Verwaltungsmodernisierung und Vollendung der inneren Einheit auf. Die #Ampel formuliert grobe Ziele, bleibt aber bei den entscheidenden Worten wage.
Bsp. 1 - Sie will Deutschland "auf den 1,5-Grad-Pfad bringen" - das ist weit interpretierbar.
Bsp. 2 - Kohleausstieg soll "idealerweise" auf 2030 vorgezogen werden und "Technologie des Verbrennungsmotors hinter uns" gelassen werden. Kein Datum damit verbunden.
Schon konkreter: Hürden für den Ausbau der Erneuerbaren sollen aus dem Weg geräumt werden.
Das lässt sich sehr gut überprüfen und schlussendlich auch am tatsächlichen Ausbau der Erneuerbaren messen.
Rein ins Klima-Artikel ab S. 24!
Kurze Nebenbeobachtung: Der Vertrag hat 177 Seiten. So lange Koalitionsverträge schreiben (fast) nur die Deutschen.
Das Klimaschutz-Kapitel beginnt mit den zwei Worten "Unsere Wirtschaft".
Ist das ein Zeichen für das, was jetzt folgt?
Die Ampel moderiert die Klimakrise im Kontext von Globalisierung, Corona und demographischen Wandel an. Klingt beim ersten Lesen sehr defensiv. Ziel ist es "nachhaltigen Wohlstand" zu schaffen, was nicht zwangsläufig irgendwas mit Klima oder Umwelt zu tun haben muss
Die Medici zum Beispiel haben seit Jahrhunderten auch sehr nachhaltigen Wohlstand. Aber anderes Thema (das Wort "Ungleichheit" taucht übrigens nur zweimal im Vertrag auf.)
Jetzt wird es konkret: Ampel will eine "Industriestrategie" gegen Carbon Leakage. Wenn das bedeutet, das Unternehmen komplett freiwillig, etwas tun soll, sind Zweifel angebracht. Diese Strategie kostet Politik wenig, ist aber oft wirkungslos.
Aber klares Bekenntnis dazu, die "Wirschaftlichkeitslücke" zu schließen. Das ist sehr gut, denn oft sind CO2-arme Methoden noch deutlicher teurer als die herkömmlichen Methoden.
Deutschland soll "Leitmarkt für Wasserstoff" werden. (Das hat bestimmt die FDP geschrieben.) Wasserstoff ist grundsätzlich okay, aber alle Erwartungen daran sollten niedrig bleiben. Es ist weniger effizient als viele denken. Mehr Kontext hier: krautreporter.de/3326-wassersto…
Der Klimaclub kommt jetzt! Diese Idee der SPD wurde verlacht ("Wir haben ja schon Paris"), ist aber, pragmatisch betrachtet, wichtig, um auch nur in die Richtung von so etwas wie internationaler Verantwortlichkeit zu kommen.
Da jubelt die Erdgas-Industrie: Grüner Wasserstoff soll staatlich quotiert werden, aber im "Hochlauf" will die Ampel auch Wasserstoff fördern, der anders hergestellt wird. Das betrifft vor allem Erdgas (grauer oder blauer Wasserstoff).
Jetzt steht hier was zur Halbleiter-Industrie. Extrem wichtiges Thema. Aber die direkte Vermischung mit Umwelt und Klima verwirrt. Die Ampel scheint Umwelt- und Klimapolitik nur als Wirtschaftspolitik zu begreifen.
Die Ampel möchte Deutschland zum Leitmarkt für Elektromobilität machen.
Zur Kenntnisnahme übergebe ich euch diese Pressemitteilung aus dem Jahr *2008* des Bundesumweltministeriums: bmu.de/pressemitteilu…
Konkret:
* massiver Ausbau der Ladeinfrastruktur
* 15 Millionen Vollelektrische bis 2030
* gezielte Clusterförderung
Und das war es dann auch schon.
Es folgen Abschnitte zu "Luft- und Raumfahrt", "Handwerkt", "Maritime Wirtschaft", "Fairer Wettbewerb", "Bürokratieabbau"...
(kurz gecheckt: Ja, wir sind immer noch in dem Kapitel über dem "Klima" steht)
Ah, ab Seite 36: "Umwelt- und Naturschutz." Lets go!
Schöner, starker Satz in dem Kapitel:
"Die notwendigen Maßnahmen werden wir ergreifen und finanzieren."
Nur leider...
... wird nicht klar, welche Maßnahmen sie eigentlich meinen. Viel "wollen", viel "einsetzen", wenig "werden wir machen". Greifbar sind:
* 30 Prozent Schutzgebiete
* Hilfsprogramm vor allem für Tierarten, die durch Erneuerbare gefährdet sind
"Natürlicher Klimaschutz"
* Einrichtung eines Bundesnaturschutzfonds
* gezieltes Aufbauprogramm für Meere als CO2-Speicher
* Waldgesetz novellieren, es könnten wohl auch Hilfen für Waldbesitzer kommen (Abschnitt etwas diffus formuliert)
Ampel will eine Klima-Anpassungsstrategie mit "messbaren Zielen" entwickeln. Da bin ich gespannt. Sofortprogramm für erste dringliche Maßnahmen, sehr gut.
Satz mit Sprengkraft: "Wir überprüfen den Ausnahmekatalog für die Genehmigung von Bauvorhaben in ausgewiesenen Überschwemmungsgebieten und passen ihn, wenn nötig, an, mit dem Ziel, Risiken zu minimieren."
Könnte heißen, dass in bestimmten Gebieten nicht mehr gebaut wird
Das Kapitel "Kreislaufwirtschaft" ist vollgepackt mit vielen kleinen, schlüssig klingenden Maßnahmen. Was hier interessant ist: Alle setzen auf Dialog mit Wirtschaft, Anreizprogramme etc
Keine Ordnungspolitik.
Beispiel: "Produkte sollten möglichst reparierbar" sein.
So etwas kann eine Regierung auch einfach festlegen: "Produkte müssen reparierbar sein."
Das tut die Ampel aber nicht. (Hallo FDP!)
Wir arbeiten uns langsam zu den entscheidenden Stellen vor, die interessanterweise nicht vorne stehen: "Mobilität" und "Klima, Energie, Transformation"
Anteil der Schiene im Güterverkehr soll bis 2030 auf 25% steigern. Wie genau das erreicht werden soll? Ja, puuh.... DB als Konzern bekommt aber Infrastruktur-Einheit, die Gewinne behalten darf.
Das könnte mehr Geld f Netzausbau bedeuten, zumal Investitionen erhöht werden sollen
Zum Radverkehr steht nichts Substantielles im Koalitionsvertrag. Gibt also keine Kaufprämie für E-Bikes 😉
Nun: Klima.
Sehr direkter Bezug auf das Urteil aus Karlsruhe, das im Rückblick wahrscheinlich das wichtigste Klima-Ereignis des Jahres war. Warum steht hier: krautreporter.de/3828-damit-wir…
Ein "Klimacheck" kommt: Alle Gesetzesentwürfe müssen von den Ministerien auf Vereinbarkeit mit Klimazielen geprüft werden. Stark! Aber nicht so stark wie ein Klimaministerium mit Veto-Recht, das auch mal zur Debatte stand.
👀
"Bei der Schutzgüterabwägung setzen wir uns dafür ein, dass es einen zeitlich bis zum Erreichen der Klimaneutralität befristeten Vorrang für Erneuerbare Energien gibt."
Oha.
Solarpflicht für gewerbliche Neubauten, bei privaten Neubauten soll es die Regel werden.
Sehr gut.
Ausbauziele:
* Solar 200 GW bis 2030
* Offshore-Wind 30 GW bis 2030
* 50% der Wärme erneuerbar bis 2030
Keine Ausbauziele für Windkraft an Land. Interessant.
Gaskraftwerke bleiben essentieller Teil der Energie-Politik, müssten aber, wenn sie neu gebaut werden, auch Wasserstoff verarbeiten können.
Für H2-Elektrolyse soll es 2030 10 GW geben.
Die EEG-Umlage läuft am 1.1.2023 aus. Das wird mit Entlastung der Bürger:innen begründet. Sie soll stattdessen aus Haushalt und Einnahmen von Emissionshandel finanziert werden.
CO2-Preis soll mindestens 60 Euro pro Tonne betragen. Ein höheres Ziel formuliert die Ampel nicht, will das mit Blick auf die jetzigen Öl- und Gaspreise auch nicht.
Wichtig!
"Um einen künftigen Preisanstieg zu kompensieren und die Akzeptanz des Marktsystems zu gewährleisten, werden wir einen sozialen Kompensationsmechanismus über die Abschaffung der EEG-Umlage hinaus entwickeln (Klimageld)"
Da bin ich sehr gespannt. Das kann konkret vieles bedeuten, ist aber als Ziel sehr klar formuliert.
Atomenergie spielt politisch keine Rolle mehr. Das zeigt der Koalitionsvertrag, der sich "eindeutig zum Ausbau der Erneuerbaren" bekennt.
Noch ein Wort zu "Landwirtschaft und Ernährung". Das habe ich komplett übersprüngen, weil ich mich damit a) nicht besonders gut auskenne und b) zu Klima kaum etwas Konkretes drin steht, außer Unterstützung von Landwirten
Was fällt als Fazit nach dem ersten Lesen auf? Was ist wichtig?
Es sind imho sechs Dinge:
1. Es ist sehr sehr sehr viel von nationalen Strategien die Rede, die entwickelt werden soll. Damit hat die Ampel viele Themen vertagt bzw. sich direkt für einen Ansatz entschieden, insbesondere der Wirtschaft nicht von vorneherein zu viele Vorgaben zu machen.
2. Mit kleinen Ausnahmen spielt die Finanzierung jeweils so gut wie keine Rolle.
3. Am klarsten sind die Ausbauziele für Erneuerbare, daran kann die #Ampel gemessen werden. Deutschland wird aber Gasland bleiben und soll auch Wasserstoffland werden.
4. Dieser Koalitionsvertrag ist nach erstem Lesen ziemlich exakt das, was herauskommt, wenn SPD, Grüne und FDP sich auf Klimaschutz verständigen: Stückwerk. Es bleibt so viel im Ungefähren, dass Deutschland vorankommen kann, aber...
5. ... vermutlich, da lehne ich mich aus dem Fenster, bis 2030 noch nicht einmal in die Nähe des 1,5-Grad-Pfades kommen wird.
6. Erschreckend oberflächlich sind die Kapitel zu Kreislaufwirtschaft und Klima-Anpassung. Zwei absolute Schlüsselthemen in diesem Jahrzehnt.
Ich muss noch hinterherschieben (sorry!): Subventionen (Z 5494).
* Dieselprivileg soll überprüft werden
* Ende E-Auto-Prämien 2025
* Dienstwagen mit Fokus E-Autos, aber schwammig
Damit ergibt sich noch ein siebtes Fazit:
Fossil-Subventionen abzuschaffen, wäre ziemlich wirkungsvoll, geschieht aber imho zu wenig. Nichts konkretes. Sad!
Lasst uns nachher im Twitter Space weiter quatschen. Freue mich über alle Perspektiven auf diesen Vertrag:
Andere Aktivisti erzählten mir, dass sie das Polizeigewahrsam mit blauen Flecken verließen. Die Berliner Polizei hat auf meine Anfrage hin ein Straferfmittlungsverfahren eingeleitet.
Es zeigt sich, dass die Polizei immer öfter auf Mittel zurückgreift, die eigentlich mal eingeführt worden, um Terroristen zu jagen: Präventivgewahrsam, Gefährderansprachen, angedrohte Hausdurchsungen etc Möglich machen das die reformierten Polizeiaufgabengesetze.
Wer behauptet, dass wir eine planetare Krise lösen ohne auf irgendwas zu verzichten, hat entweder das Problem nicht verstanden oder will eine Wahl gewinnen
Politisch gelöst ist diese Krise, wenn jemand gewählt wird, *weil* er Verzicht verspricht. Dann haben die Menschen begriffen, dass es Wichtigeres als Autos, Flüge und große Häuser gibt.
Eine Analogie kann der Zweite Weltkrieg sein. Churchill hat den Briten nicht versprochen, dass alles so bleiben kann, wie es ist, um den Faschismus zu besiegen. Er hat "Blut, Schweiß und Tränen" versprochen
Was nicht stimmt, beschreibe ich in meinem neuen Artikel.
Es ist als würde uns die Klimakrise eine Falle stellen – in die vor allem Armin Laschet hineinläuft.
Denn in der Klimakrise müssen die Menschen gleichzeitig retten und verhindern.
Sie müssen ihre Gesellschaft in eine Klimaschutz- und in eine Hochwasser-Hitze-Waldbrand-Schutzgesellschaft umbauen, die Katastrophen aushält, die immer extremer werden.
Wir reden nach der #Flutkatastrophe darüber, dass wir uns auf die Folgen der Klimakrise besser vorbereiten müssen. Deswegen will ich euch eine Geschichte aus Chicago erzählen – die Mut macht und den Weg weist 👇
Im Juli 1995 zog die schlimmste Hitzewelle über Chicago hinweg, die die nordamerikanische Millionenstadt seit den 1930er Jahren gesehen hatte. Alle Bewohner Chicagos litten. Aber vor allem die alten starben.
Der US-Soziologe Eric Klinenberg hat in seinem Buch "Heat Wave" untersucht, wo die meisten Menschen gestorben waren: erwartbar, vor allem in den armen Nachbarschaften – und doch gab es auch dort Unterschiede.
In China brechen 2 Dämme, in Deutschland sterben 150 Menschen, in Sibirien ist es so trocken wie seit 1870 nicht mehr, das Great Barrier Reef wird wohl als gefährdet eingestuft & Teile des Amazonas geben mehr CO2 ab als sie speichern
Die News einer Woche in der Klimakrise.
(Und das waren mit Sicherheit nicht alle.)
Der menschliche Geist ist nicht dafür gemacht, solche Dimensionen wirklich zu begreifen. Unsere Regierungssysteme nicht dafür ausgelegt, so etwas zu managen. Wir sind Höhlenmenschen mit Supercomputern.
Kontext zum Scholz-Vorschlag #Klimaclub, über den sich gerade einige mokieren. Das Ding ist wichtiger als es scheint. So ein Club könnte die Schwächen des Pariser Abkommens angehen👇 1/
Denn wir sind uns alle einig: Das Pariser Klimaabkommen ist ein zahnloser Tiger. Es gibt keine Macht der Erde, die die USA oder China oder die EU dazu zwingen könnten, sich an ihre eigenen Zusagen zu halten, oder? 2/
Eine Macht gibt es: internationale Normen. Ja, die sind genauso wischiwaschi wie sie klingen. Aber sie sind besser als nichts. Oft gehen Normverschiebungen sogar den rechtlich bindenden Maßnahmen voraus. 3/